: Klatsche für Wahlrechts-Änderer
Des Volkes Wille darf nicht ignoriert werden: Ex-Verfassungsrichter Gottfried Mahrenholz hält Zustandekommen des CDU-Wahlrechts für verfassungswidrig. GAL will vor das Verfassungsgericht
VON KAI VON APPEN
Das von der CDU-Mehrheitsfraktion in der Bürgerschaft durchgepaukte neue Wahlgesetz ist verfassungswidrig. Zu diesem Ergebnis kommt der ehemalige Vize-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Gottfried Mahrenholz, der für die GAL-Fraktion eine Rechtsexpertise angefertigt hat. Das Gesetz, mit dem die vor zwei Jahren in einem Volksentscheid durchgesetzte neue Wahlgesetzgebung wieder ausgehebelt wird, verstößt demnach gegen den wesentlichen verfassungsrechtlichen Aspekt der „Organtreue“. Die Bürgerschaft mache sich „zum Herrn über das, was das Volk entschieden hat“, kritisierte Mahrenholz gestern. „Es kann nicht sein, dass die Bürgerschaft das so einfach abändert.“
Für Mahrenholz ist die Lage klar: Laut der Hamburgischen Verfassung gebe es zwei so genannte Verfassungsorgane, die als Gesetzgeber tätig werden können – „die Bürgerschaft und das Volk“, sagte der Verfassungsrechtler. Da bei dem Volksentscheid die Bürgerschaft mit einem eigenen Wahlgesetzentwurf gegen die Bürgerinitiative „Mehr Demokratie“ angetreten und bei der Abstimmung unterlegen war, sei der Entwurf der Initiative Gesetz geworden.
„Es grenzt schon an Absurdität, wenn dieses Gesetz schon in der gleichen Wahlperiode abgeändert wird“, monierte Mahrenholz. „Denn Organtreue bedeutet, dieses Gesetz zu würdigen, weil sonst das Volk nichtrespektiert wird.“ Daher müsse das Gesetz erst einmal zur Anwendung gekommen sein, bevor es durch das Organ Bürgerschaft verändert werden könne. Sonst trete ein „Win-Win“-Effekt ein, so Mahrenholz: „Die Bürgerschaft gewinnt immer.“
Auch den CDU-Behauptungen, dass sich durch ihre Wahlrechtsänderung im Kern an dem Volkswillen kaum etwas ändere, tritt Mahrenholz entgegen. Auch wenn formal das Panaschieren und Kumulieren (siehe Kasten) noch möglich ist, sei diese Möglichkeit durch die „Relevanzschwelle“ faktisch ausgehebelt worden. „Um diese Auswahlfreiheit hat das Gesetz den Bürger gebracht“, sagte Mahrenholz. „Damit hätte sich die CDU aber im Gesetzgebungsverfahren auseinander setzen müssen.“
Für die GAL-Fraktion ist der Gang vor das Hamburgische Verfassungsgericht im Prinzip beschlossene Sache. „Das Mahrenholz -Gutachten gibt uns Rückenwind“, sagte Fraktionschefin Christa Goetsch im Anschluss an die Vorstellung der Expertise. „Die CDU ändert am Wahlrecht keine Kleinigkeiten, sie nimmt tief greifende Veränderungen vor.“ Das sei „politisch unanständig und unmoralisch“, so Goetsch, und müsse rechtliche Folgen haben.
Für eine Organklage vor dem Verfassungsgericht braucht die GAL jedoch die Unterstützung der SPD-Fraktion, die sich in der Frage bislang bedeckt gehalten hatte. Die SPD-Fraktion kündigte nun an, das vorgestellte Mahrenholz Gutachten eingehend zu prüfen. Denn: „Die politischen Mittel sind ausgereizt“, so SPD Fraktionschef Michael Neumann. Die CDU-Mehrheit habe vollendete politische Tatsachen geschaffen. „Der Gang vor das Verfassungsgericht bleibt aber offen.“ Die SPD wolle sich das Gutachten nun sehr gründlich anschauen und auf der nächsten Fraktionssitzung darüber beraten.
Auch für die Initiative „Mehr Demokratie“ hatte Verfassungsrechtler Mahrenholz gestern einen Tipp im Gepäck. Seiner Einschätzung nach hätte auch die Initiative selbst gute Chancen, vor dem Hamburger Verfassungsgericht als Organkläger anerkannt zu werden. Und: Klage sie nicht selbst – oder mache die SPD bei der GAL nicht mit –, mahnte Mahrenholz, dann „ist der Ofen aus“.