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Knausern in JapanWenn Sparen zur Krankheit wird

In Japan wächst die Zukunftsangst, die Menschen sparen wie verrückt. Das bekommt der Wirtschaft gar nicht gut. Es herrscht Deflation.

Viel Gucken, wenig Kaufen: Geschäft in Japan. Bild: dpa

TOKIO taz | Ein Pfund Edelkirschen in Geschenkverpackung kostet umgerechnet 100 Euro, aber beim Mittagessen brauchen die Japaner für eine Schale Reis mit Rindfleisch nur noch 3 Euro zu bezahlen. Für einen Quadratmeter Bauland am Stadtrand von Tokio sind leicht 3.000 Euro zu berappen, doch eine Jeans geht schon für knapp 6 Euro über den Ladentisch. Die Wirtschaftskrise hat Japans ohnehin krasse Gegensätze bei Konsum und Preisen noch verschärft: Obst und Immobilien waren schon immer teuer, aber Fastfood und Textilien noch nie so günstig. Seit der Krise sparen die Japaner nämlich wie verrückt. Die Folge sind regelrechte Preiskriege, um die Kunden in die Geschäfte zu locken. Viele Waren werden dabei immer billiger.

Banken sind saniert

Die enorme Sparwut hat sogar schon das Gesicht der Ginza verändert: In den Auslagen der Nobelwarenhäuser auf Japans bekanntester Einkaufsmeile dominierten früher edle Designermode, teurer Schmuck und andere Luxusartikel. Jetzt bestimmen hier große Filialen der Textilketten Uniqlo, H&M, Forever 21 und Zara mit ihrer preisgünstigen Massenware das Bild. "Auch billige Mode steht mir gut", rechtfertigt eine 46-jährige Hausfrau ihren Wechsel vom Pariser Designer Michel Klein zur Textilkette Uniqlo, dem japanischen Pendant zu C&A.

Japans Wirtschaft

Schulden: Japan ist der größte Kreditgeber der Welt und hält nach China die zweitgrößten Devisenreserven der Welt. Zugleich hat es nach den USA den zweithöchsten Schuldenberg und relativ zu seiner Wirtschaftsleistung die meisten Verbindlichkeiten angehäuft. Die Schulden der Zentralregierung standen Ende Juni bei 904 Billionen Yen (8.140 Milliarden Euro).

Wirtschaftskraft: 2009 schrumpfte das reale Bruttoinlandsprodukt um 5,2 Prozent auf 554 Billionen Yen (5.000 Milliarden Euro). Für das laufende Haushaltsjahr erwartet die Regierung ein Wachstum von 2,6 Prozent.

Arbeitslosigkeit: Die Arbeitslosenquote stieg im Juni auf 5,3 Prozent.

Preise: Inflation ist in Japan unbekannt. Die Preise fallen seit fast anderthalb Jahren. Ihr Verfall hat sich aber von 2,4 Prozent im letzten Sommer auf 1 Prozent im Juni verlangsamt.

Sparmaßnahmen: Die Regierung will nicht sparen, sondern deckelt lediglich Ausgaben und Neuverschuldung auf dem Stand von diesem Jahr. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 5 Prozent ist seit ihrer Wahlniederlage im Juli vom Tisch. (mf)

Nur der japanische Staat lebt ganz konsequent seit zwei Jahrzehnten über seine Verhältnisse (siehe Kasten). In diesem Jahr gibt er 830 Milliarden Euro aus, davon sind fast 400 Milliarden Euro neue Schulden, fast fünfmal so viel wie in Deutschland. Die öffentlichen Verbindlichkeiten sind mehr als doppelt so hoch wie die jährliche Wirtschaftsleistung. Die Ursache dafür ist so einfach wie paradox: Seit dem Platzen der eigenen Spekulationsblase mit Aktien und Immobilien im Jahr 1990 wurde die Wirtschaft ständig mit Konjunkturprogrammen angekurbelt, während die Verbraucher und die Firmen ihre Schulden zurückgezahlt und Geld auf die hohe Kante gelegt haben.

Aus sozialer Sicht war diese Wirtschaftspolitik ein voller Erfolg: Obwohl die meisten Anlagen von der Aktie bis zum Grundstück in den letzten zwei Jahrzehnten bis zu 90 Prozent an Wert verloren, waren nie mehr als 3,8 Millionen Japaner arbeitslos. Die höchste Quote betrug 5,6 Prozent. Japans Volkswirtschaft blieb die zweitgrößte der Welt. Der Anteil der Armen stieg zwar auf knapp 16 Prozent, aber die Kluft zwischen Arm und Reich wuchs lange nicht so stark wie in den USA. Die Banken sind saniert, die Hälfte der börsennotierten Unternehmen ist schuldenfrei, viele Firmen schwimmen im Bargeld. Die Bürger haben über 13 Billionen Euro an Vermögen angehäuft - doppelt so viel wie die Deutschen.

