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KoalitionsrundeKleine Kompromisse in großen Fragen

Nach sieben Stunden Verhandlungen einigen sich die Koalitionsspitzen in der Nacht auf eine Ausweitung des Entsendegesetzes und eine Erhöhung der Pflegebeiträge.

Es gibt künftig etwas mehr Geld für ihre Pflege. Bild: dpa

BERLIN taz/rtr Die Spitzen der großen Koalition haben sich in der Nacht auf bei der Pflegereform und beim Mindestlohn auf Kompromisse verständigt. Bei der Pflegeversicherung einigte sich der Koalitionsausschuss darauf, den Beitragssatz ab Juli 2008 um 0,25 Prozentpunkte zu erhöhen. Um die Lohnnebenkosten stabil zu halten, soll im Gegenzug der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozentpunkte sinken. Beim Thema Mindestlohn verständigten sich Union und SPD auf ihrer Koalitionsrunde im Kanzleramt darauf, das Entsendegesetz auszuweiten. Künftig soll diese spezielle Regelung gegen Lohndumping aus dem Baugewerbe auf weitere Branchen ausgeweitet werden. Bislang gilt diese Regel außer im Bau nur bei Gebäudereinigern. Keine Einigung fanden die Koalitionäre beim Briefmonopol der Deutschen Post, das Ende dieses Jahres auslaufen soll.

Nach Angaben von SPD-Chef Kurt Beck soll das Entsendegesetz auf solche Branchen ausgeweitet werden, deren Arbeiter mindestens zur Hälfte tarifvertraglich organisiert seien. Er rechne damit, dass zehn bis zwölf Branchen über dieser Marke lägen. Für Branchen, in denen es keine tarifvertragliche Bindung gebe, sollten künftig über einen Ausschuss Anträge auf einen Mindestlohn gestellt werden können. Der Bundesarbeitsminister könne diese Position dann für allgemeinverbindlich erklären. Dem Ausschuss sollten Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie ein neutraler Vorsitzender mit Stimmrecht angehören.

Wie erwartet konnte sich die SPD nicht durchsetzen mit der Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Beck betonte aber, die SPD strebe eine solche generelle Lohnuntergrenze weiterhin an. Wer vollschichtig arbeite, müsse davon auch leben können. CSU-Chef Edmund Stoiber sagte dagegen, beim Thema Mindestlohn sei das Machbare erreicht worden. Für die Union sei wichtig, dass ein Lohn von Arbeitnehmern und Arbeitgebern fixiert und nicht von der Politik definiert werde.

Bei der Pflegeversicherung nahmen die Koalitionspartner von zentralen Festlegungen des Koalitionsvertrags Abstand: Wie Stoiber sagte, konnte die Union den von ihr geforderten Aufbau eines Kapitalstocks mit den Sozialdemokraten nicht durchsetzen. Diese wiederum hätten im Gegenzug auf einen Finanzausgleich zwischen der privaten und der gesetzlichen Pflegekasse gepocht, den die Union aus verfassungsrechtlichen Bedenken ablehne.

Stoiber und Unions-Fraktionschef Volker Kauder stellten zugleich für die Rentner als Ausgleich für den höheren Pflegebeitrag steigende Bezüge in Aussicht. Die Erhöhung werde so ausfallen, dass der höhere Pflegebeitrag nicht auf eine faktische Kürzung der Altersgelder hinauslaufen werde.

Beim Briefmonopol will die Koalition offenbar zunächst abwarten, wie Europa sich insgesamt entscheidet. Die SPD hatte sich wiederholt dafür ausgesprochen, das Monopol zu verlängern, weil andere EU-Länder bei der Post-Liberalisierung nicht zeitnah mitziehen wollten. Die Union hatte dagegen betont, sie sehe keinen Handlungsbedarf.

Die Grünen kritisierten die Kompromisse bei den Themen Mindestlohn und Pflegeversicherung als unzureichend. Sie gingen "an der einen oder anderen Stelle in die richtige Richtung, aber es ist ein viel zu kleiner Schritt für die große Aufgabe", sagte die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Renate Künast, am Dienstag im SWR. "Bei der Pflege (gibt es) ein bisschen mehr Geld, aber ohne Konzept und ohne Strukturen... Und das ist für zwei Legislaturperioden Debatte, ehrlich gesagt, zu wenig." Beim Mindestlohn gebe es für die von Lohndruck besonders betroffenen Branchen ohne Tarifbindung "nur einen vagen Vorschlag".

Unzufrieden mit dem Ergebnis zeigte sich auch der stellvertretende FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle. SPD und Union warf Brüderle am Dienstag vor einer Fraktionssitzung "Mutlosigkeit" in den Problemfeldern Pflege und Mindestlohn vor. Bei der Pflegereform plädierte er für die Umstellung auf eine Kapitaldeckung.

Auch der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, zeigte sich enttäuscht von den Ergebnissen zu Mindestlohn und Pflegeversicherung. "Es wäre wünschenswert gewesen, dass mehr rauskommt", sagte Lauk am Dienstag im Deutschlandfunk. So müsse die Pflegeversicherung auf ein Kapitaldeckungsverfahren umgestellt werden, wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Wichtig sei aber, "dass der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn nicht gekommen ist".

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