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Koalition sucht weiter nach Milliarden

■ Union angeblich gegen Autobahngebühr und höhere Steuern/ Finanzierungskonzept soll 35 Mrd. einsparen/ Lambsdorff für und gegen Mineralölsteuererhöhung/ SPD befürchtet Wortbruch

Berlin (taz/dpa) — Der Bonner Budenzauber um Verkehrsabgaben, Steuererhöhungen, Subventionsstreichungen und Haushaltsumschichtungen zur Finanzierung der deutschen Einheit wird auch in der kommenden Woche die Koalitionsverhandlungen beherrschen. Der FDP-Vorsitzende Graf Lambsdorff führte dazu am Wochenende sogar einen Interviewkrieg gegen sich selbst: Im Süddeutschen Rundfunk zog er eine Mineralölsteuer als „Möglichkeit“ in Erwägung und lehnte sie gleichzeitig in weiteren Interviews und in einem Schreiben an den bayerischen Innenminister Stoiber vehement ab. Es werde bei der konsequenten Haltung der FDP bleiben, daß eine Steuererhöhung zur Finanzierung der deutschen Einheit nicht in Frage komme, beruhigte der Graf den grollenden Stoiber.

Die Deutsche Presseagentur zitierte unterdessen „einflußreiche Bonner Unionskreise“, die die umstrittene Autobahngebühr „wegen erkennbaren Unsinns“ zu den Akten legen wollen. Die Schwierigkeiten innerhalb der EG seien von vornherein erkennbar gewesen. Ausschlaggebend für den abrupten Rückzieher der Koalition bei der Straßengebühr mag eher das verheerende Echo auf die Vignettenpläne gewesen sein. Selbst der ADAC hatte eine generelle Straßengebühr als „Schlag gegen die Umwelt“ gegeißelt.

Nun wollen CDU und CSU angeblich sowohl auf die Autobahngebühr als auch auf Steuererhöhungen verzichten. Auch die Postgebühren sollen nicht, wie bisher von Finanzminister Waigel angeregt, erhöht werden. Trotzdem soll die Bundespost künftig mehr an den Bundeshaushalt abführen als bisher. Ansonsten wollen die Unionspolitiker 35 Milliarden Mark durch Einsparungen und Umschichtungen im Haushalt zusammenraffen. Dieses „Finanzierungskonzept“ soll ab morgen in internen Beratungen der Koalition verhandelt werden. Unter anderem solle der Verteidigungsetat um sieben bis acht Milliarden abspecken, hieß es weiter. Bei einem Verzicht auf das von der FDP geforderte Niedrigsteuergebiet DDR, aber gezielten Investitionsanreizen in Ostdeutschland könnten auch ohne Steuererhöhungen im kommenden Jahr 35 Milliarden Mark eingespart werden. Daran mag der SPD-Finanzexperte und Vorsitzende des Bundestagshaushaltsausschusses, Rudi Walther, nicht glauben. Walther rechnet fest damit, daß die Bonner Koalitionäre ihr „Wort brechen“ und voraussichtlich die Mehrwertsteuer um zwei Prozent erhöhen werden. Dies, schrieb Walther in der 'Dresdner Morgenpost‘, sei jedoch die „unsozialste aller Steuern“, weil sie alle Verbraucher, „vor allem den kleinen Mann“ treffe. Der SPD-Haushaltsexperte rechnet mit einer Verschuldung der öffentlichen Haushalte von insgesamt über 160 Milliarden Mark im kommenden Jahr. Der FDP— Graf nannte als Grenze der Nettoneuverschuldung einen Betrag von 140 Milliarden.

Bundesaußenminister Genscher forderte währenddessen erneut eine Senkung der Körperschafts-, Lohn- und Einkommenssteuer in der ehemaligen DDR, um „den Standort Ostdeutschland“ für Investitionen „attraktiver“ zu machen. Darüber hinaus müßte die wirtschaftliche Entwicklung in den fünf neuen Bundesländern durch eine Neuregelung des Länderfinanzausgleichs vorangetrieben werden. Der Beitrag der westlichen Bundesländer zum Fonds Deutsche Einheit sei „völlig unzureichend“ und dürfe nicht das letzte Wort sein. gero

Kommentar Seite 10

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