piwik no script img

Klage gegen Abschiebung in „sicheres Drittland“Illegale Einreise ist Voraussetzung

Als syrische Kurden hätte die Familie Mohamad eigentlich Anspruch auf Asyl. Weil sie aber über Zypern kam, droht ihr die Abschiebung dorthin.

Wehrt sich gegen Abschiebung nach Zypern: Familie Mohamad Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Neulich hat Amad sich schlafend gestellt und sein Schwester Zackey heimlich beim Klavierspielen gefilmt. Er sagt, es nervt ihn, wenn sie auf ihrem E-Piano übt. Aber als er das Handyvideo zeigt, wird klar, wie stolz er auf seine kleine Schwester ist.

Amad ist syrischer Kurde und gerde 18 geworden. Er geht auf die Hamburger Nelson-Mandela-Schule und spielt Fußball beim TSG Bergedorf. Mit seiner Schwester und seinen Eltern wohnt er in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg-Bergedorf.

Bis vor Kurzem waren sie zu fünft, der älteste Bruder ist gerade umgezogen. 580 Plätze gibt es offiziell in dem „Pavillondorf“ am Curslacker Neuer Deich, Amad schätzt, dass bis zu 800 Menschen dort wohnen.

An einem niedrigen Tisch in einem der beiden Zimmer stehen zwei Sofas und ein Klappbett, an einer Wand eine Kommode, an der anderen ein Schrank. Darauf drei Koffer, griffbereit: Die Abschiebung ist jederzeit möglich.

Schon einmal haben Polizisten mitten in der Nacht an die Tür gehämmert, am 10. Februar war das, um drei Uhr morgens. „Sachen packen und sofort mitkommen“, ordneten die Beamten an: Abschiebung nach Zypern. Über den Mittelmeerstaat waren die Mohamads auf ihrer Flucht aus Syrien vor gut einem Jahr in die EU eingereist, dorthin sollten sie zurück. Im Bus auf dem Weg zum Flughafen schrieb Amad eine Whatsapp-Nachricht an seine Mannschaftskollegen: „Wahrscheinlich sehen wir uns nicht wieder - wir werden gerade abgeschoben.“

Doch soweit kam es nicht. Amads Vater Selaheddin wehrte sich. Eher werde er ins Gefängnis gehen, als mit seiner Familie in Zypern auf der Straße zu leben, sagte er. Im Flugzeug weigerte er sich, Platz zu nehmen. „Sie wollen uns gerade abschieben“, schrie er, um die anderen Passagiere aufmerksam zu machen. „Wir wollen das nicht!“ Niemand reagierte.

Stattdessen nahmen die Abschiebebeamten den ältesten Sohn Dalsouz beiseite und sagten, er solle seinen Vater überzeugen zu kooperieren. Aber der Vater wollte nicht und als die Beamten versuchten, ihn mit Gewalt an seinen Sitz zu fesseln, fing Schwester Zackey an zu weinen. Ihre Mutter wurde ohnmächtig. Endlich erschien der Pilot. So könne er nicht fliegen, sagte er zu den Beamten. Innerhalb von zwei Minuten müsse die Familie draußen sein, damit er die Maschine starten könne.

So geschah es und seit einem Jahr wohnt Familie Mohamad nun am Hamburger Stadtrand. In Deutschland sind sie nur geduldet. Alle zwei bis drei Wochen müssen sie zur Ausländerbehörde und hoffen, dass ihre Duldung verlängert wird.

Dabei hätten die Mohamads als syrische Kurden gute Chancen, in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Um ein Asylverfahren in Deutschland zu bekommen, muss man es allerdings schaffen, sich in keinem anderen EU-Land, dass man auf der Flucht durchquerte, registrieren zu lassen. Sonst greift das Dublin-Drei-Abkommen, dem zufolge das Land, in dem ein Flüchtling das erste Mal den Boden der EU betritt, für sein Asylgesuch zuständig ist.

Deutschland ist also formal nie zuständig - es sei denn, jemand fliegt direkt aus Syrien oder einem anderen Nicht-EU-Land nach Deutschland. Das wiederum ist nur mit einem gefälschten Visum möglich, denn Deutschland ist für Nicht-EU-Bürger visumpflichtig.

