Klimawandel und die Folgen: Erderwärmung bringt neue Tierseuche
Die Blauzungenkrankheit breitet sich unter Schafen, Ziegen und Rindern rasant aus. Schuld ist eine winzige Stechmücke, die es früher nur in Afrika gab.
BERLIN taz Die für Schafe, Ziegen und Rinder gefährliche Blauzungenkrankheit breitet sich immer weiter aus. Betroffen sind vor allem Höfe in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Inzwischen wurden jedoch in allen elf westlichen Bundesländern Krankheitsfälle gemeldet. Das Friedrich-Löffler-Institut für Tiergesundheit (FLI) meldete noch Anfang September eine Zahl von 1.500 Fällen. "Mittlerweile hat sich die Zahl der Erkrankungen jedoch auf 5.000 bis 6.000 erhöht", sagte Elke Reinking vom FLI der taz.
Der Virus wird durch kleine Stechmücken übertragen, die im Spätsommer besonders aktiv sind. Ein sicheres Indiz für die Erkrankung: Die Zunge der Tiere färbt sich bläulichrot. Andere Symptome sind Fieber, schaumiger Speichelfluss und Geschwüre an den Klauen sowie innere Blutungen.
Die Krankheit verläuft nicht immer tödlich. Besonders hoch sind die Verluste in Schafzuchten. "In vielen Herden liegt die Sterberate bei 50 Prozent", sagt Brigitte Wenzel, Tiergesundheitsexpertin beim Deutschen Bauernverband. Bei Rindern sterben dagegen nur drei bis fünf Prozent aller erkrankten Tiere. Bei den anderen Tieren heilt der Infekt folgenlos ab.
Die Tierhalter müssen bislang hilflos der grassierenden Seuche zusehen.Wirksame Maßnahmen zur Seucheneindämmung gibt es bisher noch nicht. Einzelne Tiere können lediglich mit Insektenschutzmitteln eingesprüht oder von Teichen und Tümpeln, den Lieblingsplätzen der Stechmücken, ferngehalten werden.
Momentan forscht das FLI unter Hochdruck an einem möglichen Impfstoff - einen Prototyp haben die Wissenschaftler bereits gefunden. Es handle sich dabei um einen Totimpfstoff, der gerade getestet wird, sagt Sprecherin Reinking. "Wir hoffen, dass wir spätestens Mitte 2008 die Zulassung für ihn haben."
Finanziell sind die Bauern abgesichert: Die Tierseuchenkasse zahlt eine Entschädigung für jedes verendete Tier.
Die Blauzungenkrankheit ist neu in Deutschland. Lange trat sie nur in südlicheren Regionen auf. Experten vermuten, dass der Klimawandel eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der Krankheit spielt: Denn Überträger der Krankheit ist die winzige Stechmücke der Gattung Culicoides. In Deutschland bisher unbekannt, weitet sie, durch die Klimaerwärmung begünstigt, ihren Lebensraum immer weiter nach Norden aus.
Im besonders heißen Sommer 2006 wurde die Blauzungenkrankheit in Nordrhein-Westfalen, Belgien, den Niederlanden und Nordfrankreich zum ersten Mal registriert. Die Steckmückenpopulation konnte den vergangenen milden Winter unbeschadet überleben. "Wir hoffen jetzt auf einen klirrend kalten Winter, damit wir nächstes Jahr nicht diese Probleme haben", sagt Wilhelm Deitermann vom Umweltministerium Nordrhein-Westfalen.
Für Menschen ist der Erreger harmlos. Fleisch- und Milchprodukte ehemals erkrankter Tiere können nach Angaben von Tierseuchenexperten ohne Bedenken verzehrt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader