Klagenfurt auf der roten Liste: Bedrohung Fernsehen
Der ORF will sich von der Live-Übertragung des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs in Klagenfurt zurückziehen – die Literaturszene protestiert.
Er hebt die Hand zur Stirn. Zwischen den Fingern klemmt eine Rasierklinge. Das dünne Messer wandert schrägt über die Haut. „Ihr könnts mein Hirn haben. Ich schneide ein Loch in meinen Kopf“, sagt er. Dann fließt ein kleiner roter Strom über das Gesicht des jungen Vorlesers. Stakkatoartig tropft das Blut von der Nase aufs Papier.
Als er mit seinem Poppamphlet „Subito“ fertig ist, wird ein kritischer Herr – dunkelblaues Hemd, hellblaue Krawatte, Brille, Glatze – zu seiner Linken leicht vernuschelt, aber nachdrücklich sagen: „Es ist ein Riesenprotest – gegen das literarische Leben und darüber hinaus gegen alle Elemente unseres Kulturlebens.“ Das Fernsehen überträgt die Szene. Auf dem Bildschirm, in der oberen rechten Ecke, stehen vier Buchstaben: ORF, dahinter ein K für Kärnten.
Die meisten Feuilletonisten und GermanistikstudentInnen des Landes kennen dies kleine Drama, von dem es später heißen wird, es sei extra inszeniert gewesen. Es ist jüngere Literaturgeschichte geworden. Rainald Goetz heißt der Mann mit der Rasierklinge, Marcel Reich-Ranicki ist der kahlköpfige Kritiker.
Genau 30 Jahre ist es her, dass Goetz beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt für diesen kleinen Eklat sorgte. Die seit 1977 ausgerichteten „Tage der deutschsprachigen Literatur“, die damals von monotonen, Wasserglas-erprobten Protagonisten eingeschläfert wurden, hatten ihren ersten Aufreger.
Muss man das so ausführlich erzählen? Schon, und nicht nur des Jubiläums wegen, denn: Klagenfurt hat wieder einen Aufreger, und der ist kaum zwei Wochen alt. Österreichs öffentlich-rechtliche Fernsehmacher müssen in Gänze mehr als 80 Millionen Euro einsparen und haben daher die Literaturoase in Kärnten zur Diskussion gestellt.
Finanzierung steht auf dem Spiel
Knapp 750.000 Euro könnte, laut Süddeutscher Zeitung, ein Rückzug von der mehrtägigen Leseveranstaltung, die traditionell um den Geburtstag Ingeborg Bachmanns am 25. Juni stattfindet, bringen. Damit steht die Finanzierung der wohl wichtigsten Nachwuchsauszeichnung für deutschsprachige AutorInnen, die 3sat seit 1989 live überträgt, auf dem Spiel.
Wird tradiertes, quotenarmes Fernseh-Kulturgut bedroht, folgt nicht immer ein Aufschrei. Doch im Falle des Bachmann-Preises wurde es zuletzt ein wenig lauter.
Die siebenköpfige Kritiker-Jury um ihren Vorsitzenden, den Schriftsteller Burkhard Spinnen, wandte sich in einem offenen Brief an ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz und bekundete Unverständnis, dass eine traditionsreiche Kulturveranstaltung, die zu dem „Kerngeschäft“ des Senders gehöre, „in Frage gestellt wird“.
Auch ehemalige prominente Preisträger wie Uwe Tellkamp (2004) oder Katja Lange-Müller (1986)übten harsche Kritik. Allerdings sind Debatten um den im Klagenfurter ORF-Theater stattfindenden Lese-Marathon nichts ganz Neues: 2002 wurde ein derzeit mit 7.000 Euro dotierter Publikumspreis installiert, wohl auch, um dem oft als hermetisch empfundenen Charakter des Jury-Urteils – die Juroren befinden über vier der fünf gestifteten Preise im Gesamtwert von 54.500 Euro – einen Gegenpol zu verpassen.
