Klettern um des Kletterns willen

■ Alpenveilchen und Bundhose fehlten bei den Sportkletterern, die in München ihre ersten „Internationalen Deutschen Meister“ suchten - vollökologisch in der Halle

Was ist nun davon zu halten? Klettern junge Menschen, durchtrainierte auf jeden Fall, kunststoffbeschichtete Holzplatten hoch, die gehalten von einem Stahlrohrgerüst (die Wand von München, wo am Wochenende die 1. Internationalen Deutschen Meisterschaften im Sportklettern ausgetragen wurden, war zwölf Meter hoch, 20 Meter breit und hat 400.000 Mark gekostet), klettern da also hoch, so weit sie kommen, so schnell es geht, auf angeschraubten winzigen windigen Tritten und Griffen; fürchten nicht Wetter (Halle!) noch Sturz (Sicherungsseil!) - und nennen das ganze Sport, Wettkampfklettern.

Und weil sie so überzeugt sind davon, wollen sie gar olympisch werden. Die UIAA, die internationale Bergsteiger -Vereinigung, hat den Willen vorangetrieben, und 1992 schon in Barcelona dürfen die Wettkletterer ihr Treiben vorführen. Ist das denn Sport, nur weil es hochspezialisierter Leistungsvergleich ist, weil Zeiten und Höhen gemessen werden, weil es Sieger und Verlierer gibt (die andernorts, bei traditionellen, naturverbundenen Bergsteigern möglicherweise Tote wären)?

Der Deutsche Alpenverein, mit 485.000 Mitgliedern eine Lobby am Berg, hat sich anfangs geziert, als Mitte der siebziger Jahre immer mehr die Bundhose und die schweren Bergstiefel auszogen, um fortan bunt gescheckt und in Halbschuhen (allerdings mit immens haftenden Adhäsionssohlen) in die Berge zu ziehen. Vorbei sollte für diese Avantgarde der Imperialpinismus sein. Nichts mehr zu tun wollten sie haben mit den Vorvätern, die Berge erklommen in schwindelnder Höhe und sich dabei an Haken und Seilen hochzogen, altväterliche Naturverbundenheit propagierten und mit dem Wagen möglichst weit hoch fuhren zum Gipfel, Haken in der Wand beließen und vergaßen die Cola-Dosen mit ins Tal zu nehmen.

Free-Climbing hieß der zunächst marktunabhängige Import aus den Staaten, Klettern um des Kletterns willen, das Seil sollte nur noch Haltefunktion haben im Notfall, nicht mehr Aufstiegshilfe für Gipfelstürmer sein.

Fast zehn Jahre hat der DAV gebraucht, um zu akzeptieren, daß Lust am Klettern unabhängig von der erhabenen Geste am Gipfelkreuz ist. Und nun sind sie da, treffen sich weltweit in diesem Jahr elfmal, von Grenoble über die Krim bis in die Vereinigten Staaten, treten überall auf mit ihrem spektakulären Zirkus, überwinden mit halsbrecherisch aussehenden einarmigen Klimmzügen exponierteste Überhänge und machen nicht Halt vor großen glatten Flächen. (Kürzlich ist einer von ihnen auf Sylt außen die Glasfassade eines Hotels hochgestiegen, ein gleichzeitig gestarteter Treppengänger kam später im dritten Stock an.)

1975 reichte die Skala der Schwierigkeitsgrade kaum höher als bis zur Ziffer sechs, 1987 hat Wolfgang Güllich, einer der Päpste der Free-Climber (die Szene hat viele) eine 11er Route durchstiegen. („Schwierigkeiten, die nur noch mit einstudierten Bewegungsabläufen zu bewältigen sind.“). Zwei Wochen hat er sich die Führe immer wieder angeschaut, zuvor ein halbes Jahr eigens für diesen Trip Kraft gesammelt.

Viel weniger Vorbereitungszeit hatten die Münchner Teilnehmer für ihre 9-plus-Route in der Halle. Zwei Minuten durften sie zuvor die Wand anstarren, und mußten dann aufsteigen. Sturzfrei hat das keiner geschafft in drei Durchgängen. Güllich kam nicht mal in die zweite Runde, hält auch nicht allzuviel von dieser Art Bergsteigerei. „Stundenlange, zermürbende Warterei im abgeschlossenen Raum“ (damit niemand Informationen über die Route vorab einholen kann), „dann Klettern im Scheinwerferlicht vor Zuschauern, das ist nicht meine Vorstellung.“

Lukrativ aber ist das Indoor-Klettern, die Sieger von München, Patrick Edlinger aus Frankreich und Lynn Hill aus den Staaten, konnten einen Mittelklassewagen im Wert von 20.000 Mark mit heimnehmen.

Das stärkste Argument aber für das Hallen-Spektakel ist seine Umweltverträglichkeit. In Arco in Italien haben sie für so einen Wettkampf geholzt, Parkplätze freigeschaufelt und Tribünen gebaut für die 12.000 Zuschauer, die dann Flora zertrampelten und Dreck am Berg ließen. Dort, wie fast überall, wird Wettkampfklettern im Freien gezeigt. „In Deutschland, wo der Naturschutz ein derart sensibler Bereich ist, geht an Felswänden sowieso nichts“, hat Stefan Glowacz (noch ein Papst, zweimal inoffizieller Weltmeister, Rock -Master heißt das, und in München Zweiter) kürzlich einmal gesagt.

Und wenn das nicht reicht zur Förderung der noch jungen Leibesübung, die Industrie wird's schon richten. 240 Quadratmeter Werbefläche, permanent im Bild, wenn das nicht verlockend ist. In München hat ein Sportversandhaus die Wand bezahlt und jedem Kletterer beim Einstieg eine Fußmatte hingelegt.

Willkommen stand darauf, das wahrlich scheinen sie zu sein auf dem Sportmarkt. Endlich mal ein Geschäft, das nicht künstlich gezeugt werden muß, kurz boomt, dann stirbt (wie Surfen, Mountain-Bike oder Snowboard). Dies hier ist gewachsen am Berg, hat sich fortentwickelt und holt sich nun bloß ein Stück vom Kuchen. Die Stars in Frankreich, den USA, und auch hierzulande leben nicht schlecht von ihren Kraftakten.

Also ein veritabler Sport. Nichts da mit dem Einwand, Wettkampfklettern sei Zirkus. Das genau ist es, und welcher Sport ist kein Zirkus?

Helmut Schümann