piwik no script img

Knabenharem an der OdenwaldschuleDer Sexappeal des Mick Becker

Gerold Becker betrieb bis 1985 an der Odenwaldschule eine Art Knabenharem. Der "Mick Jagger der Pädagogik" manipulierte nicht nur Schüler und Lehrer, sondern auch Intellektuelle.

Postkarte zur Installation "Die Tränen der Knaben", zum 100-jährigen Jubiläum der Odenwaldschule. Bild: dpa

BERLIN taz | Ein wenig oberhalb des Örtchens Ober-Hambach stehen an den Wald geschmiegt Häuser mit klingenden Namen. Goethe, Pestalozzi, Humboldt, Herder - lauter leuchtende Geister haben hier ihren Abdruck hinterlassen. In den Häusern wird seit 100 Jahren studiert und gewohnt. Die Odenwaldschule gilt als die Mutter aller Gesamtschulen.

Im Herderhaus wurde noch etwas anderes getrieben - Missbrauch an Jungen zwischen 12 und 14 Jahren. Im Herderhaus lebten Gerold Ummo Becker, der Schulleiter, und der Musiklehrer Wolfgang Held mit Schülern. Die Buben mussten ihre Lehrer dort regelmäßig sexuell befriedigen, nachts, in der Mittagspause, beim Duschen.

"Ich war 13 Jahre alt, es ging gleich los, als ich hinkam", sagte Adrian Koerfer der Frankfurter Rundschau über Held. "Jeden Mittag hat er sich einen geholt, der mit ihm Mittagsschlaf machen musste. Das bedeutet, wir mussten ihn befriedigen."

OSO am Scheideweg

An der Odenwaldschule Ober-Hambach, kurz OSO, ist es in den 70er und 80er Jahren ganz offensichtlich zu systematischem sexuellen Missbrauch gekommen. Der Landrat des Kreises hat beschlossen, vorerst keine Kinder über das Jugendamt mehr an das teure private Internat zu entsenden - was das Todesurteil für diese erste deutsche Gesamtschule bedeuten würde. Am Freitag und Samstag wählt der Trägerverein der Schule einen neuen Vorstand. Im Verein gibt es einen Machtkampf zwischen denen, die den Missbrauch rückhaltlos aufklären wollen - und jenen, die darin einen Generalangriff auf die Schule und ihre Art der Reformpädagogik sehen

Becker, den Schulleiter, bewunderten die Schüler nicht nur. Seine Opfer geben zu Protokoll, dass sie stets Angst hatten beim Einschlafen, er würde kommen und etwas von ihnen wollen.

"Das musste doch jemandem auffallen!", sagt heute eine Mitarbeiterin der Odenwaldschule der taz, "dass in einem Haus, das mitten auf dem Gelände liegt, zwei Homosexuelle wohnen, bei denen nur Jungs zwischen 12 und 14 Jahren lebten". Sie macht eine Pause. "Überall sonst waren die Internatsfamilien gemischt. Im Herderhaus aber war das Prinzip der Schule gebrochen, das der Familie: Frauen gab es dort nicht. Jeder hätte es merken können."

Aber nicht nur damals haben viele nichts gesehen oder sehen wollen. So war es bis 1985, als Becker der Schule den Rücken kehrte und im hessischen Kultusministerium Berater wurde. So war es 1998, als sich Schüler des Becker-Harems erstmals dazu durchringen konnten, von ihren Erlebnissen mit dem Schulleiter zu berichten. Und so könnte es am Freitag sein, wenn der Trägerverein der Odenwaldschule die personellen Konsequenzen aus dem Fall Becker und seiner Nichtaufarbeitung zieht. Bei der letzten Sitzung vor wenigen Wochen gifteten einige: "Das ist doch alles eine selbstproduzierte Medienkampagne."

