Klimawandel in Afrika: Wo Wüsten zu Schlamm werden
Seit Wochen regnet es, anderthalb Millionen sind auf der Flucht. Eine Folge des Klimawandels? Der ugandische Umweltpolitiker Byaruhanga meint: "Das ist nicht normal".
UGANDA/ÄTHIOPIEN/MAURETANIEN taz Als Stephen Okwis Bruder gestorben war, stand das Wasser auf dem Friedhof von Katakwi so hoch, dass er dort unmöglich begraben werden konnte. Nun ruht sein Leichnam auf einer Anhöhe am Rand der ostugandischen Stadt, sehr weit entfernt vom traditionellen Begräbnisplatz der Familie. Ein schwerer Schicksalsschlag für die Hinterbliebenen - für sie ist die Totenruhe bei den Ahnen heilig.
Die Geschichte des heimatlosen Toten aus Katakwi ist eine der unzähligen Tragödien, die sich dieser Tage in Afrikas Überschwemmungsgebieten abspielen. Seit Juli regnet es quer durch den Kontinent: Von Gambia im Westen über Zentralafrika bis nach Kenia und Äthiopien im Osten rauschen die Wassermassen vom Himmel. Besserung ist nicht in Sicht - nachdem es in Uganda Ende letzter Woche erstmals seit langem drei Tage lang aufgehört hatte, haben die Regenfälle am Wochenende wieder eingesetzt. Im Regionalzentrum Soroti ist die Hauptstraße längst unterspült und unpassierbar. Allein hier sind mehr als 12.000 Familien aus ihren Häusern und Hütten vertrieben worden, schätzt der in Katakwi sitzende Lutherische Weltbund. Seit Mittwoch herrscht in Uganda auch offiziell der Notstand.
In der riesigen Krisenregion leiden nach UN-Schätzungen anderthalb Millionen Menschen unter den unmittelbaren Folgen der Flut - sie brauchen dringend Hilfe. Meteorologen und Hilfsorganisationen sprechen von den schwersten Überschwemmungen der letzten Dekade. 300 Menschen sollen bislang ums Leben gekommen sein. Dabei ist die Zahl der Opfer nicht so spektakulär wie die Tatsache, dass der Starkregen sich durch den gesamten Sahelgürtel zieht, dass er schon seit Monaten anhält und mit nie gekannter Heftigkeit über die Menschen hereingebrochen ist.
Dass Latrinen überlaufen, Häuser einfach wegsacken, Straßen zusammenbrechen und Saat und Ernte auf den Feldern ersaufen, verstärkt langfristig die Not, die dort schon jetzt herrscht. "Die Bauern, deren Felder jetzt überschwemmt sind, haben zum ersten Mal seit Jahren wieder etwas angebaut", erzählt Sarah Amolo vom Lutherischen Weltbund in Katakwi. "Viele von ihnen haben erst in diesem Sommer die Lager verlassen, in denen sie aus Angst vor Milizen und bewaffneten Viehdieben seit Jahren gelebt haben." Gerade jene, die sich in den Marschlanden Ostugandas endlich wieder etwas aufzubauen versucht haben, haben nun ihr ganzes Startkapital wieder verloren. Ohne eine Ernte, so Amolo, haben sie nicht einmal das Saatgut, um noch einmal von vorne zu beginnen. "Die, die gerade erst den Lagern entflohen sind, suchen jetzt erst mal Zuflucht in Kirchen oder anderen festen Gebäuden." Zurück in die Lager können sie auch nicht, denn die sind mit am schlimmsten von den Fluten betroffen - 25 Lager müssten dringend umgesiedelt werden, melden die Behörden. Doch das ist unter diesen Umständen gar nicht möglich.
Sarah Amolo wehrt sich gegen Darstellungen, die Fluten seien weniger dramatisch als sonst. Zwar müssten die Menschen diesmal nicht vor reißenden Wassern Zuflucht auf Bäumen suchen wie vor sieben Jahren in Mosambik, "aber diesmal ist ein normales Leben danach unmöglich geworden - und das ist das eigentlich Schlimme." Dazu gehört auch, dass viele Schulen geschlossen werden mussten. Die Armee hat zwar aus den am schlimmsten betroffenen Gebieten 150 Schüler ausgeflogen, die in drei Wochen ihre Abschlussprüfungen machen sollen. Tausende andere aber müssen auch auf absehbare Zeit auf Bildung verzichten, weil die Schulgebäude zusammengestürzt oder nicht erreichbar sind.
Unterricht hat Michael Malinga schon seit Wochen nicht mehr gegeben. Der Lehrer aus dem Osten Ugandas musste mit seiner neunköpfigen Familie in die winzige Bibliothek der Grundschule ziehen, nachdem sein eigenes Haus in den Fluten zusammengebrochen ist. "Wir sind so lange geblieben, wie wir konnten", erzählt Malinga, "aber als die Wände einstürzten, konnten wir nichts mehr tun als zu fliehen."
Auch im Norden Ugandas stehen Höfe unter Wasser. Hier war gerade erst ein Gefühl von Frieden aufgekommen, im Frühjahr hatte sich die Bedrohung durch die brutale "Widerstandsarmee des Herrn" so weit gelegt, dass die Dörfler sich wieder in ihre Häuser zurückgetraut hatten. "Viele Ernten gehen einfach deshalb verloren, weil sie nach dem Einbringen verfaulen", erklärt Amos Omoya vom Hilfswerk Worldvision. Er arbeitet in der Stadt Gulu. "Die Leute sind nicht auf die Überschwemmungen vorbereitet gewesen", sagt Omoya, "normalerweise gibt es so etwas hier oben im Norden nicht." Weil es weiter regnen soll, befürchtet er eine massenhafte Vermehrung der Anophelesmücke, die Malaria überträgt. "Wir bräuchten Unmengen Moskitonetze. Aber wegen des Notstands im Osten haben die Hilfslieferungen hier bei uns noch nicht einmal begonnen." Derzeit gehen die Vereinten Nationen von 300.000 Hilfsbedürftigen allein in Uganda aus.
