■ Eberhard Seidel-Pielen: Nach den Urteilen von Mölln: Klammheimliche Freude, doch dann?
Die Bundesdeutschen können aufatmen. Die Morde von Mölln sind gut ein Jahr nach der Tat gesühnt. Was nach dem Tod dreier Mitglieder der Familie Arslan mit einem moralischen Aufschrei in Form von Lichterketten begann, fand mit der Verhängung der Höchststrafe in einem der spektakulärsten Prozesse der letzten Jahre seinen scheinbar logischen Abschluß. Einmal „lebenslänglich“ und zehn Jahre Jugendhaft – die zivile Gesellschaft zeigt weiterhin Flagge. Endlich, so scheint es, ist Schluß mit der weichen Welle gegen Ausländerhasser und der selbstquälerischen Suche nach den Motiven und Seelennöten in der Biographie der Täter.
Kanzler Kohls Versprechen – „die Täter werden die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen“ –, es ist eingelöst. Einer angesichts des rassistischen Mobs beunruhigten internationalen Öffentlichkeit wurde demonstrativ Handlungsbereitschaft signalisiert. Auch all jenen, die der Justiz Rechtslastigkeit, Teilen der politischen Elite und vielen Bürgern vorwarfen, sie würden klammheimliche Sympathien für die Ziele der Brandstifter aufbringen, ist vorerst das Wasser abgegraben.
Bei aller Freude über die Funktionstüchtigkeit des Rechtsstaates sei allerdings die Frage erlaubt, ob das Urteil von Mölln im rechtsstaatlichen Sinne ein faires und gerechtes ist. Oder ist es gar ein politisches? Denn die Beweislage ist dünn. Das Urteil stützt sich neben der Aussage eines neunjährigen Mädchens weitgehend auf Geständnisse, deren Wahrheitsgehalt von den Angeklagten schon bald bestritten wurde. Lars Christiansen (19) zog seine Aussage bereits im Februar dieses Jahres zurück und behauptete seitdem, sie nur unter dem Druck der Verhörtechniken abgelegt zu haben. Auch Michael Peters wollte bereits zu Prozeßbeginnn nicht mehr zu seinen Angaben stehen.
Natürlich kann das alles – vieles spricht dafür – nur eine Entlastungsstrategie gewesen sein, nachdem sich Christiansen und Peters der vollen Tragweite ihres Tuns bewußt geworden waren. Dennoch bleiben nach Abschluß des Prozesses Zweifel: Wie kamen die Geständnisse zustande? Wurden die Angeklagten während des Verhörs unter Druck gesetzt? Ein Tonbandmitschnitt hätte Klarheit schaffen können. Unverständlich, weshalb die ermittelnden Behörden sich nicht der politischen Tragweite bewußt waren und sich im eigenen Interesse absicherten. Mit ihrem Versäumnis lieferten sie selbst die Argumente, aus denen im rechtsradikalen Lager nun Legenden und Märtyrergeschichten gestrickt werden.
Tatsächlich geraten in der augenblicklichen Verhandlungswelle gegen rechte Gewalttäter die ermittelnden Behörden immer häufiger ins Kreuzfeuer der Kritik. Erinnert sei nur an die stümperhafte Spurensicherung im Falle des Brandanschlags auf die KZ-Gedenkstätte in Sachsenhausen, die gemäß des Grundsatzes „im Zweifel für den Angeklagten“ zum Freispruch der Tatverdächtigen führte. Oder an die merkwürdigen Ermittlungen und das sträfliche Vernachlässigen wichtiger Spuren in Solingen, die ins organisierte Nazimilieu führen. Versäumnisse, die den Schluß aufdrängen, daß die strafverfolgenden Behörden augenblicklich in der Analyse und Behandlung rassistischer und rechtsradikaler Straftaten noch nicht die Qualität erreicht haben, die man in anderen Feldern von ihnen kennt und erwarten darf. Es kann spekuliert werden, welches Strafmaß ein mit Sicherheit folgendes Revisionsverfahren ermitteln wird.
