Koalitionsstreit über Konjunkturpaket: Der Burgfriede ist gescheitert

Mit dem Konjunkturpaket wollte die große Koalition ihre Einigkeit demonstrieren. Damit ist es vorbei, bevor das Paket überhaupt beschlossen ist.

Wo soll bloß das ganze Geld herkommen? Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) am Kabinettstisch. Bild: dpa

BERLIN taz So viele Ermahnungen wie seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise mussten sich die Berliner Journalisten schon lange nicht mehr anhören. Die Bevölkerung solle "die Schritte, die unternommen werden, auch nachvollziehen", sagte am Dienstag der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen. Das sei "nicht nur Aufgabe der Politik", fügte er mit mahnendem Blick auf die Journalisten hinzu.

Das neue Konjunkturprogramm sieht als ein Schwerpunkt Entlastungen bei Steuern und Abgaben in den kommenden beiden Jahren um rund 18 Milliarden Euro vor. So wird der Grundfreibetrag in zwei Schritten um 340 Euro auf 8.004 Euro erhöht. Der Eingangssteuersatz wird um einen Punkt auf 14 Prozent abgesenkt. Die gerade erst erhöhen Krankenversicherungsbeiträge sollen ab 1. Juli wieder um 0,6 Prozentpunkte zulasten des Staates abgesenkt werden. Für öffentliche Investitionen stellt der Bund zusätzlich insgesamt 16,9 Milliarden Euro bereit. Mit einem Kreditprogramm für größere Firmen und einem zusätzlichen Bürgschaftsrahmen wird ein Schutzschirm für Unternehmen gespannt. (rtr)

Die Szene erinnerte an einen Auftritt des Regierungssprechers Ulrich Wilhelm anlässlich der Garantie für Sparguthaben im vorigen Herbst. "Ich möchte an Sie appellieren, die Wirkung dieser Aussage jetzt nicht durch das Stellen von unterschiedlichsten Detailfragen noch einmal zu relativieren", entgegnete er damals auf die Frage, ob der Staat die eingegangenen Verpflichtungen überhaupt schultern könne.

Die Einladungen zum publizistischen Burgfrieden verraten die Unsicherheit der Berliner Politik im Angesicht der Krise. Das gilt auch für das 50 Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket, das die Regierung am Dienstag in einer vorgezogenen Kabinettssitzung beschloss und das der Bundestag am Freitag schon in erster Lesung debattieren wird. Das Paket soll vor allem psychologisch wirken, den Eindruck vermitteln, dass der Staat die Lage noch unter Kontrolle hat.

Die Überzeugung, dass die einzelnen Punkte auch sachlich richtig sind, mussten sich die Akteure erst mühsam einreden. Um die Einzelheiten wurde bis Montagabend gerungen. Blockiert haben einmal mehr die Länder. Von den 10 Milliarden Euro des Investitionsprogramms, das in der Sache noch die meisten Fürsprecher hat, wollten sie nur die Hälfte abgeben. Jetzt erhalten die Kommunen auf Druck des Bundes doch 70 Prozent, nur 30 Prozent bleiben bei den Ländern. Eine Einigung hatte es zuvor auch im Streit um die Kraftfahrzeugsteuer gegeben.

Der Mindestlohn für die Zeitarbeit, der ebenfalls zum Kompromisspaket zwischen Union und SPD gehörte, wurde dagegen vertagt. Die Union bestehe darauf, dass geltende Tarifverträge in der Leiharbeitsbranche nicht ausgehebelt werden dürften, sagte Röttgen. Die harte Linie ist dem Widerstand geschuldet, den die bereits in der vorigen Woche beschlossene Ausweitung der Mindestlöhne auf sechs weitere Branchen in der CDU/CSU-Fraktion ausgelöst hatte.

Wie sehr es in der Union angesichts des wirtschaftspolitischen Kurswechsels rumort, zeigt sich auch bei der Senkung von Einkommensteuer und Kassenbeiträgen, dem größten Bestandteil des Konjunkturpakets. Mit diesem Zugeständnis, das die bayerische CSU ruhigstellen sollte, hat Kanzlerin Angela Merkel viele prominente Christdemokraten gegen sich aufgebracht. Ein Bundesminister und mehrere Länderchefs erklärten Merkels Vorhaben für illusorisch, jetzt noch mit dem Versprechen einer großen Steuerreform in den Bundestagswahlkampf zu ziehen.

Mit dem Konjunkturpaket hat die große Koalition ihr zuvor wichtigstes Ziel der Haushaltssanierung aufgegeben, ohne genau zu wissen, was sie dafür bekommt. "Mir ist vollkommen klar, dass man die Tür zum Kassenraum nicht geschlossen halten kann. Sonst wird sie in Panik von anderen eingetreten": Mit diesen Worten hatte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) kurz vor Weihnachten den Weg dahin freigemacht - und sich von seiner Rolle als oberster Krisenmanager verabschiedet.

Jetzt warnen ausgerechnet jene Medien, die im alten Jahr besonders lauthals noch sehr viel größere Konjunkturprogramme forderten, vor einem drohenden Staatsbankrott. Doch nicht solche Inkonsequenzen waren der Anlass für die Mahnungen des CDU-Politikers Röttgen, sondern der Wunsch des Koalitionspartners nach einer Begrenzung der Managergehälter. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil habe sich mit seiner Kritik an der "Hartleibigkeit der Union" in dieser Frage "im Ton und in der Sache völlig vergriffen", sagte Röttgen. Bei den Beschlüssen zum Konjunkturpaket war die große Koalition bislang stets um den Anschein größtmöglicher Einigkeit bemüht. Damit ist es nun vorbei, bevor das Paket überhaupt beschlossen ist. Schuld daran sind allerdings nicht die Journalisten.

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