Berichte wie dieser sind für Achilles Byaruhanga der Beweis dafür, dass es sich diesmal nicht um eine reine Wettereskapade handelt. "Während wir hier reden", sagt der Vorsitzende des Umweltverbands Nature Uganda, "steht ein Drittel meines Landes unter Wasser. Das ist nicht normal." Der Aktivist macht den Klimawandel für das extreme Wetter verantwortlich, und er steht mit dieser Einschätzung nicht alleine. Meteorologen des staatlichen Wetteramts in Kenia etwa haben bestätigt, dass sie in Afrika immer mehr und immer extremere Klimaphänomene beobachten. "Wenn man die Regenfälle der vergangenen 25 Jahre vergleicht", bilanziert der Leiter Peter Ambenje, "sieht man, dass Dürren und Überschwemmungen dramatisch zugenommen haben."
Der im Frühjahr vorgestellte Afrika-Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaveränderungen (IPCC) sage außer einem Anstieg der Durchschnittstemperaturen auch generell die Zunahme von extremen Regenfällen und Dürren voraus - eine Vorhersage, so Achilles Byaruhanga, die längst eingetroffen sei. "Dort, wo jetzt das Wasser steht, hatten wir in den vergangenen drei Jahren Missernten wegen Dürren."
Dass die Regenfälle derart schwere Verwüstungen anrichten können, führt Byaruhanga auch auf menschengemachte Umweltschäden zurück - etwa auf Abholzungen. Noch vor hundert Jahren sei die Hälfte Ugandas mit Wald bedeckt gewesen, im Jahr 2000 war es nur noch ein Viertel. "Und wenn wir in dieser Geschwindigkeit weitermachen, gibt es in fünfzig Jahren gar keinen natürlichen Wald mehr hier." Wo Bäume fehlten, könnten Fluten den ungeschützten Boden ungehindert wegreißen. Viele der Fluttoten der vergangenen Wochen sind in Schlammlawinen gestorben.
Wetterkapriole? Klimawandel!
Durch die Erosion wird zudem fruchtbares Farmland unwiederbringlich zerstört. Die Hügel des äthiopischen Hochlandes sind schon jetzt überall durchzogen von Furchen, die mit jedem Regenfall breiter und tiefer werden. Das Städtchen Dembecha zum Beispiel teilt ein solcher Graben schon in zwei Teile. Eine wacklige Brücke aus zwei Holzstäben ist die weit und breit einzige Verbindung, wenn man nicht einen Kilometer laufen oder durch die schlammigen Fluten am Boden waten möchte. "Die massive Erosion ist besonders schlimm für die Bauern in Äthiopien", sorgt sich Negusu Aklilu. Der Geschäftsführer des äthiopischen Umweltforums meint: "Auch Dürren und Überschwemmungen, die wir hier in Äthiopien immer häufiger sehen, haben deshalb schnell katastrophale wirtschaftliche Folgen."
Wie sein ugandischer Kollege Byaruhanga hat auch Aklilu keinen Zweifel daran, dass es sich bei den Regengüssen um erste Folgen des Klimawandels handelt. Nicht weit von Dembecha entfernt mussten gerade mehrere Farmen evakuiert werden, insgesamt sind in Äthiopien mehr als 42.000 Menschen vor den Überschwemmungen geflüchtet. Es regnet und regnet - dabei müsste es nach dem äthiopischen Kalender längst Frühling sein.
"Es ist schlimm, wenn auch nicht so schlimm wie im vergangenen Jahr", sagt Aklilu. Damals starben in Äthiopien und Somalia mehr als 900 Menschen in den Fluten. Besonders erschreckend findet der Umweltpolitiker, dass es sich bei den Überschwemmungen längst nicht mehr um isolierte Ereignisse handelt. "Dass der Westen und der Osten Afrikas gleichzeitig von solchen Fluten heimgesucht werden - das ist noch nie passiert."
Selbst in Mauretanien, dessen Staatsfläche fast ausschließlich aus Wüste besteht, musste die Regierung um humanitäre Hilfe bitten. Im Südosten des Landes standen die Fluten so hoch, dass hunderte Häuser einfach weggespült wurden. Die 30.000 Bewohner der Stadt Tintan waren nach drei Tagen Dauerregen tagelang von der Außenwelt abgeschnitten. Und vor einer Woche erreichten die schweren Regenfälle selbst das Hochland um Atar, mitten in der Sahara. Brücken wurden weggerissen, Sandpisten verwandelten sich in schlickige Fallen selbst für Geländewagen.
"Regen ist für die Menschen in Mauretanien natürlich erst mal eine gute Sache", weiß Sidi El Moctar Ould Waled, der eine Landwirtschaftskooperative in Tenadi im Westen des Wüstenstaats leitet. "Aber wenn es so heftig regnet wie jetzt, dann zerstört das Wasser mehr, als es uns hilft." Traditionelle Hütten aus Lehm und Stroh lösen sich im starken Regen einfach auf, genauso die teils jahrhundertealten Moscheen in der Wüste, die - im wahrsten Sinne des Wortes - auf Sand gebaut sind. So wurde aus dem Segen eine biblische Plage.
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