Hohe Ersparnisse sind in Japan eine notwendige Reserve: Schul- und Studiengebühren machen die Ausbildung der Kinder zu einer teuren Angelegenheit. Außerdem dienen die Rücklagen für schlechte Zeiten: Die Volksrenten sind niedrig, Sozialhilfe gibt es kaum. Der konservative Umgang mit Geld ist zugleich tief verwurzelt im japanischen Denken: "Es gehört zur konfuzianischen Lehre, für die Zukunft zu sparen", erklärt der Ökonom Richard Koo. Japanische Hausfrauen kontrollieren die Familienfinanzen und wetteifern regelrecht darum, so günstig wie möglich eine Mahlzeit zuzubereiten. "Ich staune, wie wenig Geld sie brauchen", erklärt Satoko Sugiki vom Magazin Die hübsche Ehefrau. Je Mitglied kämen viele Familien mit monatlich 90 Euro für Lebensmittel aus.

Tipps für die Hausfrau

Das Magazin lässt seine Leserinnen ihre ganz speziellen Spartricks erzählen: So empfehlen die genügsamen Frauen, das Wasser vom Spinatkochen als kostenlose Gesichtslotion zu verwenden. Sie besprühen weiße T-Shirts an den Achselstellen von innen mit Kleber, damit sich Schweiß und Deo nicht in den Fasern festsetzen und den Stoff nicht verfärben. Oder sie stecken sich bei Schnupfen auf dem Balkon gezogene Frühlingszwiebeln in die Nase, um den Schleim zu lösen, statt dafür teure Medikamente zu benutzen. "Urazawa" (Hintertür) heißen solche Tricks, benannt nach versteckten Kommandos in Videospielen, die Figuren auf höhere Spielebenen katapultieren oder ihnen ungeahnte Kräfte verleihen.

Genügsamkeit ist keineswegs der einzige Wert der japanischen Gesellschaft. Über die Hälfte der Frauen gibt Shopping als ihr Hobby an. Die Sparquote ist in diesem Jahrzehnt kontinuierlich gefallen, weil vor allem die älteren Generationen ihren Lebensstandard hielten, indem sie ihre Rücklagen angriffen. Zudem preist die Werbung inzwischen auch in Japan den Konsum als glücksbringend an, während die Politik ihn zur ersten Bürgerpflicht erklärt hat. Das Programm der Demokratischen Partei, die seit einem Jahr regiert, zielt darauf ab, den Bürgern durch niedrigere Abgaben und höhere Sozialleistungen zusätzliches Geld in die Tasche zu schieben, damit sie mehr konsumieren. Auf diese Weise soll Japan weniger abhängig vom Export und von staatlichen Finanzspritzen werden.

Denn das Sparen der Firmen und Verbraucher hat die japanische Wirtschaft chronisch krank gemacht. Sie könnte viel mehr Leistungen und Waren herstellen, als nachgefragt werden. In diesem Umfeld können Firmen die Verkaufspreise ihrer Produkte nicht anheben. Um zu überleben, drücken sie die Kosten für Material, Mieten, Fabriken und schließlich auch die Löhne. Dadurch sinkt der private Konsum, was die Preise noch tiefer zieht. Lange Zeit wurde diese Spirale nach unten nicht beklagt. "Die Japaner lieben die Deflation, weil alles immer billiger wird", sagt die Analystin Ritsuko Sakami von der Vermögensverwaltung JP Morgan. Schließlich hatten die japanischen Firmen in den 80er Jahren mit überhöhten Preisen in der Heimat ihre Expansion ins Ausland finanziert. Der Rückgang auf ein normales Preisniveau war deshalb Anlass zur Freude.

Doch Genügsamkeit ist letztlich der Ruin der kapitalistischen Gesellschaftsordnung: Bis zur Finanzkrise 2007/08 sanken die Preise schneller als die Löhne, sodass man mit weniger Geld mehr kaufen konnte. Doch während der schweren Rezession im letzten Jahr erlebten viele Arbeiter und Angestellte schockiert, wie die Firmen ihren Sommer- und Winterbonus beschnitten. Mit diesen Sonderzuwendungen, die Teil des Gehalts sind, bezahlen die Japaner traditionell große Anschaffungen, die Schulgebühren und die Kreditraten für das eigene Häuschen. "Wir hatten plötzlich Existenzsorgen", erzählt der Verlagsmitarbeiter Mineo Tanaka, der eine Frau und einen Sohn ernährt.

