Klage gegen Bohrturm vor Borkum: Gericht soll Gasprojekt kippen
2022 beschlossen Deutschland und die Niederlande, am Wattenmeer nach Gas zu bohren. Dann wurde das Vorhaben gestoppt. Nun ging der Prozess weiter.
Vor dem Gerichtshof in Den Haag wurde erneut über das Projekt nördlich des Wattenmeers verhandelt. Der niederländische Konzern One-Dyas verfügt seit 2022 über eine Lizenz, um im Grenzgebiet zu Deutschland nach Gas zu bohren. Geklagt gegen das gemeinsame niederländisch-deutsche Projekt hat auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die „immense Schäden für Nordsee, Wattenmeer und die unmittelbar angrenzenden Meeresschutzgebiete“ befürchtet.
Auch die Bürgerinitiative Saubere Luft Ostfriesland, die benachbarte Insel Borkum und die niederländischen Umweltorganisation Mobilisation for the Environment, unterstützen die Klage. Im April vergangenen Jahres hatte das Gericht verfügt, den Bau der Förderungsanlage vorerst auszusetzen. Nun versuchen die betroffenen Nordseeinseln, Verbände und Initiativen, die Genehmigung für das Gasprojekt endgültig kassieren zu lassen.
Vor dem Gerichtsgebäude im Zentrum Den Haags hielt auch der niederländische Zweig von Extinction Rebellion eine Kundgebung unter dem Motto „North Sea Fossil Free“ ab. Direkt daneben die Borkumer Delegation. Die Insel setzt auf erneuerbare Energien, die Insel solle 2030 klimaneutral werden. „Was hier geschieht, ist für uns nicht der richtige Weg“, sagte Sleeboom, der auch Aufsichtsratschef des Nordseeheilbads der Nordseeinsel ist.
Gasförderung in der Nähe des Wattenmeers?
Sein Ratskollege Hermann Gansel unterstrich auch mögliche wirtschaftlichen Folgen einer Gasförderungsanlage in unmittelbarer Nähe des zum Unesco-Weltnaturerbe zählenden Wattenmeers. „Borkum ist fast vollständig vom Tourismus abhängig. Der Wind weht meistens aus Südwesten, also genau aus der Richtung der Plattform. Wenn dort abgefackelt wird, wie vor einigen Jahren bei den Probebohrungen, sind Borkum, Juist und Norderney direkt betroffen“, betont Gansel. Zudem gelangten durch die Förderung auch Schwermetalle, Stickstoff und Schwefeldioxid an die Strände der Insel. „Wenn dann keine Tourist*innen mehr kommen, ist Borkum wirtschaftlich am Ende.“
Dass Hans Vijlbrief, der niederländische Staatssekretär für Bergbau, dem „Gasförderungsprojekt N05“ im Juni 2022 eine Lizenz erteilte, geschah vor dem Hintergrund der europäischen Gaskrise nach Beginn des Ukrainekriegs. Im niederländischen Kontext kommt dazu der Ausstieg aus der Erdgasförderung in der nördlichen Provinz Groningen, die seit Jahren für Erdbeben in der Region sorgt. Die aus Sicherheitsgründen bereits reduzierte Förderung wurde im vergangenen Herbst vollständig eingestellt. Vorausgegangen waren gerade heftige Diskussionen, den Ausstieg aus dem russischen Gas durch solches aus Groningen abzufedern.
Nach Erteilung der Genehmigung erklärte Vijlbrief in einem Schreiben an das niederländische Parlament, die Plattform solle etwa 19 Kilometer nördlich der Inseln Schiermonnikoog und Borkum liegen und ihr Gas durch Pipelines an Land liefern. Angetrieben werde sie vom deutschen Offshore-Windpark Riffgat. In Deutschland hat das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) das Projekt noch nicht abschließend genehmigt. „Letztlich hat der russische Angriffskrieg aber gezeigt, dass das öffentliche Interesse der Versorgungssicherheit eine klar übergeordnete Rolle einnimmt“, erklärte das LBEG jedoch bereits.
Die rot-grüne niedersächsische Landesregierung ist über das Projekt bis heute gespalten. Meta Janssen-Kucz, Vizepräsidentin des Landtags in Hannover und ebenfalls nach Den Haag gekommen, sprach kurz vor Beginn der Sitzung von einem „Dissens“: Die Grünen lehnten die Gasförderung ab, während das SPD-geführte Wirtschaftsministerium sie befürworte.
Klarheit über Ausstoß von Schwefel und Stickstoff
Konkret erhofft sich Janssen-Kucz vom Prozess Klarheit über den zu erwartenden Ausstoß von Schwefel und Stickstoff. One-Dyas sei bei der letzten Sitzung im September verpflichtet worden, darüber detailliert Auskunft zu geben. Ausdrückliches Lob hatte Janssen-Kucz für die grenzübergreifende Zusammenarbeit politischer und ökologischer Akteure: „Wenn wir das nicht tun, stehen wir gegenüber einem solchen Konzern auf weniger starken Füßen“
One-Dyas sieht die Gasförderung dagegen im Einklang mit der Energiewende als Übergangsenergie. In der Tageszeitung Volkskrant hatte Chris de Ruyter van Steveninck, Direktor des in Amsterdam ansässigen Unternehmens, erklärt, es helfe nicht, „zu allem ‚Nein‘ zu sagen“.
Dagegen kritisiert die niederländische Waddenvereniging: „Die Genehmigung wurde unrechtmäßig erteilt. Die Nutzung für Bergbau, Gasförderung und Salzgewinnung erhöht den Druck auf das Wattenmeer und verstärkt Effekte des Klimawandels. Das muss verhindert werden.“
In einer früheren Version des Textes hieß es, das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) das Projekt habe das Projekt bereits genehmigt. Dies haben wir nun geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind