: Klare Beitrittsperspektive
betr.: „Brüssel, nicht Wien“ (Christentum, Aufklärung und das kollektive Gedächtnis – die Argumente gegen eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union werden immer absurder), taz vom 7. 10. 02
Die Diskussion um die anstehende Erweiterung der Europäischen Union schlägt zwei Monate vor dem EU-Gipfel in Kopenhagen hohe Wellen. Zehn Staaten will die EU-Kommission zur Aufnahme empfehlen. Andere Kandidaten wie die Türkei erwarten eine Anerkennung der bisher unternommenen Reformschritte auf dem Wege zu einer EU-Mitgliedschaft.
Die Türkei hat wiederholt weitreichende Änderungen ihrer Verfassung beschlossen und damit entscheidende Schritte auf dem Weg zur Erfüllung der Beitrittskriterien für die Europäische Union zurückgelegt. In einem Kraftakt – 22 Stunden hielten die Abgeordneten im Parlament aus, um alle Reformen auf den Weg zu bringen – wurden zuletzt die Todesstrafe abgeschafft, den Kurden mehr kulturelle Rechte zugebiligt, ein weiteres Gesetz zu Rede- und Meinungsfreiheit verabschiedet.
Dieser Kraftakt setzt die Europäische Union unter Druck. Schon befürchten viele EU-Vertreter, dass die Türkei zentrales Thema auf dem im Dezember stattfindenden EU-Gipfel sein wird. Die Erwartungen der Türkei, nun endlich ein klares Signal von Seiten der EU zu bekommen, sind zu Recht hoch. Auch Deutschland steht hier in der Pflicht.
Die deutsch-türkische Verbundenheit hat lange Tradition. Vor 38 Jahren hatte die damalige Europäische Gemeinschaft mit Unterstützung der Regierungskoalition von CDU und FDP der Türkei eine Beitrittsperspektive geschaffen. In Helsinki ist die deutsche Regierung maßgeblich an der Entscheidung für einen Kandidatenstatus der Türkei beteiligt gewesen.
Die Türkei hat noch manche Hausaufgabe zu machen. Ebenso wie andere Kandidaten, um deren Beitrittsperspektive es auf dem Kopenhagener Gipfel gehen wird. Es ist jedoch an der Zeit, dass auch die Europäische Union ihre Zusagen einhält. Sie sollte der Türkei eine klare zeitliche Beitrittsperspektive geben. Ein fixer Zeiptpunkt für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen ist die vielleicht wichtigste Erleichterung für die türkische Regierung auf ihrem Weg nach Europa. Nur so kann sich Europa der Partnerschaft einer politisch stabilen, laizistischen Türkei als strategisch wichtigem Pfeiler in einer Krisenregion sicher sein. Wir sollten diese Partnerschaft nicht gefährden! HANS-ERICH BILGES,
Vorstand der WMP-Eurocom-AG, Berlin
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