Knotenpunkt der Solidarität

Gedankenzustände abbilden: Der 1989 im Osten der Stadt gegründete Basisdruckverlag versteht sich als „ehrliche, witzige und authentische“ Opposition zu einer westlich dominierten Öffentlichkeit

von MATHIAS ECHTERHAGEN

„Dieses Haus hier haben wir besetzt. Inzwischen gibt es natürlich einen Mietvertrag.“ Wenn sich Klaus Wolfram, einer der drei Leiter des Basisdruckverlags in der Schliemannstraße, die Zeit der Verlagsgründung zurückruft, spricht er langsam und konzentriert. Jedes Detail, jede Begebenheit ist wichtig. Ab und zu klingelt das Telefon oder jemand kommt zu ihm ins Büro. Der Ton, in dem dann Termine abgemacht und Grüße ausgerichtet werden, ist ungezwungen und freundlich. Wolfram kennt die meisten noch von früher. „Als der Osten noch lebendig war.“

Zusammen mit anderen gründete er 1989 die Verlags GmbH Basisgruppe, mit der alles anders werden sollte: das Reden über die Zukunft, die Zukunft selbst und die Arroganz der westlichen Medien, die nun auch für sie sprachen. Anhänger des „Neuen Forums“ gründeten im Verlag die Zeitschrift Die Andere, deren erste Nummer im Januar 1990 mit hunderttausend Exemplaren erschien. Dann sank die Auflage ziemlich schnell: Zum Zeitpunkt der Währungsunion waren es noch fünfzigtausend, im August 1992 war Schluss.

Der Basisdruckverlag, gedacht als publikatorisches Sammelbecken des linken Teils der Bürgerbewegung, konnte sich halten und allmählich das Angebot erweitern. Das erste veröffentlichte Buch war eine Zusammenfassung der Protokolle, die zwischen Januar und November 1989 in Mielkes Auftrag über die Bürgerbewegung angefertigt worden waren.

„Ich liebe euch doch alle“, so hieß das Buch ironisch, inzwischen ein Klassiker, der an die 200.000 Mal verkauft wurde, „viele gleich vom Laster runter“. Dies sei ein Effekt einer eigenen Öffentlichkeit gewesen, einer ostdeutschen, unterstreicht Wolfram, und darum gehe es nach wie vor. Gegen die westlich dominierte Öffentlichkeit müsse Opposition gemacht werden, „ehrlich, authentisch und witzig“. Dafür sollen Dichter der ehemaligen Prenzlauer-Berg-Szene sorgen wie Bert Papenfuss und Ulrich Zieger, Hintergrundberichte und Sachbücher zu DDR-Subkulturen, zur Wiedervereinigung und den Folgen im ostdeutschen Alltag, zum Stalinismus in der Sowjetunion und zu Minderheiten in osteuropäischen Ländern.

Neu ist die Reihe „Pamphlete“, die mit unkonventioneller Ästhetik Seitenblicke auf die politische Entwicklung der letzten Jahre wirft. Regelmäßig erscheint im Basisdruckverlag der Gegner (einst Sklaven, dann Sklavenaufstand), ein Kunst- und Politikblatt aus dem Geist der Revolte, textlastig, expressionistisch und pathetisch.

Im Hof des Basisdruckverlages herrscht Stille, manchmal klappert ein Fensterrahmen ans Gemäuer. Die Fensterscheiben sind alt und beschlagen, das Neonlicht aus den Verlagsräumen wirkt von außen blass. „Die Leute von früher“, sie leben noch in dieser Ecke des Bezirks, sagt Wolfram, er erkenne sie an Tonfall und Haltung.

Auch die Eckkneipe, in der keine Intellektuellen sitzen, aber jede Menge altgediente Arbeiter und Handwerker, gebe es noch. „Da herrscht der Ton von vor 1989. Die Umbauten haben die Mentalität nicht kaputtgekriegt.“ Klare Fronten und zurechtgerückte Dinge – in einer Erzählung von Ulrich Zieger, „Willkommen und Abschied“, erschienen in der Reihe Pamphlete, gibt es das alles nicht mehr. Der Erzähler hat sich in einer geheimnisvollen Welt verschanzt und erinnert sich. Seine Erinnerungsstränge treiben auseinander, immer weiter weg, bis sie die Grenze der Mitteilbarkeit passiert haben. „Manchmal schwant mir“, heißt es an einer Stelle, „wir könnten niemals zurückkehren, unser dasein habe sich bereits beendet, wir seien vergessen worden und das ganze unternehmen selbst sei nur die abbildung des zustands eines gedankens, den man wohl eine weile über verfolgte (...).“

Ulrich Zieger kam aus der DDR-Provinz in den Prenzlauer Berg, dort ließ es sich mit Gleichgesinnten besser leben, nicht nur, weil die Behörden den Überblick über den Bestand an Wohnungen verloren hatten. Einer der Gleichgesinnten, der aus Berlin-Lichtenberg kommt, war damals Stefan Reth, heute Geschäftsführer im Basisdruckverlag. Viele aus seinem Umkreis sind noch mit dem Verstehen der letzten Jahre beschäftigt, sagt er, und nicht alle würden mit den Veränderungen fertig. Reth sortiert eingeschweißte Bücher ins Regal und stapelt den neuen Gegner auf den Tisch. Dann zündet er sich eine Zigarette an. So viel sei aber klar, dass es einen anderen Weg als den der Realität nicht gebe, sagt er. Wenn man etwas machen wolle, etwas organisieren.

Das Geld ist knapp im Verlag, wie bei anderen unabhängigen Kleinverlagen auch. Publikationen wie die über den kultigen Fußballclub Union Berlin verschaffen mit etwas Glück wieder den nötigen Spielraum, um über eine Erweiterung des Programms nachdenken zu können. Wolfram nennt den Basisdruckverlag einen „Knotenpunkt der Solidarität“, die Autoren publizierten hier für wenig Geld, manche Publikationen seien auch reine Freundschaftsdienste. Den Autoren würden dafür keine Bedingungen aufdiktiert und sie würden als ganze Personen samt ihrer Lebensgeschichte gesehen. „Teilgeschäfte machen wir nicht.“

Wenn es ums wirtschaftliche Überleben geht und um Biografien, um Bilanzen, persönliche wie gesellschaftliche, dann wird der Blick manchmal eng. Vielleicht ist das der Grund, warum es zu jener merkwürdigen Konstellation kam, im März im Kaffee Burger.

Leute von der Zeitschrift Gegner trafen sich dort mit dem rechtsradikalen FU-Professor Bernd Rabehl zu einer Podiumsdiskussion. „Wir wollten sehen, ob die Vorwürfe stimmen, die Rabehl gemacht werden. Für mich sind das feste Schemen aus dem Westen. „Ich zähle Bernd Rabehl nicht gleich zu den Rechten“, meint Wolfram. Damals wurde die Veranstaltung von Bert Papenfuss wegen vieler lauter Zurufe aus dem Publikum abgebrochen.

Wolfram lehnt sich zurück. Er lässt sich nicht beirren, nicht von Leuten aus dem Westen. Die können die Dinge hier einfach nicht verstehen.