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Knatsch um GebietsreformSorge vor roter Großmacht im Süden

In Niedersachsen fusionieren nur wenige Kommunen. Bei Göttingen, Northeim und Osterode, die eine Fusion beraten, sträubt sich unterdessen der Innenminister

Entscheidet heute, ob konkrete Fusionsverhandlungen aufgenommen werden sollen: Osterode Bild: dpa

HANNOVER taz | Freiwillig sollen sich Niedersachsens Kreise neu ordnen und fusionieren, betont die schwarz-gelbe Landesregierung stets. Wenn der Kreistag von Osterode im Harz am heutigen Montag entscheidet, ob er mit Goslar oder Göttingen und Northeim konkrete Fusionsverhandlungen aufnimmt, wird das die Landespolitik in Hannover dennoch nicht unbeteiligt lassen: Einen Großkreis Göttingen-Northeim-Osterode lehnt der für die Kommunalaufsicht zuständige Innenminister Uwe Schünemann (CDU) entschieden ab – allen Bekenntnisse zur Gebietsreform „von unten“ zum Trotz.

Finanziell angeschlagene Kommunen können bis Ende März 2013 sogenannte Zukunftsverträge mit dem Land abschließen: Fusionieren sie mit Nachbarkommunen, übernimmt Niedersachsen bis zu 75 Prozent ihrer kurzfristig aufgenommenen Kredite. Bislang sind Zusammenschlüsse selten: 22 Verträge sind besiegelt, Fusionen wurden laut Innenministerium nur acht vereinbart. Denn die Kommunen bekommen auch Hilfe bei der Entschuldung, wenn sie binnen zwei Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen – was sie offenbar vorziehen.

Bei Göttingen, Northeim und Osterode aber stellt sich Schünemann quer. Göttingen und Northeim haben sich längst zur Dreier-Fusion bekannt. Der Osteroder Kreistag entscheidet heute, ob er mit den beiden oder nur mit Goslar in verbindliche Verhandlungen tritt. Die Grünen haben sich bereits für den Großkreis ausgesprochen. Die SPD mit 19 von 42 Kreistagssitzen hat sich vorab nicht festgelegt.

Warum fusionieren?

Eine Gebietsreform ist in Niedersachsen unausweichlich, sagt ein Gutachten, 2010 vom Verwaltungswissenschaftler Joachim Hesse für Schwarz-Gelb erstellt.

19 der 37 Landkreise, drei der acht kreisfreien Städte sind demnach wegen ihrer kommunalen Strukturen, Haushaltslage und Demografie nicht überlebensfähig.

Die Landesregierung setzt bislang auf freiwillige Fusionen, achtet aber darauf, dass die Gebilde nicht zu groß werden - wie bei Göttingen-Northeim-Osterode.

Dabei beruft sie sich auf Mecklenburg-Vorpommerns Verfassungsgericht, das dort einst eine Kreisreform annuliert hat: Fünf statt zwölf Landkreise wollten SPD und PDS. Solche Großkreise lassen sich nicht mehr ehrenamtlich regieren, befand das Gericht.

Schlussendlich wurden es in Mecklenburg-Vorpommern sechs Kreise - darunter mit 5.500 Quadratkilometern Fläche der größte bundesweit.

Dass Osterode alleine nicht überleben kann, darüber ist man sich einig: Von 77.000 auf 60.000 soll die Einwohnerzahl bis 2030 schrumpfen – der demografische Wandel schlägt sich im Harz besonders nieder. Auch Niedersachsens oberster Kommunalaufseher Schünemann sieht das. Statt eines klar SPD-dominierten Großkreises in Südniedersachsen will er allerdings einen Zusammenschluss Osterodes mit dem ebenfalls finanziell angeschlagenen Goslar.

Schon im Juni soll er das laut Medienberichten bei einem Sportevent in Osterode verkündet haben: „Eine Südfusion unterschreibe ich nicht.“ Stattdessen soll er auf Goslar gedrängt haben. Im Landtag hat er das inzwischen dementiert. Er habe in Osterode lediglich „rechtlichen Bedenken Ausdruck verliehen“, erklärte er dort auf SPD-Anfrage.

Diese Bedenken unterfüttert Schünemann mit einem Gutachten seiner Juristen. Die nennen eine Dreier-Fusion verfassungswidrig: Ein solcher Kreis gefährde mit einer „bundesweit einmaligen Kombination“ aus vielen Einwohnern und großer Fläche bei 470.000 Menschen auf 3.000 Quadratkilometern die „bürgerschaftlich-demokratische Prägung kommunaler Selbstverwaltung“.

Göttingens Landrat Bernd Reuter (SPD) hingegen, der eine Südfusion seit Jahren vorantreibt, sieht Schünemann „bis auf die Knochen blamiert“. Reuter hat jüngst ein Gegengutachten zum „Kampfpapier“ des Ministers vorgelegt, wie er es nennt. Laut dem Göttinger Rechtswissenschaftler Hans Michael Heinig ist ein Großkreis keinesfalls von vornherein verfassungswidrig. Zunächst müssten Ergebnisse von Fusionsverhandlungen der Kreise abgewogen werden – und ob es solche Verhandlungen überhaupt gibt, entscheidet erst heute der Osteroder Kreistag.

In Göttingen ist Landrat Reuter trotz des Drucks aus Hannover zuversichtlich. Mit 100.000 Euro für die Öffentlichkeitsbeteiligung bei einer Dreier-Fusion plant er vorsorglich im Haushalt. Denn in Osterode kämpft eine Bürgerinitiative zur Stärkung der Harzer Identität für die Fusion mit Goslar, in Göttingen werden Unterschriften für einen Fusions-Bürgerentscheid gesammelt.

Ein Sprecher des Landkreises nennt das ein „demokratisches Anliegen“ – und bleibt gelassen: 20.000 Unterschriften seien für einen Bürgerentscheid nötig. Andernfalls „entscheiden eben die von den Bürgern demokratisch gewählten Vertreter“.

Und auch das Innenministerium bemüht sich, demokratische Gepflogenheiten zu wahren: Sollten sich Göttingen, Northeim und Osterode auf einen Zusammenschluss einigen, werde man ihr Begehren „selbstverständlich“ prüfen, sagt ein Sprecher.

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1 Kommentar

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  • T
    tarus

    Eine 60 000 Einwohnerstadt ist immer noch

    sehr groß und allein überlebensfähig,wenn

    der Altenanteil unter 30% bleibt.

    Sofern das gegeben ist, besteht keine

    Notwendigkeit zur Zwangszusammenlegung.

    Wir brauchen keine Notstandsregime, sondern

    Konkurrenz und Freiraum zur Verwirklichung

    von Wohlstand und Nachwuchs sichernden Konzepten.

     

    Gerade im Meistern der Krise können sich

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