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Kleingärten in BerlinBedrohte Kolonien des Glücks

Etwas Grün in bester Stadtlage – davon träumen nicht nur die, die auf eine Parzelle zum Gärtnern warten: Die Flächen wecken auch Begehrlichkeiten als Bauland.

So in etwa fühlt sich Sommer an – wenn man einen Garten hat Foto: Karsten Thielker

Wir haben eine WhatsApp-Gruppe mit allen Freunden, die uns beim Gärtnern helfen“, erzählt Anne Lautsch, „und die haben wir ‚Gartenglück‘ genannt. Denn genau das ist es ja.“ So wie Lautsch und die anderen Mitglieder vom Vorstand der Kolonie am Flughafen im Schatten üppig behangener Pflaumen- und Birnbäume um Kaffee und Streuselkuchen sitzen, versteht man sofort, warum ihr Herz am Gärtnern hängt. Warum sie alles versuchen, um dieses üppige Stück Kreuzberger Grün zu erhalten. Denn die Zukunft der Kleingartenanlage ist nicht gesichert.

97 Parzellen hat die Kolonie zwischen dem Tempelhofer Feld und den Friedhöfen an der Bergmannstraße, macht mit Wegen und Gemeinschaftsflächen rund 25.000 Quadratmeter. Die Bruttofläche ist deutlich größer, denn die Gärten umrahmen einen Fußballplatz und das sogenannte Regenwassersammelbecken, das die Niederschläge aufnimmt, die von der riesigen versiegelten Fläche des ehemaligen Flughafenvorfelds abfließen.

Bis 2014 gehörte das Stückchen Stadt zu Tempelhof-Schöneberg, seit einer Flurbereinigung ist es auch formal Teil des Kreuzberger Bergmannkiezes. Durchstreift man die Anlage auf ihren Verbindungswegen – was wie in den meisten Berliner Laubenkolonien ausdrücklich erlaubt ist –, verschwindet die Stadt hinter einer grünen Wand und macht sich nur durch sanftes Grundrauschen bemerkbar.

Wolfgang Hahn, in dessen Garten sich die Runde an diesem heißen Sommertag trifft, pachtet seine Parzelle seit 1983. Als der langjährige Geschäftsführer des Nachbarschaftshauses Urbanstraße 2006 seinen Ruhestand antrat, machten sich die Vereinsmitglieder sein Organisationstalent und seine Vernetzung im Bezirk zunutze und wählten ihn zum 1. Vorstand. „Da musste ich gleich wieder ran“, sagt der 75-Jährige und lacht.

Es gab aber auch viel zu tun: 2009 wollte der Senat unter Federführung der damaligen Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) den Berliner Flächennutzungsplan so ändern, dass auf der Kleingartenfläche ein „Lilienthalquartier“ errichtet werden könnte: Eigentumswohnungen am Rande des Tempelhofer Felds, dessen Teilbebauung damals auch noch als gesetzt galt.

Die Vorstand der Kolonie organisierte eine Befragung der PächterInnen, warum ihnen ihr Garten wichtig ist, ermittelte, wie viele Menschen die Parzellen auch mittelbar zur Erholung nutzten – Ergebnis: rund 1.000 mit Familien, Freunden und Bekannten. Man zeigte Präsenz auf Bürgerversammlungen.

Begehrtes Stadtgrün

Die Fläche Berlin hat so viele Kleingärten im Innenstadtbereich wie keine andere europäische Metropole. Insgesamt nehmen sie rund 2.900 Hektar ein – rund 3 Prozent der Stadtfläche. Mehr als drei Viertel der Gärten (mit rund 90 Prozent der Fläche) befinden sich im Eigentum des Landes, der Rest verteilt sich auf den Bund, die Bahn oder andere private Eigentümer.

Die Bedrohung

(bzw. Teile davon) sind im Flächennutzungsplan als Bauland ausgezeichnet und verlieren ihren bisherigen Schutzstatus Ende 2020. Ob und wann sie verkauft werden, ist offen. Im Fall der Wilmersdorfer Kolonie Oeynhausen, die vor einigen Jahren Schlagzeilen machte, war die Post Eigentümerin der umstrittenen Teilfläche. Die Baupläne eines Investors, an den sie eine Teilfläche verkaufte, konnte am Ende auch ein Bürgerentscheid nicht verhindern.