Diesmal stehen die Neuwahlen des Vorstands an - und Norbert Hofmann, der derzeitige Sprecher des Trägervereins, ist verunsichert. "Ich erwarte mir eine Renovierung der Schule - äußerlich und inhaltlich", sagt Hofmann, der früher Landrat war. "Wir brauchen einen personellen Neubeginn im Trägerverein. Wer 1998 nicht energisch genug den Hinweisen auf Missbrauch nachgegangen ist, der sollte daraus Konsequenzen ziehen." Nur weiß Hofmann eben nicht, ob die Blockadefraktion im Verein weiter die Oberhand behalten wird.

Scheitern die Opfer des Missbrauchs an der Odenwaldschule am Freitag also zum zweiten Mal mit dem Ansinnen, Anerkennung für ihr Leid zu verschaffen?

Die Fakten sind relativ klar, aber eben nicht rechtskräftig festgestellt. Denn die Taten Beckers, der von 1972 bis 1985 die Schule leitete, waren schon 1998 verjährt. Die inzwischen bekannt gewordenen Details des Missbrauchs sind so ekelhaft wie verstörend. Becker, Held und weitere Lehrer sollen sich regelmäßig an den Kindern und Jugendlichen vergangen haben. Auch untereinander missbrauchten sich die Schüler wohl - vor den Augen der Lehrer. Gleichzeitig konnten die Schüler ihre Odenwald-Familien aber auch wechseln.

Bei der Frage, wie der charismatische Schulleiter sein "System Becker" errichtet hat, scheiden sich die Geister. Eine Mitarbeiterin sagt, "Becker war so nett, eloquent und charismatisch. Er war der ,Mick Jagger der Pädagogik', der die Menschen auf seine Seite zieht, um sich immer neues Material zu sichern. Das war Beschaffungsnettigkeit." Eine der beiden Juristinnen, die für die Odenwaldschule mit den inzwischen 40 bekannt gewordenen Opfern sprechen, stellt die Frage: "Kann es sein, dass Becker die Lehrer so manipuliert hat, dass letztlich alles seinen sexuellen Zielen untergeordnet wurde?" Andere wiederum bestreiten rundweg, dass es ein System Becker überhaupt gab. Es handle sich allenfalls um Einzelfälle.

Hartmut von Hentig, der Lebensgefährte von Gerold Becker, der immer wieder auch im Herderhaus zu Besuch war, sagt: Allenfalls könnte mal ein Schüler seinen Lehrer Becker verführt haben. Jedenfalls habe Becker nie etwas gegen den Willen der Jugendlichen getan. Und Benita Daublebsky, die unter Becker zeitweise Psychologin an der Schule war, wird mit den Worten zitiert, es werde eine Hexenjagd veranstaltet.

Es gibt Leute im Trägerverein der Odenwaldschule, die in der Aufarbeitung des Falles Becker nicht etwa Opferschutz sehen, sondern einen Frontalangriff auf die Reformpädagogik. Der Kreis dieser Leute trägt Namen, dass einem schwindlig wird: Er reicht von Annemarie von der Groeben über Benita Daublebsky bis hin zu Sabine Richter-Ellermann. Lauter ehrbare Pädagogen, Praktiker wie Wissenschaftler und Publizisten, die in engstem Kontakt mit dem Who's who der Reformpädagogik stehen.

Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie Gerold Becker und Hartmut von Hentig anerkennen, ja verehren. Viele von ihnen haben dafür gesorgt, dass Gerold Becker nach der ersten Aufdeckung seiner Taten im Jahr 1999 wieder in den Kreis aufgenommen wurde: Er bekam Beraterverträge, hielt Vorträge, schrieb an Büchern mit.

Das ist es, was die Opfer so schockiert. Und die Aufarbeitung im Odenwald gebremst hat. "Es war schwer für uns", erzählt ein Lehrer, der in die erste Aufarbeitung 1998 einbezogen war. "Wir sind ja nicht mehr hingegangen zu den Tagungen, wenn Becker kam." Aber Becker kam immer öfter, bald war er in den intellektuellen pädagogischen Kreisen wieder da.

"Wir mussten einsehen", sagt der Lehrer Peter Dehnert, "dass man gegen solche Verfilzungen nichts ausrichten kann." Diese Kreise gehen weit über den Odenwald hinaus.

