Knochenarbeit unter dem Mindestlohn: Rebellion aufm Acker

Seit letztem Jahr kämpfen georgische Erntehelfer:innen für den ihnen vorenthaltenen Lohn. Der Konflikt wird auch auf dem taz lab thematisiert werden.

Mehrere Männer, sie sind Saisonarbeiter, gehen mit Sammelkörben an Gewächshäusern entlang zu einem Feld.

Spargel als Ziel, viel zu wenig Geld als Ergebnis – Saisonarbeiter auf dem Weg zur Arbeit Foto: picture alliance/dpa/Andreas Arnold

Von TIGRAN PETROSYAN

taz lab, 23.03.22 | Niemand hatte damit gerechnet, dass gerade Sai­sonarbeiter:innen aus der Südkaukasusrepublik Ge­orgien in Deutschland rebellie­ren würden. Doch seit Juni 2021 kämpfen georgische Saisonar­beiter:innen für den ihnen vor­enthaltenen Lohn für ihre Arbeit auf einem Erdbeerhof am Bodensee.

Die Beschwerden über die schlechten Arbeitsbedingungen stoßen in der georgischen Hei­mat und in Deutschland zu­nehmend auf Resonanz. Inzwischen gehen die Erntehelfer:in­nen in beiden Ländern juristisch gegen georgische Arbeitsagen­turen und deutsche Arbeitgebe­r:innen vor.

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Arbeiten unter dem Mindestlohn

In vielen Arbeitsverträ­gen wird ein Mindestlohn von 9,35 Euro genannt. Das ent­spricht nicht dem gesetzlichen Mindestlohn. Allein das ist schon ein Verstoß gegen deut­sches Recht.

Die Betroffenen werden jedoch nach Gewicht der geernteten Erdbeeren bezahlt: Drei Euro erhalten sie für 5 Kilo­gramm. Viele schaffen maximal 10 Kilogramm in einer Stunde, das kommt einem Stundenlohn von 6 Euro gleich.

Klage für Gerechtigkeit

Achtzehn Saisonarbeiter:in­nen haben das Arbeitsgericht Friedrichshafen ersucht, für sie eine Lohnklage einzureichen. Das Arbeitsgericht Ulm und die Kammer in Ravensburg haben die Lohnklage angenommen. Die mündliche Verhandlung ist auf den 4. März festgesetzt.

Deutsche Hofbesitzer versto­ßen gegen Gesetze und sie ge­hen unwürdig mit den georgi­schen Arbeitnehmer:innen um“, erzählt Tamila Gabaidze im Ge­spräch mit der taz.

Sie ist Rechts­anwältin des Gewerkschafts­bunds Georgiens (GTUC) in der Hauptstadt Tiflis und möchte auch die georgische Regierung vor Gericht bringen. Denn die Arbeitsverträge hat die georgi­sche Staatsagentur für Arbeitsförderung abgeschlossen. Was bedeutet, dass sich diese Behörde um korrekte und rechts­konforme Arbeitsverträge küm­mern muss.

Das Ziel der Klage ist, dass ihre Mandant:innen den Lohn erhalten, der ihnen gesetzmäßig zusteht. In jedem einzelnen Fall geht es immerhin um über 1.000 Euro. Diese Dif­ferenz müsse dann gegebenen­falls der georgische Staat bezah­len, findet Gabaidze.

Beliebtes Angebot

Seit dem 15. Februar 2021 er­laubt Deutschland georgischen Staatsbürger:innen, einer lega­len Beschäftigung in der Landwirtschaft nachzugehen. Es handelt es sich dabei um ein Saisonprogramm, das maximal 90 Tage dauert. Somit ist Georgien das erste Land, mit dem Deutschland ein Drittstaatenab­kommen geschlossen hat.

Letz­tes Jahr sollen sich nach Angaben des Verbands Ostdeutscher Spargelbauern auf 5.000 Stellen rund 80.000 Interessent:innen aus Georgien beworben haben.

Was passieren muss

Ein Artikel in der taz vom 25. Mai 2021 deckte erstmals die schlechten Zustände auf einem Erdbeerhof in Baden­-Württem­berg auf. Es ging dabei um ar­beitsrechtliche Missstände wie auch um die Unterkünfte der Saisonarbeiter:innen.

Daraufhin besuchten lokale Hilfsorganisationen das Erd­beerfeld. Margarete Brugger, Beraterin der Organisation „mira – Mit Recht bei der Arbeit“ be­gleitet Erntehelfer:innen vor Gericht.

„Es ist wichtig, dass es Beratungsstellen und weitere Hilfsmöglichkeiten gibt, wel­che Arbeitnehmende dabei un­terstützen, ihre Rechte wahr­zunehmen und Missstände aufzuzeigen. Nur so kann die menschenwürdige Umsetzung bestehender und geplanter Arbeitsabkommen mitgestaltet werden“, sagt sie.

Sollte die eingereichte Klage erfolgreich sein, wäre das zumindest ein erster Sieg, der auch Arbeitskräfte aus Polen und den Balkanstaa­ten dazu ermutigen könnte, sich endlich zur Wehr zu setzen.

Tamila Gabaidze und Margarete Brugger werden auf dem taz lab über die Zukunft der Saisonarbeiter:innen in Deutschland sprechen.