Die Regeln Die Verpachtung der landeseigenen Kleingärten übernimmt der jeweilige Kleingarten-Bezirksverband. Er bestimmt den Pachtzins auf Grundlage des Bundeskleingartengesetzes. Was in den Gärten passiert, ist auf landeseigenen Grundstücken durch Verwaltungsvorschriften geregelt. Grundsätzlich gilt: Ein Kleingarten muss auch Nutzgarten sein – nicht bloß eine sterile Rasenfläche.

Die soziale Bedeutung der Gärten war allen natürlich längst klar, neu war dagegen für viele das Bewusstsein, wie viel man der Stadt auch ökologisch gibt. „Ich habe damals zum ersten Mal auf einem Satellitenbild gesehen, wie groß die zusammenhängende Grünfläche ist, zu der wir gehören“, sagt Wolfgang Hahn, „das hat mich echt beeindruckt.“ Auch Umweltorganisationen betonen schon lange die Bedeutung grüner Schneisen im Stadtgebiet für das Mikroklima und den Artenschutz.

Am Ende beerdigte die Senatsverwaltung ihr Vorhaben. Und doch: Die KleingärtnerInnen wollen und können sich nicht in Sicherheit wiegen. Das verbietet ihnen die politische Großwetterlage. Denn die Berliner Gartenkolonien mit ihren rund 70.000 Parzellen stehen schon länger unter Beschuss.

Immer häufiger wird infrage gestellt, ob der Erhalt der Kolonien unbedingt nötig ist. Die knapp 3.000 Hektar Stadtfläche, die die Gärten belegen, machen in einer wachsenden Stadt nicht nur privaten Investoren Appetit – wie dem Projektentwickler Arne Piepgras, der kürzlich in einem als Zeitungsanzeige geschalteten „offenen Brief“ an Stadtentwicklungs-Senatorin Katrin Lompscher (Linke) vorschlug, zur Schaffung von Bauland alle Kleingärten nach Brandenburg zu verlagern. Auch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind vor dem Hintergrund des zunehmenden Mangels an bezahlbarem Wohnraum angehalten zu liefern.

Die meisten der 890 Kleingartenanlagen – mit über 90 Prozent der Fläche – befinden sich in Landeseigentum, und für 160 komplette Anlagen oder Teilbereiche ist es schon vorbei mit der Ruhe: Der Flächennutzungsplan weist sie als potenziellen Standort von Wohnungen oder Gewerbe aus, am 31. Dezember 2020 geht für sie eine längere Schutzfrist zu Ende.

Das heiße allerdings nicht, dass die betroffenen GärtnerInnen sofort Heckenscheren und Liegestühle einpacken müssen, sagt Günter Landgraf. Der Präsident des Landesverbandes Berlin der Gartenfreunde e. V., in dem die meisten Kleingartenvereine organisiert sind, will das „Signal des Senats“ vernommen haben, dass in den kommenden Jahren keine dieser Kolonien verschwinden muss, weil das Land das Grundstück zu Geld macht.

Der Garten als Ressource

Denn dass die für Berlin so typischen innerstädtischen Gärten eine „historisch gewachsene, kulturelle, ökologische und soziale Ressource“ sind, hat längst auch die Senatsumweltverwaltung erkannt. Sie will nach eigenem Bekunden die allermeisten Parzellen dauerhaft sichern und hat dafür schon 2004 einen „Kleingartenentwicklungsplan“ (KEP) aufgelegt. Gerade wird eine neue Fassung erarbeitet, und auch die Gartenfreunde sind daran beteiligt, weshalb deren Präsident Hoffnung hat, dass die Verbandsmitglieder mit dem Ergebnis leben können. Die Vorgängerversionen, kritisiert Landgraf, seien ja eher „Kleingartenvernichtungspläne“ gewesen.

Dorothee Winden, Sprecherin der Senatsumweltverwaltung, bestätigt der taz: „Wir wollen möglichst alle Kleingärten erhalten.“ Und zwar auch die, deren Schutz 2020 erlischt. Für sie sollen „längerfristige Nutzungsperspektiven“ ermittelt werden. Ein erster Entwurf des „KEP 2030“ liegt bereits vor, ist aber nicht öffentlich. Nach Abstimmung mit den Bezirken, aber auch mit zivilgesellschaftlichen Gruppen soll er dem Abgeordnetenhaus zum Beschluss vorgelegt werden. Ob das in diesem Jahr noch klappt, ist unklar.