Bensberg bei Köln, der "Blick über den Zaun" tagt, ein Netzwerk von Reformschulen, das einst aus dem Odenwald heraus gegründet wurde. Es ist die Konferenz eins nach der zweiten großen Becker-Enthüllung. Der Hauptvortrag lautet "Was bedeutet Reformpädagogik heute?", gehalten von Cornelia von Ilsemann, sie ist so etwas wie die Staatssekretärin der bremischen Bildungsbehörde. In ihrem Referat fällt der Name Gerold Becker - und den Leuten laufen kalte Schauer den Rücken hinunter.

Wird Becker nun auch aus den intellektuellen Kreisen verstoßen? Nein, von Ilsemann nennt Becker als Berater und Miterfinder der Bremer Schulreform, einer Reform, die sie zuvor die ganze Zeit in den höchsten Tönen gelobt hat. Sie kritisiert Becker nicht, sie verstößt ihn nicht, sie hält ihn im Kreise der Erlauchten. "Ich habe Becker weder positiv noch negativ erwähnt", rechtfertigt sich die Frau hinterher, die so kluge und wichtige Reden über gute Schule halten kann.

Cornelia von Ilsemann hat mit Becker auch nach 1999 häufig kooperiert. Nun sagt sie: "Wenn ich schon damals gewusst hätte, was heute über Beckers Rolle im Odenwald bekannt ist, hätte ich nicht mehr mit ihm zusammengearbeitet." Aber warum haben Sie sich in Bensberg von ihm nicht distanziert? "Das war ja nicht mein Thema. Ich sollte über Reformpädagogik heute sprechen", sagte sie. "Die Reformpädagogik sollte nicht vernichtet werden, reformpädagogische Ideen sind für Schulentwicklung nach wie vor sehr wichtig."

Das ist ein interessante Frage. Hat die Reformpädagogik etwas mit besonderer Nähe zum Kind zu tun? Erleichtert oder begünstigt sie so sexuellen Missbrauch? Da scheiden sich die Geister. Peter Dehnert, ein Lehrer, der schon zu Gerold Beckers Zeiten da war, sagt: "Diese Sache entspringt ein Stück weit den Wurzeln der Reformpädagogik in den Landerziehungsheimen." Von Ilsemann hingegen sagt: "Ich habe kein Verständnis für Missbrauch. Und ich finde es ein Stück weit unfair, die Reformpädagogik mit dem Missbrauch in Zusammenhang zu bringen - denn ihr Kern ist der gegenseitige Respekt vor der Würde des anderen."

Es gibt freilich auch einen ganz anderen Umgang mit Becker - den radikalen Schnitt. Wolfgang Edelstein, in den 50er-Jahren Lehrer im Odenwald, später Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, reiste 1973 quer durch die Republik zu Becker. Er will von ihm wissen, ob er nicht Angst habe, dass seine Homosexualität zu Konflikten im Umgang mit Kindern führen könne. Becker negiert das - und sagt zugleich zu Edelstein: "Jetzt ist Schluss mit der Schulreformerei, jetzt geht es nur noch um das Verhältnis zum Kind."

Edelstein ist entsetzt - und wechselt kein Wort mehr mit Becker. Heute sagt Edelstein: "Becker hat die Schule mit seinen sexuellen Bedürfnissen korrumpiert. Er hat die Schule zu einem Bordell umfunktioniert."

Der Unterschied zwischen dem Missbrauch am katholischen Berliner Canisius-Kolleg und der Odenwaldschule lässt sich vielleicht so skizzieren. Der Täter am Canisius ist ein verklemmter Pater, der seine Sexualität unter der Kutane verstecken muss, weil die katholische Lehre ihm Sex verbietet; er muss seinen Trieb heimlich an den Kindern ausleben.

Der Täter an der Odenwaldschule ist ein Charismatiker, der die Reformpädagogik als eine positive Ideologie für Missbrauch versteht - und ihn mehr oder weniger offen praktiziert. Nur heißt dieser Missbrauch anders, er heißt Knabenliebe und ist im Lehrer-Urschleim Platons als "pädagogischer Eros" definiert. Als höchste Form der Liebe und der Erkenntnis, homosexueller Sex mit Jungs unter Ausschluss von Frauen - im Herderhaus an der Odenwaldschule.