Seine Angst vor dem sozialen Abstieg ist verbreitet: Nach einer Umfrage des Deutschen Instituts für Japanstudien (DIJ) in Tokio vom letzten Herbst befürchten 72 Prozent der Japaner, ihr gegenwärtiges Einkommen nicht halten zu können. Zwei Drittel der Erwerbstätigen schließen ihren beruflichen Abstieg in naher Zukunft nicht aus. "Über die Hälfte der Befragten empfindet es als ständige Gratwanderung, mit ihrem Einkommen zurechtzukommen", berichtet die DIJ-Soziologin Carola Hommerich. 42 Prozent der Befragten halten sich selbst für arm.

Übel erkannt

Auch die Politiker sind inzwischen aufgewacht und haben die Deflation als die größte Gefahr für die Zukunft Japans ausgemacht. "Wir müssen die Deflation beseitigen, um die Gesundheit der Wirtschaft wiederherzustellen", erklärt Premierminister Naoto Kan. Eigentlich müsste er die Staatsausgaben kürzen, damit die Schulden nicht mehr so schnell wachsen. Doch damit würde er die Deflation noch anheizen. Höhere Steuern sind genauso gefährlich, weil sie den Konsum verringern und die Deflationslücke vergrößern.

Deshalb werden die Rufe nach einer radikalen Lösung lauter. Der amerikanische Starökonom Paul Krugman nennt es eine "Schandtat" der Finanzbürokraten, dass die Deflation immer noch nicht beseitigt ist. Er verlangt, dass die Bank von Japan die Druckerpresse anwirft, indem sie in großem Stil Staatsschulden aufkauft und dadurch eine milde Inflation auslöst. Erst wenn die Preise regelmäßig steigen, werden die Japaner wieder mehr Geld ausgeben und damit der Falle aus Sparen und Preisverfall entkommen.

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10 Kommentare

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  • A
    anke

    Es gehört also zur konfuzianistische Lehre, FÜR DIE Zukunft zu sparen. Nun, dann gehört es gewiss zur christlich-abendländischen Tradition, AN DER Zukunft zu knapsen. Der oberste Chef des Thüringischen Rechnungshofes beispielsweise (ein waschechter West-Import übrigens) hat dem notorisch klammen Frei-Staat jedenfalls erst heute "empfohlen", exakt jene Studiengebühren wieder einzuführen, die unter Althaus schon einmal beschlossen worden waren und die nach dem CDU-(All-)Machtverluste durch die schwarz-rote Koalition abgeschafft worden sind. Offenbar will der Rechnungshofchef von Japan das Siegen lernen. Spare in der Not, liebes Thüringen, denn dann hast Du Zeit dazu. Du weißt schließlich nie, ob du nicht auch morgen noch das große Pech hast, dass ein Teil deiner Kinder (und zwar nicht unbedingt die der besserverdienenden Rechnungshof-Präsidenten) mit einen IQ von > 140 auf die Welt kommt. Also: Nix Shopping. Sparing. Ja, liebe taz: Denkfabrik waren wir gestern hier in Thüringen. Morgen werden wir Spar-Weltmeister sein.

  • J
    johnny

    und weil ich gerade so gut drauf bin:

     

    das tolle am neoliberalen "über unsere verhältnisse gelebt" ist ja, dass es im grunde stimmt.

     

    dass die neoliberalen das argument zur umverteilung nutzen, ist eine vollkommen andere geschichte. und dass ihnen mit der kohle dann nur finanzspekulation einfällt anstatt umzuverteilen, ohnehin.

     

    am ende muß aber immer geld zum konsumieren da sein, daran ändern auch die neoliberalen nichts.

    nur ob das bei uns nötig ist oder bei den typen die beispielsweise die rechner produzieren auf denen wir hier rumtippen, das sei mal dahin gestellt.

  • J
    johnny

    @ kaboom

     

    noch mal anders gesagt, wie sähe unser ressourcenverbrauch eigentlich aus wenn wir die lohnsteigerungen gehabt hätten? noch nen bißchen schlechter, oder?

     

    argumente wie deine und die von krugman dienen im wesentlichen dazu, den konsum im westen über schulden und auf kosten der schwellenländer noch etwas hochzuhalten.

     

    ganz toll!

  • N
    Nico

    @Dolph

    Es ist doch sehr wahrscheinlich, dass schon einmal irgendwann darüber berichtet wurde, und wenn es vor 10 Jahren war...

    Abgesehen davon kann man ja nicht IMMER über ALLES berichten!?

