Klimaneutralität bis 2045: Laue Wärmewende
Mehr als ein Drittel der Berliner Emissionen stammen von Vattenfall-Kraftwerken. Deren Fahrplan zur klimaneutralen Wärmeerzeugung ist wenig ambitioniert.
Was seine Klimaschutzbilanz angeht, ist der schwedische Konzern allerdings noch weit vom Ziel porentiefer Reinheit entfernt: Allein in Berlin stoßen seine Kraftwerke, die Strom und Wärme erzeugen, fast 5 Millionen Tonnen CO2 im Jahr aus – weit mehr als ein Drittel der 13,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die das Land insgesamt emittiert. Weil Klimaneutralität bis 2045 Gesetz ist und gerade die Wärmeerzeugung einen Großteil dieser Emissionen ausmacht, hat Vattenfall vor Kurzem einen „Dekarbonisierungsfahrplan“ für seine Fernwärmenetze vorgelegt.
KlimaschützerInnen halten diesen „Fahrplan“ jedoch für alles andere als überzeugend: In einer ersten Bewertung kommt der Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) zu dem Schluss, dass das Konzept „nicht die richtigen Weichen stellt, das Thema Nachhaltigkeit nicht ernst nimmt und gefährliche Lücken für die Erreichung der Klimaschutzziele aufweist“. Der klimapolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Stefan Taschner, nennt das 35-seitige Dokument gegenüber der taz „ambitionslos“. Seiner Wahrnehmung nach hat Vattenfall „das schnell runtergeschrieben, um seine gesetzlichen Pflichten zu erfüllen“.
Derzeit erzeugt Vattenfall in seinem großen innerstädtischen Verbundnetz sowie einigen kleinen „Inselnetzen“ jährlich fast 10 Terawattstunden Wärme, die als heißes Wasser über ein unterirdisches Netz von mehr als 2.000 Kilometer Länge in die angeschlossenen Gebäude geleitet wird. Erzeugt wird sie in 14 Kraftwerken, vom Steinkohle-Riesen Reuter West in Siemensstadt bis zu kleinen Anlagen wie dem mit Holzhackschnitzeln betriebenen Biomassekraftwerk im Märkischen Viertel. Das Gros der Energieträger macht allerdings – mit über 75 Prozent – Erdgas aus.
Erste Bausteine der Dekarbonisierung
Vattenfall weist auf „erste Bausteine der Dekarbonisierung“ hin, etwa die „Power-to-Heat“-Anlage am Standort Reuter West, wo ab Oktober mit überschüssigem Strom Wasser in einem riesigen Kessel erwärmt und dann gespeichert wird. Das dient allerdings vor allem der „Flexibilisierung von Wärmeangebot und -nachfrage“. In einem ersten echten Schritt auf dem Weg zur klimaneutralen Wärmeerzeugung will man nun bis 2030 aus der Steinkohle aussteigen und auch die meisten älteren erdgasbetriebenen Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) – Kraftwerke, die gleichzeitig Strom und Wärme erzeugen – stilllegen.
Ausgeglichen werden soll das durch neue Großwärmepumpen, Biomassekraftwerke und Wärmespeicher. In den Jahren bis 2035 sollen dann erste Geothermieheizwerke errichtet werden, die Wärme aus der Tiefe der Erde nutzbar machen. Außerdem soll damit begonnen werden, fossiles Gas durch Wasserstoff zu ersetzen, der mit Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. Auch die Abfallverbrennung soll stärker als bisher zur Fernwärmeerzeugung genutzt werden.
Bis 2040, „spätestens“ aber 2045 sollen gar keine fossilen Brennstoffe mehr zum Einsatz kommen, heißt es in dem Dokument. Der genaue Zeitpunkt hänge von der „Entwicklung des Energiemarkts und des weiteren Marktumfeldes“ ab, „insbesondere der lokalen Verfügbarkeit von klimaneutralen Energieträgern“. Gleichzeitig soll das Wärmenetz verdichtet und erweitert werden. Inwieweit das Land dies unterstützt, soll bis Mitte 2026 in der „kommunalen Wärmeplanung“ stehen, die die Senatsklimaschutzverwaltung aufstellen muss, um das entsprechende Bundesgesetz einzuhalten.
Für Julia Epp vom BUND-Landesvorstand und BUND-Klimareferent Matthias Krümmel lässt der Vattenfall-Fahrplan „viele Fragen offen“. Sie verweisen in einem gemeinsamen Artikel etwa darauf, dass die Ausdehnung der Abfallverbrennung von aktuell 4 auf 10 Prozent der Wärmeerzeugung weder mit der „Zero-Waste-Strategie“ des Senats in Einklang zu bringen sei noch als klimaneutral gelten könne. „Der Müll, den wir hier anzünden, ist schließlich überwiegend fossilen Ursprungs“, so Krümmel zur taz.