Manche Lehrer aus dem Odenwald nahmen ihr Gespielen mit zu Ausflügen, wo auch andere Sex mit den Kindern haben durften. Zu Hause, im Odenwald, sangen Schüler vor dem Herderhaus, "der Be-ecker, der Be-cker, der findet kleine Jungen le-ecker".

Ein Lehrer sagt: "Wir fanden das in Ordnung, dass er schwul war. Aber niemand hätte sich vorstellen können, was im Herderhaus alles passierte. Vielleicht waren wir ein bisschen naiv. Wir sind auch Opfer von Becker und Held."

Frage an die Anwältin, die sich mit den Fällen im Odenwald befasst: Gehören diejenigen, die nichts gesehen haben oder nichts sehen wollten, ebenfalls zum System Becker? "Ja, sicher", antwortet sie. Am Freitag wird sich zeigen, ob das auch der Trägerverein der Odenwaldschule so sieht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

22 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • E
    Elija

    Vorab: Ich positioniere mich pro Definitionsmacht und lehne jegliche Form von sexueller Gewalt ab. Aber hier wird alles durcheinander geworfen. Homosexualität und sexueller Missbrauch stehen in keinem direkten Zusammenhang! Kann vielleicht mal das McCarthy-artige Homo-Bashing aufhören?!?

  • N
    noway

    Wolfgang Edelstein danken? Der betreibt seine eigene Ehrenrettung. Warum hat er 1998/1999 geschwiegen, obwohl er nach wie vor Kontakte hatte, auch dem Trägerverein über lange Jahre, selbst nach seinem Ausscheiden angehörte? Der ist nicht nach Ober-Hambach gefahren, um mit Gerold über seine Homosexualität zu reden, sondern über seine Pädophilie. Man unternimmt einen solchen Schritt nicht ohne extreme Notwendigkeit. Edelstein sagt ja selbst, er konnte Gerold Becker nicht einmal leiden, sieht sich aber genötigt ein höchstpersönliches Gespräch zu suchen, da in sein Freund und Mitstreiter am Institut für Bildungsforschung Hellmut Becker auch darüber unterrichtet hatte, dass Gerold pädophil ist. Ein wesentlicher Fehler in der ganzen Diskussion ist es, dass der auch auf der OSO übliche verschleiernde Sprachgebrauch, der Homosexualität mit Päderasmus gleichsetzt, auch hier ohne jegliche Analyse übernommen wird. Edelstein hat versagt. Er hat nicht, aber auch nichts getan und erst jetzt versucht er seinen Namen reinzuwaschen. Alle fallen drauf rein. Prima.

  • D
    DiversityAndEquality

    Was für ein widerwärtiger Hetz-Artikel gegen homosexuelle Männer!

     

    An mehreren Stellen wird hier ganz unverblümt Homosexualität mit Kindesmissbrauch gleichgesetzt - das ist für mich ein gezielter Akt der Volksverhetzung!

     

    Der Autor verdreht auch ansonsten alle gesellschaftlichen Tatsachen, wenn er immer wieder von Frauen in der traditionellen Familie als angeblichen BewahrerINNEN vor Kindesmissbrauch schreibt. Immerhin finden in eben diesen traditionellen Familien immer noch die allermeisten Fälle von Kindesmissbrauch statt - und nicht etwa in schwulen Lebensgemeinschaften, in denen Kinder aufwachsen!

     

    Dass Frauen auch nicht selten Gewalttäterinnern gegenüber Kindern sind, wird mit derart dümmlichen Aussagen freilich auch in der gewohnten Weise unter den Teppich gekehrt.

     

    Alles in allem ist der Artikel nichts anderes als eine Hetzschrift gegen schwule Männer, der ganz offensichtlich keinerlei Intention einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Kindesmissbrauch zugrundeliegt.

