: Knoten im Knie
■ Ein toller Deal von Aufbau und Bouvier im Deutschen Theater
Wer — außer kühl kalkulierenden Geschäftsmännern — kommt auf die Idee, sich an einem heißen Sonnensamstag einem achtstündigen literarischen Programmarathon zu unterziehen? Das Kalkül ist der Sonne zum Trotz aufgegangen. Der Lange Samstag der Autoren, zu dem der Aufbau-Verlag, die Buchhandlung (pardon, Immobilienhändler!) Bouvier und die »Stiftung Lesen« ins Deutsche Theater geladen hatten, war erstaunlich gut besucht. Dezent und überaus diskret hatten die Veranstalter AutorInnen wie Friederike Mayröcker und Ernst Jandl schon am Donnerstag und Freitag zu »Bouvier« geladen, damit sie — en passant sozusagen und als alte »Aufbau«-AutorInnen — von der unattraktiven halbstündigen Lesehatz im Deutschen Theater überzeugt werden konnten.
Man eröffnete also die Veranstaltung mit einem Kaffee auf dem Vorplatz. Heiner Müller war nicht erschienen, man spekulierte über die Motive, wünschte Lew Kopelew, Hans Sahl und Hans Mayer, die aus gesundheitlichen Gründen abgesagt hatten, baldige Genesung. Die beiden Bühnen, auf denen die Lesungen stattfanden, waren angemessen sommerlich ausgestattet und am Bühnenrand mit einem Tisch versehen, der jede Regung der Lesenden der Beobachtung preisgab. Während der ungeübtere Mario Wirz seine Verlegenheit nur schwer mit umständlich verknoteten Füßen zu verbergen versuchte, stampfte der schon beim Auftritt mit einem Publikumsbonus belohnte Ernst Jandl seine Versmelodie in die Bretter. Der georgische (deutschsprachige) Dichter Giwi Margwelaschwili erschien demonstrativ mit einer roten, zerknautschten »Bouvier«-Tüte [geil!d. säzzerin], aus der er Brille und Buch zauberte. Er las aus seinem Kurzprosaband Der ungeworfene Handschuh — witzige Philosophien über den »lebendigen Leser«, der endlich in die »Verswelt« der klassischen Dichtung eingreift. Armin Mueller-Stahl bereicherte das Wissen des Publikums um einige Anekdoten aus Hollywood, die er mit dem Gestus eines Mannes erzählte, der gewohnt ist, mit Texten zu jonglieren. Weniger aufregend Eberhard Häfner und Mario Wirz: der eine näselte gezierten Dialekt (einziges Spannungsmoment: Wann wird die gestrenge Brille die Nase herabschlittern?), der andere trug mit angenehm sonorer Stimme die sympathisch unwichtige Betrachtung eines Westberliner Homosexuellen vor. Im Anschluß an die Lesung von Jandl führten vier Schauspieler des dresdener statt-theaters eine musikalisch-theatralische Jandl- Collage auf, die durch eine gewisse Distanz zu Jandl dessen Texten ex-post mehr Schärfe verlieh. Den krönenden Abschluß bot die Chansonnière Georgette Dee, die es sich nicht nehmen ließ, Marlene Dietrich zu ehren, und uns mit Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt... entließ.
Frage zum Schluß: Kann so Literatur erlebbarer werden, obwohl sie längst zur gesponserten Ware mutiert ist? Immerhin, die Lesesäle können ohne Werbebanderolen auskommen. Kluge PR-Veranstaltungen der ganz Großen lieben wir über alles. mis/mk
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