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Klimaschutz in HamburgDeich bedroht Wohnprojekt

Hamburg will alle seine 103 Kilometer Deich erhöhen. In Wilhelmsburg steht dem Plan ein Hausprojekt im Weg. Die Stadt will das Gebäude abreißen.

Soll dem Deich weichen: Gelbes Haus in der Wilhelmsburger Fährstraße Foto: Andrea Maestro

HAMBURG taz | An der gelben Fassade des mit Stuck verzierten Hauses Nummer 115 weht ein weißes Banner. „Abriss verhindern“ steht darauf. Direkt neben dem Gebäude, nur durch eine zweispurige Straße getrennt, erhebt sich der Reiherstieg-Hauptdeich. Hamburg will diesen Deich als Schutz vor Hochwasser um 80 Zentimeter erhöhen. Das sei das aufgrund des Klimawandels nötig, so die Stadt. Und dafür müsse das Haus in der Wilhelmsburger Fährstraße 115 weg. Die solidarische Hausgemeinschaft, die hier seit 2007 lebt, kämpft gegen den Abriss.

Vor zwei Jahren beschlossen die Mitglieder des Wohnprojekts, das Haus zu kaufen. „Es fühlt sich einfach an wie unser Haus“, sagt Bewohnerin Norika. Für den Kauf schlossen sie sich mit dem Mietshäuser-Syndikat zusammen, einem bundesweiten Zusammenschluss von Wohn- und Werkstattprojekten, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Immobilien dauerhaft dem Markt zu entziehen, um günstigen Wohnraum zu sichern. Gemeinsam gründeten sie eine GmbH.

Diese GmbH sollte das Haus in der Fährstraße kaufen und später als Vermieterin auftreten. Die Selbstverwaltung der Bewohner*innen bliebe auf diese Weise erhalten. Mit einem privaten Direktkredit, der das Eigenkapital ersetzt, traten sie an eine Bank heran und erhielt einen Kredit für den Hauskauf. Im Februar 2020 wurde der Kaufvertrag unterschrieben.

Jetzt will die Stadt Hamburg von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen. Laut einem Planfeststellungsbeschluss seien Erwerb und Abriss erforderlich. „Die Immobilie war zum Zeitpunkt des Baus des heutigen Deiches nicht verfügbar“, erklärt Björn Marzahn von der Umweltbehörde. „Als Übergangslösung musste der Deichgrund darum herumgelegt werden. Die Übergangslösung wird durch den jetzt möglichen Kauf durch die Stadt Hamburg behoben.“

Im Stadtteil gut vernetzt

Die Bewohner*innen haben das Haus selbst gestaltet, Wände entfernt, den Dachboden zu einem Sportraum ausgebaut und den Garten gepflegt. „Es ist so viel Zeit und Energie in die Gestaltung eingeflossen“, sagt Norika. Es gibt mehrere WGs im Haus, aber auch Gemeinschaftsräume. Außerdem sei das Wohnprojekt super in den Stadtteil Wilhelmsburg eingebunden, so Norika. Andere lokale Gruppen nutzten die großen Räume des Wohnprojekts für ihre Treffen.

Der Hausgemeinschaft gehe es aber auch darum, bezahlbaren Wohnraum in Hamburg zu erhalten, sagt Norika. Das garantiere die GmbH, die das Haus nicht ohne Einverständnis des Mietshäuser-Syndikats oder der Bewohner*innen verkaufen darf. Die Fährstraße 115 bliebe also auf unbestimmte Zeit ein Mietshaus. Neue Bewohner*innen müssten sich nicht in die GmbH einkaufen, sondern bekämen einen normalen Mietvertrag. Das sei wichtig für Hamburg, da es so wenig bezahlbaren Wohnraum gebe, so Norika.