Klar ist dagegen: „Es gibt keine gesetzlich verpflichtende Grundlage, einen Kleingartenentwicklungsplan zu erarbeiten oder Schutzfristen fortzuführen.“ So formuliert es Umweltstaatssekretär Stefan Tidow in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der SPD vom Frühjahr. Ja, der Schutz der Gärten liege Rot-Rot-Grün am Herzen, aber da die Gesamtentwicklung es nun mal verlange, „wird geprüft, ob in einzelnen Fällen geeignete landeseigene Kleingärten für preiswerten Wohnraum und soziale Infrastruktur in Anspruch genommen werden können“.

Sprich: Auch wenn der Senat diese „Inanspruchnahme minimieren und im erforderlichen Umfang für Ersatz sorgen“ will, dürfte es spätestens bis Ende des kommenden Jahrzehnts deutlich weniger Kleingärten in Berlin geben. Und das, obwohl das Gärtnern seit Jahren an Beliebtheit gewinnt und BewerberInnen inzwischen in allen Bezirken jahrelange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.

Halten sichtlich zusammen: Mitglieder der Kreuzberger Kolonie am Flughafen Foto: Karsten Thielker

„Im Grunde müsste keine einzige Anlage verschwinden“, findet Günter Landgraf. Natürlich sei Wohnungsbau wichtig, aber es gebe ja genügend Flächen, die verdichtet werden könnten – etwa die vielen innenstädtischen Discounter mit ihren ausladenden Parkplätzen. Und: „Wenn wir all den Menschen, die zusätzlich in die Stadt kommen, auch Lebensqualität bieten wollen, brauchen wir die grünen Flächen unbedingt. Spätestens nach diesem Sommer müsste der Politik das klar sein.“

Dass Kleingartenanlagen ein ungutes Image des Piefigen und Verschlossenen umweht, weiß Landgraf. Für ihn ist dieses Bild aber längst von der Realität überholt. Er zählt Projekte auf, bei denen Kiez und Stadt von der grünen Oase profitieren: Anlagen, in denen Kitagruppen oder Schulklassen das Gärtnern erproben können, oder solche, wo aktiver Insektenschutz und Imkerei betrieben werden.

Genau das schwebt auch dem Vorstand der Kolonie am Flughafen vor: Man will die Flächen stärker für die AnwohnerInnen öffnen, Parzellen für Gruppen zugänglich machen, soziale und ökologische Angebote ermöglichen. Nachdem vor acht Jahren die unmittelbare Gefahr der Abwicklung abgewendet war, blieb aber das dringlichste Anliegen der PächterInnen, künftigen Verdrängungsversuchen vorzubeugen. Zwar sind ihre Grundstücke auf dem Flächennutzungsplan weiterhin grün markiert (rot oder rosa würde Wohnbebauung zulassen), aber sie trauen dem Frieden nicht. Die GärtnerInnen ließen sich umfassend beraten, gaben ein Gutachten in Auftrag, das den Verkehrswert der Fläche ermittelte, und gründeten nach ein paar hitzigen Vereinssitzungen eine Genossenschaft.

Gegen die Spekulation

Hauptzweck der „Kolonie am Flughafen eG“ ist der Erwerb der Fläche von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) – in diesem Fall ist der Bund Eigentümer. Der Bima wurde ein offizielles Kaufangebot unterbreitet, das Geld dafür liegt sicher verwahrt auf einem Treuhandkonto. „Durch die Genossenschaft wollen wir der Spekulation mit Flächen etwas entgegensetzen“, erklärt Hahn den aufwändigen Schachzug. „Und würde das Gelände dennoch einmal verkauft werden, soll ein möglicher Gewinn dem Bezirk zweckgebunden zufließen, zur Förderung von Kleingartenanlagen oder von urbanem Gärtnern.“ Nur: Bislang ist nichts passiert, die GenossInnen fühlen sich nicht so recht gehört. „Wir stoßen bei der Bima auf Granit“, sagt Hahn.

