: Klettermaxe wider Willen
Vor der Tour de France hätte Santiago Botero, Kolumbiens neues Radsportidol, vom rot gepunkteten Trikot des Bergbesten nicht zu träumen gewagt, denn der 27-Jährige ist kein Kletterspezialist
von KNUT HENKEL
Als König von L’Alpe d’Huez ging Kolumbiens Radsportlegende Luis Alberto „Lucho“ Herrera 1984 in die Annalen des kolumbianischen Radsports ein. Santi Botero, der heilige Botero, wie Kolumbiens neuer Radstar in Bogotá genannt wird, wird nach seinem Etappensieg in den Alpen wohl fortan als König vom Col d’Izoard firmieren.
Ein Titel, mit dem in der kolumbianischen Radsportszene niemand gerechnet hatte. Botero steht nämlich ganz und gar nicht in der Tradition der Bergziegen aus dem Kaffeeland. Mit Lucho Herrera oder Chepe González, der im letzten Jahr die Bergwertung beim Giro gewann, ist Botero nicht zu vergleichen. Seine Stärken liegen, so Herrera, auf den flachen Teilstücken. „Botero ist dort stark, wo wir Kolumbianer normalerweise Probleme bekommen. Er steht für den Wandel im nationalen Radsport“, meint der 39-Jährige.
Ungewöhnlich ist nicht nur die Fahrweise, sondern auch der Weg des 27-Jährigen zum Radsport. Vier Jahre lang fuhr Botero erfolgreich Mountainbike. Mehr durch einen Zufall wechselte er dann auf die Straße. Die nationale Sportkommission hatte ihn aus disziplinarischen Gründen nicht an den Panamerikanischen Spielen von Mar del Plata (1995) teilnehmen lassen, worauf der ehrgeizige Sportler dem Mountainbikeverband den Rücken kehrte und aufs Rennrad stieg. Ein nationaler Titel über 4.000 Meter in der Einzelverfolgung und ein Vizetitel beim Weltpokal folgten, bevor Botero 1996 seine erste Rundfahrt bestritt. Bei der Vuelta a Antioquia schnitt der diplomierte Verwaltungsfachmann zwar nicht sonderlich gut ab, war aber in den Fokus der Talentspäher des spanischen Kelme-Rennstalls geraten.
Botero zögerte nicht lange, nahm das Angebot der Spanier gegen den Rat einiger kolumbianischer Trainer an und wechselte nach Europa. Drei Jahre später hatte er den Durchbruch bei Kelme geschafft. Mit einem dritten Platz bei Paris–Nizza und einem zweiten bei der Andalusienrundfahrt bewies Santi Botero im letzten Jahr ausgezeichnete Frühform. Ein Trainingsunfall, bei dem er sich einen komplizierten Unterarmbruch zuzog, verhinderte dann jedoch die Teilnahme am Giro d’Italia.
Wenig später erfolgte ein neuerlicher Nackenschlag. Aufgrund eines zu hohen Testosteronwertes wurde der aus Medellín stammende Botero ein halbes Jahr gesperrt. Der Traum von der Teilnahme an der Tour de France war dahin, obgleich Botero wenig später bei mehreren offiziellen Tests nachwies, dass sein natürlicher Testosteronwert ungewöhnlich hoch ist.
Seitdem hat sich Botero ins Training gestürzt, Defizite in den Bergen wettgemacht und sich hart auf die diesjährige Tour vorbereitet. Da sollte er ursprünglich nur als Wasserträger für die Kelme-Stars Fernando Escartín und Roberto Heras fungieren. Doch als Vicente Belda, kolumbianischer Teamchef bei Kelme, erkannte, dass mehr drin war, gab er Botero Order, den Führenden in der Bergwertung anzugreifen. Gesagt, getan – Santi Botero holte sich das gepunktete Trikot, das in seiner Heimat so hohe Wertschätzung genießt, und setzte sich in der Gesamtwertung unter den zehn Besten fest – als erster Kolumbianer seit den großen Tagen von Lucho Herrera, Fabio Parra und der Café-de-Colombia-Mannschaft.
Von einer Neuauflage der goldenen Zeiten träumt auch Botero. Er möchte gemeinsam mit den anderen in Europa fahrenden kolumbianischen Cracks eine Mannschaft bilden. Die Bergwertung könnte er dann Spezialisten wie Victor Hugo Peña oder Chepe González überlassen und sich ganz auf die Gesamtwertung konzentrieren – ein schöner, aber wenig realistischer Traum.
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