     

    Es ist skandalös und unverantwortlich, dass ein derart schwerwiegendes Thema als Vehikel für geistiges Brandstiftertum gegenüber einer gesellschaftlich nach wie vor massiv diskriminierten und stigmatisierten Gruppe missbraucht wird.

     

    Wenn Herr Füller ein Problem mit Männern hat, die ihre Sexualität unter Ausschluss von Frauen leben (er selbst lebt sie eben unter Aussschluss von Männern, also nicht weniger ausschließend - was soll dieser Nonsens?) dann soll er das gefäligst auf anderem Wege kurieren, als derart diffamierendes, faktenfernes und volksverhetzendes Gedankengut zu verbreiten.

     

    Sie können diesen Kommentar selbstverständlich zensieren, aber seien Sie dessen sicher, dass ich den Artikel relevanten Verbänden und selbstverständlich auch der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vorlegen sowie generell rechtliche Schritte gegen diese widerliche schwulenfeindliche Hetze prüfen werde!

  • I
    Internatszögling

    Wieso bezieht Becker jetzt auch noch eine hohe Rente nachdem er schon straffrei ausging?Man behandelt doch die Opfer nicht besser als früher....

  • P
    Pumuckel

    Wie kann ein Journalist der taz, die ich bisher sehr gern gelesen habe, so schlampig recherchieren und einen Artikel so "hinrotzen"?

    Die Sauereien in der Odenwaldschule unter G. Becker kann niemand billigen, aber etwas mehr Objektivität über die heutige Situation der Schule täte im Interesse der Kinder gut. Das "System Becker" ist viel zu traurig als es mit Wortspielereien zu belegen! Aber die heutigen Bemühungen um eine saubere und dabei noch immer reformpädagogisch orientierte Schule - von allen Seiten, nicht nur von der Schulleitung - kommen gar nicht vor, sondern werden nur selektiv und aus einer Perspektive gesehen.

    Alles hundertmal Gesagte nochmal durchgerührt - und schon hat man wieder einen Artikel.

    Herr Füller, haben Sie das mittlerweile nötig? Schade!

    Pumuckel

  • K
    KaMaZhe

    Der Widerspruch den Christian Füller konstruiert, zwischen verklemmtem Pater und libertärem Reformpädagogen ist gar keiner: die Täter der 70er Jahre am Berliner Canisius-Kolleg und in anderen Jesuitenschulen waren genau die charismatischen, weltoffenen, beeindruckenden Typen, die die Soutane ausgezogen hatten: Ehlen, Riedel, Statt. Sie nutzten die Nähe, die sie in der Jugendarbeit zu ihren Beichtkindern aufbauten, genauso wie der Pädosexuelle Becker und seine Komplizen die Nähe zu den Internatskindern für ihre Triebbefriedigung ausnutzten.

     

    Jugendliche in der Pubertät suchen neue Vorbilder, die an die Stelle der Eltern treten und die Ablösung von ihnen erleichtern. Sie wollen glauben und dazugehören. Die Sehnsucht nach Anerkennung und Orientierung, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Gefolgschaft der Pubertierenden nutzen dann Typen wie Becker oder die Patres gnadenlos aus. Der Vertrauensmissbrauch der damit begangen wird, lähmt das Opfer viele Jahre lang. Davon profitieren wieder die Täter. Soll man deshalb die Nähe zwischen Pädagogen und Schülern unter Generalverdacht stellen? Nein, aber es darf keine abgeschotteten Parallelwelten geben, die von den Tätern nur zu gerne aufgebaut und die von den Opfern rückschauend oft als sektenhaft beschrieben werden. Transparenz heißt das Gebot.