Ungeachtet der offensichtlichen Schönheitsfehler dürfte gestern und heute die zumindest klammheimliche Freude über das Urteil in der Bundesrepublik überwiegen. Aber was ist damit in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit rechten Gewalttätern erreicht? Sicherlich, zunächst wurde dem legitimen und jeder Gesellschaft zustehenden Recht, Verbrechen angemessen zu sühnen, Genüge getan. Und viele irritierte Zeitgenossen, die in der jüngsten Vergangenheit gegenüber ausländischen Freunden angesichts der verwirrenden Verhältnisse in Deutschland in Argumentationsnöte kamen, haben einen Fixpunkt, auf den sie nun stolz verweisen können. Auch das ist legitim. Denn Strafen und Straßmaß dienen einer Gesellschaft in erster Linie dazu, sich zu formieren und in seinem Selbstverständnis zu stabilisieren. Auch in diesem Sinne wäre die nun verhängte Höchststrafe zu begrüßen, wenn damit ausgedrückt werden soll: Die bundesrepublikanische Gesellschaft ist künftig nicht nur eine nach links, sondern auch nach rechts geschlossene Gesellschaft. Wer allerdings hofft, mit dem Urteil würde der rechten Szene unmißverständlich signalisiert, daß die Gesellschaft Mordbrennerei nicht augenzwinkernd toleriert, und wer glaubt, Rechte würden darüber hinaus von weiterem Tun abgeschreckt, sitzt einer Illusion auf. Denn es ist eine alte soziologische Erkenntnis, daß Strafen nur nachgeordnet den Sinn haben können, potentielle Täter von ihrem Tun abzuschrecken. Andere werden den Platz von Christiansen und Peters einnehmen. Das Morden geht weiter.
Wenig weist darauf hin, daß das in Mölln verhängte Strafmaß Ausdruck eines Paradigmenwechsels im Selbstverständnis der Bundesrepublik wäre. Nach ritualisierter Betroffenheitsgestik und plakativem Multikulturalismus ist die Gesellschaft längst wieder zu ihrem Alltag zurückgekehrt. Die jeweils in der unmittelbaren Folge von Hoyerswerda, Mölln und Solingen entflammten Diskussionen um die politische Ausgestaltung des Einwanderungslandes Deutschland sind längst wieder Steckenpferd von Minoritäten. Die immer wieder beschworene Bürgerbewegung zur rechtlichen Gleichstellung der Immigranten ist im Nebel der Krisen wie Arbeitslosigkeit und Abbau des Sozialsystems verschwunden. Und längst haben rechtskonservative Hardliner wieder Oberwasser und melden sich mit ihren Brand-Sätzen zu Wort. Nur wenige der einst zur Weihnachtszeit 92 ach so „betroffenen“ Demokraten fahren Berlins Innensenator Dieter Heckelmann heute in die Parade, weil er seine polarisierende Kampagne zur Ausländerkriminalität startet.
„Es ist kein Zufall, daß das Jahr mit dem Ausländervolksbegehren der FPÖ begann und mit Bomben gegen Ausländerfreunde endete“, analysierte dieser Tage die österreichische Liberale Heide Schmidt den Zusammenhang zwischen der Politik eines Jörg Haider und dem jüngsten Briefbombenterror in der Alpenrepublik. Das gleiche gilt auch hierzulande. Christiansen und Peters saßen für ihre individuelle Schuld auf der Anklagebank. Zu Recht. Die bekannten Scharfmacher aus der vielzitierten politischen Mitte, die mit ihrer Politik der „Rückkehrprämien“, „Ausländerrückführung“, „Scheinasylantenschwemme“ erst das Klima erzeugten, das den Tätern das Gefühl vermittelte, sich wie Fische im Wasser zu bewegen, können weiterhin ihre Giftbrühe anrühren. Es sind im Zweifelsfall die gleichen, die ganz befreit das Urteil von Mölln vor laufender Kamera auf das schärfste begrüßen. In diesem Sinne war der Prozeß doch ein hochpolitischer.
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