Auf taz-Anfrage ist die Bundesanstalt auskunftsfreudiger: Das Erwerbsinteresse der Pächter und die Genossenschaftsgründung seien „seit vielen Jahren bekannt“, heißt es in einer schriftlichen Antwort – und ihre Chancen auf einen Direkterwerb zum aktuellen Verkehrswert stünden sogar „sehr gut“. Allerdings nur, wenn nicht vorher die öffentliche Hand die Kolonie kauft: „Da es sich um eine Fläche handelt, die für das Land Berlin unter dem Kriterium der Sicherung von Flächen, die für die allgemeine Daseinsvorsorge bzw. für sonstige öffentliche Zwecke […] interessant sein kann“, habe man sie dem Land zum Direkterwerb angeboten, teilt die Bima mit. Die Abstimmungen darüber dauerten an.

Von dem möglichen Deal haben auch die KleingärtnerInnen bereits erfahren, es kam sogar schon zu einem kurzen Gespräch mit Florian Schmidt, dem grünen Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. Der habe signalisiert, so Hahn, dass der Bezirk Interesse am Kauf habe – „aber wir wissen nicht, was er damit vorhat“. Tatsächlich hat die landeseigene Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) die Anfrage der Bima an den Bezirk weitergereicht.

Laut schriftlicher Antwort von Florian Schmidt an die taz hat „der Bezirk angegeben, ein Erwerbsinteresse zur Daseinsvorsorge mit Sportflächen und zum Erhalt der Kleingärten zu haben“. Man erwarte deshalb jetzt, dass BIM und Bima über den Verkauf verhandelten. Gänzlich beruhigen wird das die KleingärtnerInnen trotzdem nicht – denn sie wissen, dass das Interesse der Bezirks- und Landespolitik sich ändern kann, siehe „Lilienthalquartier“.

Wäre es denn nicht auch für den Bezirk gut vorstellbar, dass künftig genossenschaftliche Gärten seinen südlichsten Zipfel bildeten? „Der Bezirk möchte die Kleingartensiedlung erhalten, wird jedoch erst nach kompletter Neuordnung des Areals eigentumsrechtliche Absicherung (z. B. über Erbbaurechte) vornehmen, also nach Ankauf des Areals“, teilt Stadrat Schmidt der taz mit. Klingt, als gebe es noch Gesprächsbedarf zwischen den PächterInnen und Bezirksamt.

Für Anne Lautsch und ihren Mann Marc, dessen Familie schon seit Jahrzehnten eine Parzelle in der Anlage pachtet, wäre die dauerhafte Sicherung der Anlage „ein Traum“. Ihr 11 Monate alter Sohn hat Trisomie 21, für ihn ist der Garten sicherer als etwa ein Spielplatz, sagt seine Mutter: „Kinder mit Trisomie reißen häufiger mal aus, sobald sie laufen können, habe ich gelernt.“ Sie kann sich auch gut vorstellen, die Lebenshilfe für ein Angebot im Garten zu gewinnen.

Niedrige Hecken erwünscht

Die Lautschs sind Teil der jüngeren Generation in der Kolonie, die im Gegensatz zu manch Alteingesessenem keine Berührungsängste hat, wenn es um Erneuerung geht. Dazu passt die Empfehlung des Vorstands, die Hecken um die Gärten nicht mehr so hoch wachsen zu lassen, um Abschottung zu vermeiden, aber auch das Hochbeet, das man gerade auf der Grünfläche außerhalb des Zauns zur Golßener Straße mit dem Projekt „Weltacker“ angelegt hat. Und mit einem außergewöhnlichen Gast auf dem Gelände der Kolonie hat man nach anfänglicher Skepsis Formen der Zusammenarbeit gefunden: die Floating University, eine temporäre Installation des Architektennetzwerks Raumlabor, die wie ein Fantasiepalast aus Gerüsten, Planen und Holz über dem Regenwassersammelbecken zu schweben scheint. Anschauen kann man sich das bei den „Open Weeks“ ab 30. August.

In der Selbstbeschreibung des Projekts heißt es, hier kämen „Studierende und Wissenschaftlerinnen, Künstler aus der ganzen Welt, lokale Experten, Architektinnen, Musikerinnen und Tänzer“ zusammen, „um das alltägliche urbane Leben zu untersuchen und Vorschläge zur Neuorganisation zu formulieren“. In der direkten Nachbarschaft mündete das mittlerweile in kleine Workshops für biologisches Gärtnern, bei denen zwei PächterInnen Führungen über ihre Grundstücke anboten.

Es kamen Menschen aus den USA, Syrien oder Costa Rica, und sie staunten, wie fruchtbar, nachhaltig und friedlich so ein kleines Stück Natur mitten in der Stadt sein kann.

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