  • RP
    Rita Pavoni

    So einfach ist das also. Bei den Katholen ist es der verklemmte Pater und bei den Reformpädagogen der charismatische Gerold Jagger Becker. Bisschen sehr einfach. War nicht eine differenziertere Analyse möglich, warum ausgerechnet Reformpädagogik und katholische Kirche sexuelle Übergriffe dermaßen lange vertuschten und nun ihren Super-Image-GAU erlebten? Gibt es da nicht strukturelle Gemeinsamkeiten? Beide sind teils sehr geschlossene Gemeinschaften, die sich nach außen hin abgrenzen. In vielen reformpädagogischen Strömungen gilt das Dogma, besser zu sein als die staatlichen Schulen und die "normale" Pädagogik. Da gibt es einen Binnen- und einen Außendialog, eine Fassade und das, was dahinter steckt. Meist spielt eine charismatische Gründungsfigur eine Rolle, die in Frage zu stellen tabuisiert wird. Eltern und Schüler stehen in Abhängigkeit von der Einrichtung. Wer Kritik übt, begibt sich schnell ins Aus und wer möchte nicht lieber dazugehören zu einer Welt, die so viel besser scheint? Dringt dann etwas nach außen, wird eher der Kritisierende gebrandmarkt als dass die Kritik ernst genommen wird. Muss die Kritik doch angenommen werden, weil die Öffentlichkeit Wind davon bekommen hat und Interesse zeigt, wird der beliebte Mechanismus der Spaltung angewendet. Und am Ende will niemand was gewusst haben.

  • T
    Tacitus

    Wer heute noch an den „System Becker“ zweifelt, dem ist nicht mehr zu helfen. Ich habe selber als Anwärter vor einem Jahr in dem Studienseminar die geistigen Ergüsse dieses Verbrechers lernen müssen. Es gab auch dort Seminarleiter, die ihn in Schutz nahmen und seine Taten verteidigten. So nach dem Motto die Kinder hätten es ja ihren Eltern erzählen können! Das sind die Ansichten des Systems zu diesem Fall!

    Die übergeordnete Behörde, das Schulamt hat jahrelang nicht eingegriffen. Warum? Weil die „überraschenden“ Besuche zur Schulüberprüfung wochenlang vorher intern angekündigt werden, die die diese Besuche machen meist Juristen ohne Unterrichtserfahrungen sind und weil man jemanden der wie Herr Becker mit Ministern und Staatspräsidenten befreundet ist nicht angreift. Denn was ist das erste was man als Anwärter lernt:

    Wer sich wert oder motzt fliegt raus. Dann soll man gegen jemanden ermitteln, der mit Frau Vollmer (Bildungsministerin von Hessen) und den von Weizsäckers befreundet ist?

    Nie, da opfert man doch lieber ein paar Kinder.

    Das ist der wahre Skandal. Herr Becker bezieht bis heute eine hohe Rente und ist sich keiner Schuld bewusst. Warum auch? Das System schützt ihn ja bis heute. Ich möchte gar nicht wisse, wer von der heutigen Pädagogen und Politikergarde damals in diesem Bordell ein und aus gegangen ist.

  • F
    Frage

    "Es gibt freilich auch einen ganz anderen Umgang mit Becker - den radikalen Schnitt. [...] Er will von ihm wissen, ob er nicht Angst habe, dass seine Homosexualität zu Konflikten im Umgang mit Kindern führen könne. [...]"

     

     

    Liebe taz: Ist Homosexualität tatsächlich das Problem?

  • NS
    No sex please

    "Kann es sein, dass Becker die Lehrer so manipuliert hat, dass letztlich alles seinen sexuellen Zielen untergeordnet wurde?" Die Gemeinsamkeit des reformpädagogischen und des pädosexuellen Blicks auf die Schüler wirkt bis heute fort und hat unmittelbaren Einfluss auf Familien: Die Verantwortlichkeit wird vom Lehrer auf den Schüler verschoben, Individualisierung mit angeblich "genauer Passung" der Lerninhalte bedeutet ja in der Praxis, dass die Schüler selbst - oder bei Interesse die Eltern - das Lernen der Kinder gestalten.

    Diese Änderung der Schwerpunkte des Lernens bewirkt, dass inhaltliches Lernen nicht mehr im Fokus ist. Stichwort Schuleingangsstufe: Die Schüler, deren Eltern nach reformpädagogischem Umbau der Schule nicht früherer Lehreraufgaben übernehmen, sind arm dran.