Für die Mohamads ist also Zypern zuständig, denn dorthin flohen Amads Mutter Fayroz und ihr Mann Seladdehin Anfang der Neunziger Jahre mit ihrem neugeborenen Sohn Dalsouz. Der Grund: Als Kurde war Selaheddin in Syrien mehrmals festgenommen und schwer gefoltert worden. „Wie alle politischen Gefangenen in Syrien wurde er systematisch den damals üblichen Foltermethoden unterworfen“, steht in einem Bericht der Anwältin Cornelia Ganten-Lange, die die Familie vertritt. Weiter steht dort: „Er wurde in einen Reifen gezwängt, aufgehängt und mit Stöcken und Kabeln geschlagen, mit Gewehrkolben geschlagen, mit Elektroschocks gefoltert und der Bastonade (Schlägen auf die Fußsohle) unterzogen.“

Selaheddin hatte im Gefängnis keinen Anwalt und keinen Kontakt zur Außenwelt. Fayroz wusste nie, ob sie ihren Mann wiedersehen würde. Panikanfälle, Verzweiflung und Alpträume machten sie krank. Doch die syrischen Behörden und der Geheimdienst ließen ihnen auch nach Selaheddins Entlassung keine Ruhe. In Syrien zu bleiben war keine Option. Die Familie floh über die Türkei nach Zypern.

Dort bekamen die Mohamads Asyl und einen offiziellen Status als Flüchtlinge. Der Vater fand Arbeit. Zwölf Jahre lang lebten sie in Nikosia. Aber die meisten Zyprer mögen keine Ausländer. Einer Studie des Europäischen Forschungsprogramms ESF zufolge wünschen sich die meisten ein Einwanderungsverbot.

2002 ging Selaheddin also zurück nach Syrien, seine Frau und Kinder sollten nachkommen. Aber am Flughafen in Aleppo wurde er verhaftet und für drei Jahre festgehalten. Als er frei kam, floh die Familie erneut nach Zypern, wo sie zumindest nicht um ihr Leben fürchten mussten. Dalsouz studierte Architektur, Amad lernte Englisch und Zackey Klavierspielen. Nur mit der zyprischen Wirtschaft ging es bergab. 2010 verlor Selaheddin seinen Job, 2013 stand die Republik kurz vor dem Bankrott.

„Von der Finanzkrise auf Zypern betroffen waren in erster Linie Ausländer und Flüchtlinge“, schreibt das Auswärtige Amt. Als die Mohamads ihre Habe verkauft hatten und die Miete nicht mehr zahlen konnten, kratzten sie ihr letztes Geld zusammen und stiegen in ein Flugzeug nach Deutschland.

Gegen Ablehnung des Asylantrags geklagt

In Hamburg beantragten sie Asyl, aber das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Antrag ab, ohne ihn inhaltlich zu prüfen. Ist ein Asylbewerber über ein sicheres Drittland eingereist, wird nämlich bloß ermittelt, welches Land zuständig ist. Die Behörde ordnete die Abschiebung nach Zypern an.

Familie Mohamad klagt nun gegen die Ablehnung ihres Asylantrags und beantragt den Aufenthalt aus humanitären Gründen. Eine Hamburger Asklepios-Klinik bescheinigt Fayroz eine posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen und eine Persönlichkeitsstörung. Die Gutachterin kommt zu dem Schluss, dass „eine Abschiebung aus humanmedizinischen und ethischen Gründen nicht vertretbar“ ist. Das Gutachten liegt der Ausländerbehörde vor, passiert ist nichts.

Die Klage auf Aufenthalt aus humanitären Gründen indes ist beim Verwaltungsgericht anhängig, der Abschiebebescheid bleibt trotzdem wirksam: „Wenn Dublin Drei greift, haben Klagen keine aufschiebende Wirkung“, sagt Anwältin Ganten-Lange. Solange das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag nicht prüft, können die Mohamads also jederzeit abgeschoben werden.

Amads Mannschaftskollegen vom TSG Bergedorf haben unterdessen eine Online-Petition gegen die Abschiebung gestartet. In dem Video kommen auch Amads Mitschüler von der Nelson-Mandela-Schule sowie deren Schulleiter zu Wort. Die Wilhelmsburger Stadtteilschule hat vor zweieinhalb Jahren schon einmal eine Abschiebung verhindert. Schulleiter Thorsten Scheffner nennt es einen Skandal, dass die Schule schon wieder gegen eine Abschiebung kämpfen muss.

Die Online-Petition indessen hat schon über 10.000 Unterschriften zusammen und wurde an die Bürgerschaft verschickt. Bis auf einen Abgeordneten der Linkspartei hat sich niemand dazu geäußert.

Mittlerweile liegt der Fall auch dem Eingabeausschuss der Hamburger Bürgerschaft vor. Dort werden jeden Montag Bitten und Beschwerden von Bürgern verhandelt, die gegen behördliche Entscheidungen vorgehen möchten. Auch dort liegen, wie bei den Verwaltungsgerichten, viele solcher Fälle. Die Akte Mohamad war bis jetzt noch nicht dran. Solange der Fall dort noch liegt, können die Mohamads nicht abgeschoben werden. Aber jeden Montag kann es soweit sein.

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!