Wenn nun die Stadt von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen würde, wäre das Wohnprojekt Mieter der Stadt, bis das Haus abgerissen wird. Der Abriss ist derzeit für 2024 geplant. Bis dahin müssten sich die Bewohner*innen ein neues Gebäude für ihr Projekt suchen. Das aber ist schwierig. „Unser derzeitiger Vermieter ist uns mit dem Kaufpreis entgegengekommen“, sagt Norika. „Ein vergleichbares Objekt in ähnlicher Lage und Größe ist viel teurer.“

Umweltbehörde sieht das Problem nicht

Björn Marzahn von der Umweltbehörde ist da optimistischer. „Wir sind mit der Mietergemeinschaft in sehr guten Gesprächen“, sagt er. „Da die Umsetzung erst ab 2024 geplant ist, bleibt ausreichend Zeit, dass wir die Mieter intensiv bei der Suche eines neuen Hauses unterstützen.“ Wie diese intensive Unterstützung aussehen soll, erläuterte er nicht.

Die Stadt sieht indes keine Möglichkeit, das Haus zu erhalten. „Um die Deichsicherheit auch aufgrund des Klimawandels weiterhin zu gewährleisten, müssen die gesamten 103 Kilometer Hamburger Hochwasserschutzlinie um mindestens 80 Zentimeter erhöht werden“, erklärt Marzahn. Der Planfeststellungsbeschlusses müsse dafür umgesetzt werden.

„Die Politik sollte sich dafür einsetzen, Wohnraum in Hamburg zu erhalten“, sagt Norika. Es gäbe Optionen, den Deich zu erhöhen, ohne das Haus Nummer 115 abzureißen. Beispielsweise könne die Straße verengt werden. Bis zum 20. April 2020 hat die Stadt noch Zeit, von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen.

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8 Kommentare

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  • Das sind doch alle ungelegte Eier.



    Und natürlich ist es schade, dass einem so kurz vorm Ziel das Haus vor der Nase weggeschnappt wird, aber es entsteht in den nächsten Jahren ein komplett neuer Stadtteil in WB Mitte und auch am Spreehafen wird gebaut. Es gibt hier also genügend Ausweichmöglichkeiten für das Wohnprojekt. Leider ohne den Altbaucharme.

  • Selbstverständlich gibt es ingeneur-mäßige Möglichkeiten, den Deich zu erhöhen /und/ das Haus zu erhalten.



    Es stehen übrigens auch Wohnhäuser auf der anderen, elbseitigen Seite des Deiches.

    • @Wagenbär:

      Klar. Alles ist möglich.



      Das ist nicht der Punkt.



      Die Stadt verfolgt ein gesellschaftliches Ziel und hat das kostensparend zu tun.



      Die Bewohner verfolgen primär individuelle Ziele.



      Die Stadt ist insofern direkt verpflichtet, in der Abwägung die gesamtgesellschaftlichen Ziele höher zu werten.



      Warum sollte man zugunsten weniger hohe Mehrkosten in Kauf nehmen?

  • Kleiner Tipp - Es handelt sich um Klimafogenanpassung, nicht um Klimaschutz. Es werden lediglich die Folgen des Klimawandels abgemildert.

  • Es muss doch möglich sein, in Kooperaion mit Tiefbau- und Wasserbauingenieurinnen eine Lösung zu bauen, die das Haus erhält. Wilhelmsburg hat es verdient.

    • @Schnute:

      Da die zweispurige Straße offensichtlich erhalten bleiben soll, wird die Gebäudegrundfläche doch gar nicht für den Deich gebraucht. Es sei denn, die Deichkrone würde untypischerweise zur Straße.

  • 80 cm mehr reichen auch nur fuer begrenzte Zeit. Eine Stadt wie Hamburg muss sich sowieso auf einen kompletten Abriss vorbereiten. Die ganzen Altlasten muessen auf hoeheres Niveau gebracht werden, damit sie nicht das Meer erfasst. Zwischenzeitlich kann eine Sperre quer zur Elbe 50 km flussabwaerts die Deichlaengen deutlich reduzieren.

    • @meerwind7:

      Ein Schiffahrtshindernis quer durch die Elbe? In Hamburg?