    In Berlin wurde dieser Umstand gerade eindrucksvoll durch die Diskussion um VERA demonstriert.

  • S
    Staatsbürger

    Hier herrscht offensichtlich eine ziemliche (und vielleicht auch absichtliche) Begriffsverwirrung vor. Wer Kinder sexuell attraktiv findet, ist pädophil. Die Kriminalstatistik zeigt, dass es sich hierbei in über 75% der Fälle um Übergriffe auf Mädchen handelt (die gab es übrigens auch an der OSO).

     

    Homosexuell wiederum ist ein Mann, der Männer liebt. Das ist wohl ein wesentlicher Unterschied zu den kriminellen Aktivitäten an der einen Odenwaldschule und an den vielen kath. Einrichtungen. Kein 'gewöhnlicher Heterosexueller' würde es sich gefallen lassen, mit Humbert Humbert in 'Lolita' auf eine Stufe gestellt zu werden. Auch Schwule und Lesben sollten sich eine solche Diskriminierung verbitten!

  • U
    uwe

    Man hat lange einseitig auf kirchliche Einrichtungen geschielt, allerdings passiert Missbrauch überall, wir müssen die Schulen stärker kontrollieren.

    Ich will nicht fremdenfeindlich klingen, aber wir sollten auch die Moscheevereine stärker kontrollieren, aus Großbritannien gibt es viele Meldungen von Kindesmissbrauch in diesen, in Deutschland ist das noch nicht transparent genug.

  • M
    mumji

    da zeigt sich die Trennung von Kirche und Staat

     

    Der Redakteur sollte doch bitte mal im Duden nachschauen, was er so unter der "KUTANE" hat. Soutane ist auf jeden Fall was ganz anderes

  • W
    Whatshername

    Es gibt ja Medien von denen man leider nicht viel anderes erwarten darf, aber das ausgerechnet in der Taz mal wieder Homosexualität und Kindesmissbrauch kaum bis gar nicht differenziert werden (und wenn es sich auch z.T. nur um Zitate handelt) finde ich traurig.... so weit waren wir vor 50 Jahren auch schon...

  • BS
    Bärtiger Schwuler

    Ihren Kommentar hier eingeben

     

    Erschreckend die kaum verhüllte Homophobie in dem Artikel. Die beiden genannten Lehrer hatten (haben) eine sexuelle Neigung zu geschlechtsreifen pubertierenden Knaben. Das ist genauso viel oder wenig "schwul" wie ein Mann, der sich sexuell von zwar geschlechtsreifen, aber noch pubertierenden Mädchen angezogen fühlt, als "heterosexuell" charakterisiert werden kann. Generell assoziiert man bei einem "heterosexuellen Mann" wohl nicht den Liebhaber kleiner Mädchen, sondern jemanden, der "auf Frauen steht". Ergo handelt es sich bei einem schwulen Mann um jemanden, der "auf Männer steht". Sex mit Minderjährigen und Schutzbefohlenen ist aus gutem Grund strafbar, was Erwachsene im Konsens miteinander treiben, ist es - ebenfalls begründeterweise - nicht. Der Artikel knüpft in seiner Diktion an bestehende Ressentiments gegen Homosexualität und Homosexuelle an. Man stelle sich zum Vergleich vor, bei Missbrauchsfällen pubertierender Mädchen durch Lehrer wäre in einem diesbezüglichen Bericht über die entsprechende Schule zu lesen, dass dieser Missbrauch geschehen sei, obwohl ein ehemaliger Lehrer den Schulleiter und Missbraucher gefragt hätte, "ob er nicht Angst habe, dass seine Heterosexualität zu Konflikten im Umgang mit Kindern führen könne" (Zitat aus dem Artikel, wobei das Wort "Homosexualität" durch "Heterosexualität" ersetzt wurde).

  • R
    reblek

    "Der Täter am Canisius ist ein verklemmter Pater, der seine Sexualität unter der Kutane verstecken muss, weil die katholische Lehre ihm Sex verbietet; er muss seinen Trieb heimlich an den Kindern ausleben."

