Klitschko gegen Ibragimow: Drang nach oben
Die große Zeit der schwarzen US-Boxer liegt lange zurück. Jetzt beherrschen Faustkämpfer aus der früheren Sowjetunion die Schwergewichtsszene.
In der Nacht zum Sonntag wird es sein wie zu den ganz großen Zeiten des Boxens Anfang der Siebziger, als Väter ihre Söhne nächtens weckten, um ihnen am Bildschirm den zu zeigen, der der Größte war. Wie zu Muhammad Alis Zeiten treffen sich an diesem Wochenende die besten Schwergewichtsboxer der Welt im New Yorker Madison Square Garden. Der eine ist Weltmeister der IBF, der andere Champion der WBO. Die Kontrahenten heißen Wladimir Klitschko und Sultan Ibragimow, ein Ukrainer kämpft gegen einen Russen. Es gibt zwar vier bedeutende Weltverbände, aber keiner von denen führt einen Amerikaner als Champ. Außer Klitschko (IBF) und Ibragimow (WBO) werden noch der Kasache Oleg Maskajew (WBC) und Ruslan Chagajew aus Usbekistan (WBA) als Weltmeister geführt. Das US-Schwergewichtsboxen ist in einer tiefen Krise.
Sultan Ibragimow hatte im Sommer 2007 mit Shannon Briggs den letzten Amerikaner entthront, doch weder Briggs noch andere US-Boxer, die schon mal einen der zu vielen Box-WM-Gürtel umgelegt bekamen, wird je unter der Rubrik würdiger Weltmeister geführt werden: Nicht Hasim Rahman, der 2001 durch Zufall über den Engländer Lennox Lewis triumphierte. Nicht der späte George Foreman, der schon 45 Jahre alt war. Nicht Michael Moorer, der sich von diesem 45-Jährigem schlagen ließ. Vermutlich war Mike Tyson der letzte US-Schwergewichtsboxer, der einer Epoche seinen Handschuh aufdrückte. Und das ist bald zwei Jahrzehnte her.
Im amerikanischen Boxen waren immer die Bevölkerungsgruppen besonders stark, die sich den Aufstieg am härtesten erkämpfen mussten. Das beginnt in den Zwanzigerjahren. Da regierten im Schwergewicht noch weiße, christliche Amerikaner wie Jack Dempsey und Gene Tunney. Als Tunney 1928 zurücktrat, stürzte das US-Schwergewichtsboxen in seine erste große Krise, die nicht durch Zufall mit der Weltwirtschaftskrise einherging. Ausländische Kämpfer wie der Italiener Primo Carnera, den die Mafia hochpäppelte, der Spanier Paolino Uzcudun oder der Deutsche Max Schmeling drängten auf den Markt. Nach 1933 wollten die Deutschen auch gleich die politische Symbolik, die der Titel verspricht, nutzen. "Deutschland war auf dem besten Weg, Amerikas Boxmonopol zu brechen", schrieb Walter Rothenburg, führender deutscher Boxpromoter der NS-Zeit.
Doch auch schwarze US-Boxer wie Harry Wills und George Godfrey oder amerikanische Juden wie King Levinsky wollten die Chance nutzen, den auch in einem kulturellen Sinn frei gewordenen Schwergewichtstitel zu erringen. Einige dieser Boxer wurden auch Weltmeister, aber wirklich prägend war nur einer: Joe Louis, der "braune Bomber", der 1937 der Krise ein Ende machte und seinen Titel zwölf Jahre lang erfolgreich verteidigte.
Nach Louis Abschied zeigte der Boxsport, welche anderen Gruppen nach oben drängten: Vertreten durch Rocky Marciano, die Italoamerikaner, und immer noch die Schwarzen. Mit Muhammad Alis WM-Titel 1964 begann die Epoche der schwarzen US-Schwergewichtler: Ali, Frazier, Foreman, Holmes, Spinks und Tyson. Der junge Mike Tyson, der aus der New Yorker Bronx stammte, sich als Straßendieb durchgeschlagen hatte und 1986 jüngster Schwergewichtsweltmeister der Geschichte wurde, repräsentierte noch das Glücksversprechen, das das Boxen jungen Männern gibt, die sonst keine Aufstiegschance für sich sehen.
Seit Tyson, der seinen Titel erstmals 1990 verlor und damit das US-Schwergewichtsboxen in seine bis heute andauernde Krise rutschen ließ, hat sich viel geändert. In den USA drängen nicht mehr so sehr die Schwarzen in den Boxsport, es sind vor allem die Latinos, die in den Profigyms präsent sind. Ein Boxer wie Óscar de la Hoya, der mexikanische Wurzeln hat, wurde zu dem Star der Neunzigerjahre: Weltmeister in sechs verschiedenen Gewichtsklassen, aber aufgrund seiner Konstitution im Schwergewicht völlig undenkbar. Der letzter herausragende Schwergewichtsboxer war der Engländer Lennox Lewis.
Das bislang amerikanische Phänomen, wonach die gerade nach oben drängende unterdrückte soziale Gruppe sich am ehesten im Boxsport zeigt, wurde zum Weltphänomen. Nun stellen die Exsowjets die Schwergewichtsweltmeister, der New Yorker Madison Square Garden stellt bloß die Kulisse. Immerhin.
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