  • K
    Kaboom

    @Johnny

     

    Es ist wirklich interessant zu sehen, das es doch tatsächlich immer noch Leute gibt, die den neoliberalen Unfug vom "wir haben über unsere Verhältnisse gelebt" glauben. Und das nachdem wir hierzulande in den letzten 15 Jahren genau 3x Reallohnzuwächse haben, nachdem die Staatsquote heute mehr als 10% niedriger ist als zu Zeiten des Bimbeskanzlers. Nachdem wir in diesem Land heute eine geringere Kaufkraft haben, als praktisch die gesamte "alte" EU, von den Ländern an der südlichen "Grenze" mal abgesehen (wobei auch der Norden und die Mitte Italiens uns diesbezüglich überholt haben). Nachdem Länder wie Bulgarien dieses Land bezüglich Kaufkraft innerhalb der nächsten 3 Jahrzehnte überholen werden, wenn sich an der Entwicklung nichts ändert.

     

    Da bedarf es eines wirklich deutlich überdurchschnittlichen Grades an Realitätsverweigerung, angesichts der o.g. Fakten immer noch diesen Unsinn zu glauben.

  • K
    Krampe

    Krugman ist noch so einer dieser Greenspan-Nachfolger, die aus der Krise wenig gelernt haben. Dass der sein Wall-Street-Mantra absingt ist vorherzusehen, aber warum er hier als "Starökonom" geführt werden muss, nicht.

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Das 2%Wachstumszwang- und Ressourcenverschwendungs-Regime der KAPITALSTOCKMAXIMIERER ist in Japan am Ende. Alle Optionen beschleunigen offensichtlich den Crash. Wenn das Gesunde zur Krankheit wird, dann tanzen die Machtverhältnisse dem Abgrund entgegen.

     

    Japan könnte das erste Land werden, das sich gezwungen sieht, ein Wirtschaftssteuerungssystem zu implementieren, das gesellschaftliche Stabilität o h n e Wachstum (nachhaltiges Wirtschaften) garantiert und das aus der Ordnung des KREATIVEN Evolutionspfades abgeleitet ist und diese im Industriesystem realisiert.

     

    Jeder Ordnungspolitiker und Volkswirtschaftler weiß, dass die beste Wirtschaftsordnung eine gesteuerte, natürliche Deflation aufweist. Dessen Merkmal ist ja die steigende Effizient beim Einsatz/Verbrauch der Produktionsfaktoren, d.h. Vermeidung aller Verschwendung durch ständige Verbesserung und Kostensenkung. Dieses Merkmal ist bestriebswirtschaftliche selbstverständlich. Auf volkwirtschaftlicher Ebene wird dies durch die Verteilung des Produktivitätsfortschritts via Preissenkung - ALDI-Prinzip - implementiert. Sie führt zur höchsten Effizient des Ressourceneinsatzes. Und nur so dient - zu Ende gedacht - die Wirtschaft dem menschlichen Ziel der allseitigen Entwicklung der Menschlichen Fähigkeiten - hin auf heitere Erleuchtung für alle.

     

    Wir können sicher sein, dass die Ressourcenverschwendungs- und Ökonomieterror- und 2%Wachstumszwang-Phase in der Entwicklung der Industriekultur bald beendet sein wird. Japan oder Deutschland machen's möglich. In Japan erzwingen es die Verhältnisse und in Deutschland existiert das Exodus-Knowhow.

  • J
    johnny

    ganz spannender artikel bei dem auch indirekt klar wird, warum es mit der (semi)linken einfach nichts wird:

     

    da hat man ein land, dass sich nach vielen jahren ausgeprägten konsumierens nun mal zurück hält und so viel nun wahrscheinlich auch nicht vermißt.

     

    und dann hat man eine (globale)wirtschaft, die bei dieser gelegenheit vielleicht mal lernen könnte, dass sie nach dem ende der arbeiterbewegungen selbst dafür sorgen muß, dass die leute genug kohle zum konsumieren haben. zb in den billiglohnländern.

     

    und dann hat man krugman, der nichts schlaueres fordert, als ein noch immer überkonsumiertes land wieder zum konsumieren zu bringen.

     

    wow, kann man da nur sagen, lang lebe die (reiche)linke.

     

    anstatt sich mal über ökonomische möglichkeiten globaler umverteilung gedanken zu machen kümmert sie sich noch immer um die stabilisierung unseres übertriebenen wohlstands.

     

    danke schön auch.

  • D
    Dolph

    Nach 20(!) Jahren entdeckt die taz die japanische Deflation??? Respekt...

  • L
    Lulu

    Die Zukunftsangst bekommt den Menschen nicht gut!