Klingende Kunst der 1950er bis 1970er: Die Kunst, ein unhörbares Geräusch

Dadaistische Klangapparate, vergeistigte Geräuschspeicher: Sound als ein Material der bildenden Kunst zeigt eine Ausstellung in Krefeld.

An einer Wand hängt eine Partitur, auf einem Tisch stehen elektrische Klangerzeuger und ein kleiner Kopfhörer. Menschen können diese Musik nicht hören, sondern nur die Sinuswellen auf einem kleinen Monitor betrachten

Timm Ulrichs: Einton-Musik außerhalb (oberhalb) des menschlichen Hörbereichs, 1969/70 und 2022 Foto: Dirk Rose / Kunstmuseen Krefeld

Wenige Orte vereinen die Üppigkeit einstigen Reichtums mit der Tristesse gefallener Industriestädte so eindringlich wie Krefeld. Das immer noch prunkvolle Kaiser Wilhelm Museum zeugt von einem vitalen Bürgertum im späten 19. Jahrhundert. Wer konnte aber ahnen, dass der eklektizistische Historismus seines Baus bald Schauplatz der experimentellen und sich zusehends antibürgerlich gebenden Kunst der Moderne werden würde.

„On Air“, eine Ausstellung zur klingenden, experimentellen Kunst der 1950er bis 1970er Jahre, unterstreicht diesen Bedeutungswandel des Museums. Wo aus Jan Thorn Prikkers beeindruckendem, erst seit 2015 wieder zugänglichem und in den Ausstellungsrundgang integriertem Wandgemälde von 1923 noch immer die Demut einer Auftragsarbeit abzulesen ist, nehmen die Werke des bekanntesten Künstlersohns der Stadt, Joseph Beuys, herrschaftlich eigenen Raum ein.

Den Beuys’schen Experimenten mit Form und Material entspricht auch eine Vielzahl der Exponate von „On Air“, nicht zuletzt aufgrund ihrer speziellen Art, Raum einzufordern.

Eimer, Lampenschirme, Abflussrohre

Doch erst einmal wartet im stillen Weiß am Ende des Treppenaufgangs nichts als eine Vitrine. In ihr, gleich einem Schatz, liegt Reiner Ruthenbecks 7 inch Mono Single „Dachskulpturen“ von 1972. Zu festgelegten Zeiten wird sie vorgeführt, ansonsten begleitet sie stumm den pittoresken Blick auf den Museumsvorplatz. Will man dann die mächtige Doppeltür durchschreiten, so vernimmt man erst einmal ein Respekt einflößendes Brummen und Schlagen im Rücken. Der Effekt ist durchaus ein Klang-Kunstwerk für sich.

Die Schwelle einmal überwunden, erweisen sich die meisten der Töne als Geräusche eines künstlichen Regenwaldes, 1973 von David Tudor aus Alltagsprodukten zusammengestellt. Seine Eimer, Lampenschirme, Abflussrohre und Metallteile werden allesamt über Kontaktmikrofone und Schallwandler zum Schwingen und Klingen gebracht. Man bewegt sich staunend vorsichtig durch die von der Decke hängenden Objekte. Ihr Klang gab einmal die Bewegungen für ein Stück von Merce Cunningham vor, dem einflussreichen Neuerer des zeitgenössischen Tanzes.

Ueckers surreale Lärmmonster

Alsbald ist man mittendrin. Mal tönen seltsame Gerätschaften, mal abgespeicherte Geräusche, etwa aus den Kopfhörern der Videoarbeiten von Bruce Nauman und John Baldessari. Deren strenge Intellektualität wirkt wie ein Kontrapunkt zu den europäischen, von Dada und Fluxus geprägten Klangmaschinen. Da wären Jean Tingue­lys und Günther Ueckers surreale Lärmmonster aus robustem Metall, die einen brutal elegant, die anderen real industriell. Zart nervend: Takis’ motorenbetriebene Saitenanschläger. Pol Burys Saitenzupfer hingegen entwickeln geradezu eine mechanische Poesie.

Nun wäre es falsch, die Klangmaschinen europäischer Künst­le­r:in­nen fern der Theorie zu verorten. Timm Ulrichs’ vergeistigte Arbeiten fungieren gar oft als Kommentare zur Kunst, etwa wenn sich ihr erzeugter Ton jenseits der Wahrnehmungsgrenze nur visuell im Oszillograf bezeugen lässt. Was ist Kunst, ein unhörbares Geräusch? Doch auch in diesem, einem Versuchsaufbau ähnelnden Werk von Timm Ulrichs lebt die Faszination für das Elektromechanische. Sie hat die Theorien hinter den Kunstwerken überlebt, geschadet hat es ihnen nicht. Nun haben sie ein Eigenleben, gleich den so gruseligen wie entzückend fellbesetzen „Atemobjekten“ von Günter Weseler, deren leise Geräusche fast untergehen.

Längst von Laptops angesteuert

Tatsächliche, unmittelbare, die Distanziertheit auch der antiakademischen Avantgarde durchbrechende Körpererfahrung suchen wenige Arbeiten. Gegen Ende der Schau trifft man auf Bernhard Leitners „Vertical Space“ aus dem Jahr 1975. Es erzeugt den Eindruck, man sei durchflossen von Klang, als würde man Teil der Töne, einem helleren, von oben kommendem Pochen und dunkleren, von unten aufsteigenden Sounds.

„On Air“. Der Klang des Materials in der Kunst der 1950er bis 1970er Jahre. Kaiser Wilhelm Museum, Krefeld. Bis 26. März. Katalog 42 Euro.

Hermann Goepferts „Optophonium“ aus Holz, Metall, Farbe, Licht, Tonband, Lautsprechern und 57 Aluminiumplatten schafft, was sein Titel verspricht: eine audiovisuelle Science-Fiction-Fantasie der frühen 60er, so rauschhaft wie subtil. Hier wird das Kunstwerk zu einem sinnlichen Spektakel. Das erscheint immens, die künstlerischen Visionen vor rund 60 Jahren bieten heute, was digitale Elektronik nicht vermag. So könnte man denken. Und entdeckt dann beim zweiten Blick auf David Tudors „Rainforest V“, dass seine Klangelemente statt von Relais längst von Laptops angesteuert werden.

Später liest man im Katalog über den 1928 geborenen Yaacov Agam und seine „Polyphone Malerei“. Es mag einer Flüchtigkeit geschuldet sein, dass darin bei der Nennung seines Geburtslandes, dem Völkerbundsmandat für Palästina, nur Palästina geschrieben steht. Doch im Zug der Debatten um die BDS-Nähe der letztjährigen Documenta mischen sich so die aktuellen, politischen Diskussionen der Kunst unsanft in den Nachhall der gelungenen Ausstellung.

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