     

    Der arme Pater, er "muss seinen Trieb heimlich an Kindern ausleben". Wenn es nicht so traurig wäre, müsste ich über diese bescheuerte "Feststellung" von Füller lachen. Weiß er nicht, dass auch schwule katholische Priester die Möglichkeit haben - und nutzen -, erwachsene Partner zu suchen?

     

    "der Be-ecker, der Be-cker, der findet kleine Jungen le-ecker" - Musikalisch nicht sonderlich gut entwickelt, wer diesen "Vers" zusammengehauen hat. Versmaß richtig im Eimer.

  • L
    lernen-ohne-angst.de

    Wunderbar klare Worte. Es ist fast unerträglich, sich die Zustände auszumalen - wie muss es in den Betroffenen aussehen?

     

    Wo waren Schulaufsicht und Staatsanwaltschaft in den Jahrzehnten dieses Wahnsinns?

     

    Und noch eine Frage? War/ist man bereit, die moralische Verantwortung dieses Wissens wirklich anzunehmen und den Kontrollmangel in unserem Schulwesen endlich zu beenden?

     

    Angelika Bachmann

  • E
    Eva

    Das man für soviel geld sowenig Qualität bekam erstaunt schon.Und das die Eltern das duldeten um so mehr.

  • D
    doc*savage

    In Augsburg wird ein Bischof geschaßt (ein in der deutschen kath. Welt einmaliger Vorgang) auch deswegen, weil ihm ein – sich mittlerweile eindeutig nicht bestätigter – MißbrauchsVERDACHT vorgeworfen wird.

    An der Odenwaldschule sind um die 40 Mißbrauchsfälle belegt – aber hier geschieht außer blumenreichem Herumgerede nichts, weder beim Träger noch in den politischen Verbindungen! Wenn die Reformpädagogik eines nicht gebraucht hätte, dann sind es die Beschönigungs- und Beschwichtigungsreden sog. „Intellektueller“, um pädosexuelle Kontakte, die immer aus einer Macht- und Dominanzposition heraus erfolgen, auch jetzt noch zu legitimieren oder wenigstens zu verharmlosen! Noch vor einem Jahr hätte ich mich darüber amüsiert, wenn mir jemand prophezeit hätte, ich würde mal die kath. Kirche als Hort der Selbstkritik und der Wandlungsfähigkeit einstufen müssen gegenüber der „Elite“ der deutschen Pädagogik!

  • R
    Reformer

    Die Beziehungen von Reformpädagogik und Missbrauch sind vielfältig. Sicher begünstigt die Nähe Missbrauch, aber es scheint so, als hätten die Missbraucher sich ein eigenes gedankliches Gerüst geschaffen, dass Missbrauch leichter gelingen und länger unentdeckt bleiben ließ: die Verantwortungsverschiebung vom Lehrer auf den Schüler. Sie lässt dann Hentig seinen berühmten Satz sagen: "Da hat mal ein Schüler den Lehrer verführt." und sie sorgt zugleich dafür, dass nurmehr Schüler für ihre Schullaufbahn selbst verantwortlich sind, die Lehrer nur noch als Moderatoren verantwortungsfrei am Rand stehen. Mit verheerenden Auswirkungen auf den Leistungsbereich - siehe Protest gegen VERA.

  • O
    odenwald

    Gerold Becker war ein eiskalter,relativ intelligenter-jedenfalls im bezug zu denen die er zu beeindrucken und zu vereinnahmen vermochte-Pädosexueller der seine Neigungen unter dem Deckmäntelchen der Reformpädagogik an der Odenwaldschule nach belieben ausleben konnte.So wie auch viele andere dort.Es wurdem im übrigen auch Mädchen missbraucht.Das diese Leute nicht zu rechenschaft gezogen werden ist bitter aber wahr.

  • AR
    Antonius Reyntjes

    Dem (?) Wolfgang Edelstein möchte ich danken!

     

    Wolfgang Edelstein

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Edelstein

     

    Ich hatte shcon befürchtet, dass bei den Odenwäldern nur die schamlosen "Genießer" und die schweigenden Mitmacher gab...!