Kürzungen und Verkleinerung
Vor fünf Jahren wurde die Klagenfurter Kritikerkaste von neun auf sieben Mitglieder, die auch die vortragenden vierzehn TeilnehmerInnen einladen, runterreformiert. Im letzten November berief man die langjährige Organisatorin, ORF-Redakteurin Michaela Monschein, ab.
Monscheins Weggang, hatte diese doch stets für die Eigenständigkeit und die kulturelle Bedeutung der Veranstaltung gekämpft, machte einigen schon damals Sorgen. Ihr Nachfolger, der Literaturjournalist Horst L. Ebner, kündigte an, den Nachwuchspreis als „kulturelles Aushängeschild“ noch „stärken“ zu wollen.
Dumm gelaufen. Die Eröffnungsrede in diesem Jahr hält passenderweise Schriftsteller Michael Köhlmeier zum Thema „Betrogene Liebe“. Aus unveröffentlichter Prosa lesen werden ab dem 4. Juli etwa die AutorInnen Anousch Mueller, Philipp Schönthaler und Joachim Meyerhoff. Wenn einem diese Namen jetzt nichts sagen, ist das nicht weiter schlimm. Klagenfurt ist dafür da, genau das zu ändern.
Entscheidung im November
Eine endgültige Entscheidung, ob im Sommer 2014 wieder gelesen wird, steht im November diesen Jahres an, wenn das öffentlich-rechtlichen Budget in Österreich festgezurrt wird. Sicher ist aber, dass das mediale Interesse am Ingeborg-Bachmann-Preis 2013 dank des Vorgeplänkels zunehmen dürfte.
Fast seherisch muten da die Worte von Rainald Goetz vor 30 Jahren an: „[…] von was ist jetzt eigentlich die Zukunft so bedroht, fragte er. Ich glaube am meisten von der Zukunft, sagte ich. Oder vielleicht vom Fernsehen.“ Einen Preis gewann Goetz 1983 nicht.
Leser*innenkommentare
anke
Gast
Es soll, habe ich gerüchteweise verschiedentlich gehört, diese Ex-Schwesternschülerinnen geben, die sich einen schicken Chefarzt "geangelt" haben. Drei Jahrzehnte lang haben sie ihrem "Traummann" den Haushalt geführt, die Kinder erzogen bzw. das dafür bezahlte Personal gelenkt, dann wurden sie zum Dank zugunsten einer Jüngeren geschieden – was die Damen umgehend in den finanziellen und sozialen Ruin getrieben hat. Sieht aus, als wären die Jungs und Mädchen, die gehofft hatten, mit Hilfe des ORF und seiner Freunde endlich bekannt zu werden und leben zu können von ihrer Schreiberei, nicht viel besser dran. Ob ich mich nun empören will, und wenn ja worüber genau, muss ich mir erst noch überlegen.
Locke
Gast
Ich frage mich was dann noch bleibt. Die Verantwortlichen des ORF werden sich kaum danach richten was wertvoll ist, sondern bloß den rentablen und massenkompatiblen Nonsens fördern, denn Fernsehen ist doch in erster Linie zu Unterhaltung und Urlaub für das Gehirn verklärt worden. Zu vieles was wichtig ist, sei es Kultur, Bildung oder Kunst, all die ohnehin selten anzutreffenden Formate werden so wohl langsam verschwinden. Nur gut dass es das Internet gibt, möchte gute Filme,Dokus usw. nicht missen, und auch wenn es ein trauriger Gedanke ist, wenn man bedenkt mit welchem Müll die Privatsender erfolgreich sind, und dass dagegen viele hochwertige Sendungen und Ideen in Zukunft nicht mehr finanziert werden können, weil selbst die Kultur privatisiert werden soll, so kann man zumindest hoffen dass sich im www neue Möglichkeiten finden lassen und auch ohne öffentliche Unterst. ein kultureller Konsens stattfinden kann.