Ausweitung der Biomasseverbrennung
Auch die prognostizierte massive Ausweitung der Biomasseverbrennung – von 1 Prozent heute auf 17 Prozent schon im Jahr 2030 – stößt den UmweltschützerInnen übel auf. Es werde gar nicht näher ausgeführt, was da eigentlich verbrannt werden solle und wie nachhaltig es sei, so Epp und Krümmel. In Schweden habe Vattenfall jedenfalls ein forstwirtschaftliches Modell unterstützt, bei dem Naturwald gerodet und durch Baumplantagen ersetzt worden sei.
Interessant sind die 17 Prozent auch noch aus einem weiteren Grund: In der „Machbarkeitsstudie Kohleausstieg und nachhaltige Fernwärmeversorgung Berlin 2030“, die von Vattenfall und der Klimaschutzverwaltung in Auftrag gegeben und 2019 vorgelegt wurde, war noch von einem Anstieg des Biomasseanteils auf gerade einmal 4 Prozent die Rede.
Völlig schwammig bleibt für die KritikerInnen auch die Annahme, bis 2040 oder auch 2045 ließen sich über 20 Prozent der Wärme mit grünem Wasserstoff erzeugen. Studien, etwa vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK), lassen eine drastisch geringere Verfügbarkeit des Gases erwarten. Auch die Energiesparpotenziale durch energetische Gebäudesanierung spielten kaum eine Rolle in dem Konzept. „Aber mal ehrlich“, fragen die UmweltschützerInnen: „Kann man von Vattenfall erwarten, ein System mit Nachfragereduktion zu entwerfen und damit auch die eigenen Kapazitäten und das Geschäftsmodell infrage zu stellen? Wohl kaum.“
Es fehlt an einem Plan
Für den Grünen-Abgeordneten Stefan Taschner steht nach der Lektüre des „Fahrplans“ fest: „Vattenfall setzt weiter auf Wärmeerzeugung in Großkraftwerken, jetzt eben mit Biomasse und grünem Wasserstoff – hat aber keinen Plan, woher die kommen sollen.“ Es brauche stattdessen ein „Mosaik“ der Erzeugungsarten und eine stärkere Parzellierung der Wärmeversorgung, um kleinteilige Lösungen einbinden zu können. Das könne bis hin zu dem in Barcelona umgesetzten Modell kleiner Kraftwerke oder Wärmepumpen gehen, die nur je einen Häuserblock versorgen. Taschner räumt ein, dass vieles noch ausführlich von ExpertInnen durchgerechnet werden müsse. Er sehe dabei „auch die Bezirke in der Pflicht“ sagt er zur taz: „Ich hätte gerne in jedem Bezirk Wärmewende-ManagerInnen, die runde Tische organisieren.“
Vielleicht hat man sich bei Vattenfall aber auch deshalb nicht allzu viel Mühe mit dem Dekarbonisierungsfahrplan gemacht, weil der Konzern seine Berliner Wärmesparte eigentlich noch in diesem Jahr abstoßen will. Wie Sprecher Stefan Müller bestätigt, habe es auf die entsprechende Ankündigung hin „zahlreiche Interessensbekundungen von potenziellen Investoren“ gegeben. Auch der Senat gehört dazu – und zuletzt gab es Berichte, dass die meisten privaten Interessenten abgesprungen seien. Es fänden aber derzeit „intensivere Gespräche mit mehreren Bietern“ statt, so Müller.
Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe unter Franziska Giffey (SPD) teilt dazu nur blumig mit: „Es ist das erklärte Ziel des Landes Berlin, die Wärme nach Hause zu holen.“ Zum laufenden Verfahren könne man aber „keine Informationen geben“.
Und im Haus von Klimaschutzsenatorin Manja Schreiner (CDU), hält man dort das von Vattenfall präsentierte Konzept für realistisch? Auf taz-Anfrage enthält man sich in der Senatsverwaltung jeglicher Bewertung: Man stehe „nach Sichtung der Dekarbonisierungsfahrpläne im Austausch mit der Regulierungsbehörde für Fernwärme“, heißt es knapp. „Sie ist gemäß dem Berliner Energiewendegesetz für deren Prüfung sowie die spätere Überwachung der Einhaltung zuständig.“
So wie es aussieht, könnten die meisten der an der Berliner Wärmewende Beteiligten noch ein paar Stöße Erfrischungsspray gebrauchen, um endlich auf Touren zu kommen.
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