piwik no script img

Klein, schmutzig, obszön

■ „Der kleine Horrorladen“ im Bremerhavener Stadttheater / Das richtige Stück am richtigen Ort

Foto: Heiko Sandelmann

Seymour, der unscheinbare Angestellte in Mr. Mushniks bankrottem New Yorker Blumenladen, tauft seine selbstgezüchtete giftgrüne Pflanze auf den Namen der angebeteten Kollegin Audrey. „Audrey II“ hat nur einen Fehler: der einzige Stoff, der sie

nährt, ist Menschenblut. Die blutleckende Pflanze, die Roger Corman 1960 zu einen Kultfilm inspirierte und in den 80er Jahren als Schmuddel-Musical wiederbelebt wurde, zieht nun über die gesamtdeutschen Bühnen. In diesen Tagen hat die singende

Pflanze unter dem Jubel des Publikums (von 13 bis 80) das Große Haus des Bremerhavener Stadttheaters erobert und den ehrwürdigen Musentempel in einen vibrierenden Rock-Palast verwandelt.

Bremerhavens Oberspielleiter Manfred Repp legt mit „The Little Shop of Horrors“ (Der kleine Horrorladen) ein zweieinhalbstündiges Spektakel vor, das die Parodie auf Horrorfilme, die Satire auf Kleinbürger- Glück und Großmannsträume, in eine Zitat-Collage aus musikalischen Floskeln der Rock-und Soul-Geschichte kleidet. Das gelingt mit einem jungen, gut aufeinander eingespielten Ensemble, daß vor Lust an der schwarzen Komödie strotzt. Das piepsende Monroe-Püppchen Audrey (Harriet Kracht) im eng ansitzenden Mini-Kleid zum Beispiel, oder der hilflos naive Seymour (Dirk Böhling), der auf der Suche nach Nahrung für seine gefährliche Züchtung unversehens zum Doppelmörder wird, bevor er ihr selbst zum Opfer fällt. Oder der sadistischen Zahnklempner Orin (Christoph Maria Herbst), ein Macho in schwarzer Lederkluft, ein roboterhaft agierender Elvis-Verschnitt. Sein rosaglitzerndes Motorrad ist zugleich Behandlungsstuhl, auf dem die angeschnallten Patienten mit schrecklichen Bohrern gemartert werden. Während Kay Krause in sieben Kleinstrollen gut temperiert den Clown vom Dienst spielt kommentieren die drei singenden Straßengören Crystal (Angela Lachnit), Ronnette (Bettina Meske) und Chiffon (Lynne Williams) das makabre Geschehen als antiker Chor im Tamla- Motown-Sound. Wolf Gross (Bild) nutzt den gesamten Bühnenraum zum Aufbau eines graffitti-gezierten New Yorker Hinterhof-Milieus.

Mittendrin steht der kleine Blumenladen, auf einer Empore darüber die fünfköpfige Band (mit Saxophon und klassischer Besetzung), die „Nematoden“ aus Bremerhaven. Glücksgriff. Unter Carsten Heusmanns musikalischer Leitung bewältigen sie den Schnellauf durch die Rock-Geschichte mit der nötigen lässigen Souveränität.

„Der kleine Horrorladen“ ist ein kleines, obszönes, schmutziges Musical, mit Witz inszeniert. Daß aus finanziellen Gründen nicht mehr als 18 Vorstellungen geplant sind, obwohl absehbar ist, daß die Nachfrage für mehrere Spielzeiten reicht, gehört zu den Paradoxien eines Stadttheater-Systems, das sich in seinen eigenen Fesseln verfängt und auffrißt. Auch ohne blutschluckende Pflanze. hans happel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen