: Klassikerpflege
■ Die Veredelung eines Mustermachers. Eine Wilhelm-Wagenfeld-Ausstellung in Osnabrück und Neuauflagen seiner Entwürfe bezeugen die Renaissance des Design-Pioniers (1900-1990)
Es begann mit der längst legendären Tischleuchte – und das gleich zweimal. Denn die 1923/24 am Weimarer Bauhaus auf eine Anregung Moholy-Nagy' hin entworfene Pilzlampe stand nicht nur am Anfang von Wilhelm Wagenfelds Laufbahn als Industriedesigner, sondern leitete, noch zu Lebzeiten, auch seine Renaissance ein: Seit 1980 produziert die Bremer Firma Tecnolumen sein einst nur in kleiner Stückzahl hergestelltes, mittlerweile zum Inbegriff des Bauhausdesigns mutiertes Frühwerk mit großem kommerziellem Erfolg.
Wagenfeld, der sich selbst als „Mustermacher“ und „künstlerischer Mitarbeiter in der Industrie“ verstand, gilt als einer der Vorreiter des Industriedesigns in Deutschland. Neben seinen Lampenentwürfen trat er vor allem als Gestalter von Tischgerät, Bestecken, Tischaccessoires etc. hervor. Als besonders erfolgreich erwies sich seine Zusammenarbeit mit den Jenaer Glaswerken und der VLG Weißwasser in den 30er Jahren und mit der WMF in den 50er bzw. frühen 60er Jahren, für die er als freier Mitarbeiter in der eigenen „Werkstatt Wagenfeld“ (ab 1954) Muster entwickelte.
Es war die spätestens seit den 80er Jahren um sich greifende Design-Orientierung, die den Boden für Wagenfelds „Wiederentdeckung“ bereitete. Die Aufnahme einiger seiner Arbeiten in die renommierte Design-Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art adelte Wagenfeld endgültig zum Klassiker. Nach den postmodernen Formspielereien und den ebenso vordergründigen wie kurzlebigen Extravaganzen des Fun-Designs überzeugen seine auf eine Verbindung von Brauchbarkeit und Schönheit abzielenden Formschöpfungen. Und angesichts des Trends zur „neuen Einfachheit“ im zeitgenössischen Design erscheint Wagenfeld heute so aktuell, wie ein Klassiker nur sein kann.
Wenn jetzt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt in Osnabrück unter dem Titel „Zeitgemäß und zeitbeständig. Industrieformen von Wilhelm Wagenfeld“ ausstellt, ahnt man bereits, in welchem Kontext sein Werk hier präsentiert wird. Zwar läßt sich Wagenfeld schwerlich posthum zum „Öko- Designer“ deklarieren, aber durch die Langlebigkeit seiner Entwürfe, durch überlegte Materialwahl und sparsamen Materialverbrauch und nicht zuletzt durch den sozialen Anspruch, der sich mit seiner Gestaltertätigkeit verband (Qualitätsware zu einem für möglichst viele Menschen erschwinglichen Preis), kann seine Arbeit – so die Umweltstiftung – durchaus als Vorbild für „ökologische“ Formgebung gelten. Weshalb aber die in Zusammenarbeit mit der Wilhelm Wagenfeld Stiftung Bremen organisierte Ausstellung dann vorwiegend seine zwischen 1949 und 1977 entstandenen Arbeiten für die WMF zeigt, wird in Osnabrück nicht recht deutlich. Die konventionelle Präsentation vermag Design-Interessierte und Wagenfeld-Fans zu befriedigen, überläßt es jedoch weitgehend dem Publikum, die „ökologischen“ Vorzüge seiner Entwürfe zu erkennen.
So sinnvoll der Ansatz erscheint, bei der Produktgestaltung die Langlebigkeit zum Maßstab für ökologische Qualität zu machen, so wenig kann in diesem Kontext die alleinige Ausrichtung auf Wagenfeld und die WMF überzeugen. Selbst wenn man sich auf Tischgerät beschränken und nur in Deutschland hergestellte Produkte berücksichtigen möchte, wäre es erhellender gewesen, den Bogen weiter zu spannen und statt die x-te Wagenfeldsche Vase zu zeigen, andere, in punkto Langlebigkeit gleichwertige Gestalter und Firmen in die Ausstellung miteinzubeziehen. So wird beispielsweise Hermann Gretschs Geschirrform „1382“ von der Porzellanfabrik Arzberg seit 1931 durchgehend produziert, und auch die Berliner KPM hat mit dem Tafelgeschirr „Urbino“ von Trude Petri einen Longseller der klassischen Moderne im Sortiment. Als ein zentraler Bestandteil der Unternehmensphilosophie darf die Langlebigkeit der Produkte schließlich bei der auf Bestecke spezialisierten Firma Pott in Solingen gelten: Das von Gretsch und Wagenfeld entworfene, 1950 herausgebrachte Besteck „Pott 83“ beispielsweise wird dort bis heute hergestellt.
Wenn in den letzten Monaten gleich mehrere Firmen mit Neuauflagen von Wagenfeld-Entwürfen auf den Markt kamen (die Massierung mag Zufall sein), spielten ökologische Erwägungen dabei freilich keine Rolle. Von den „Wagenfeld- Editionen“ erhofft man sich vielmehr ein kleines, aber feines Geschäft, und vermarktet werden sie entsprechend vor allem über den Namen des zu Klassikerehren avancierten Gestalters. Zielgruppe ist eine Käuferschicht, bei der die Design-Orientierung zum Lifestyle gehört und mit deren Vorliebe für anerkannte, also zum Statussymbol taugliche Klassiker man fest rechnen kann. Besonders deutlich wird dies bei der WMF, die in ihrer „exklusiven Edition Prof. Wagenfeld“ echte Massenprodukte wie die Butterdose, die Eierbecher oder die Salz- und Pfefferstreuer „Max und Moritz“ (samt Schiffchen) zum hochpreisigen Design-Kultgegenstand hochstilisiert. So richtig verstanden hat man Wagenfelds Intentionen in Geislingen/Steige scheinbar bis heute nicht.
Für die wirtschaftlich schwer angeschlagene deutsche Porzellan- und Glasindustrie sind die Wagenfeld-Neuauflagen womöglich eher ein Strohhalm als ein Zusatzgeschäft: Die Porzellanmanufaktur Fürstenberg produziert aus Anlaß ihres 250jährigen Jubiläums erneut sein Service „Form 639“; die Firma Schott stellt in Jena sein Teeservice aus feuerfestem Glas und im Zwieseler Glaswerk einige seiner Trinkglasgarnituren und Vasen wieder her. Ob sich diese Produktion rechnet, bleibt vorerst ungewiß. Die wahren Wagenfeld-Sammler und -Sammlerinnen jedenfalls werden wohl weiterhin lieber die Flohmärkte und Trödelläden durchstreifen. Denn dort gibt es die Originale, und meist für weniger Geld. Matthias Remmele
„Zeitgemäß und zeitbeständig. Industrieformen von Wilhelm Wagenfeld (1900–1990)“, Deutsche Bundesstiftung Umwelt, An der Bornau 2, 49090 Osnabrück; Öffnungszeiten: Mo. bis Do., 10–17 Uhr und Fr. 10–12 Uhr; bis 30. November 97
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