Kita-Streik: Ausgebrannt und unterbezahlt
11.000 Erzieherinnen streiken für bessere Arbeitsbedingungen. Mehr Lohn dürfen sie nicht fordern, denn der Tarifvertrag läuft erst Ende 2009 aus.
DORTMUND/BREMEN taz | Mit Trillerpfeife und Streikweste ausgerüstet steht Kathrin Giesbert am Freitagmorgen vor dem Dortmunder Stadthaus. Zusammen mit rund 1.500 Kolleginnen und einer Handvoll Kollegen streikt die Leiterin der Kindertagesstätte Winandweg im Stadtteil Lütgendortmund für bessere Arbeitsbedingungen. "Gesundheitsgefährdend" seien die, klagt die 48-Jährige, die seit 27 Jahren als Erzieherin arbeitet.
Ihr Arbeitgeber sind die "Familienergänzenden Bildungseinrichtungen für Kinder in Dortmund", kurz FaBiDo. Der Tochterbetrieb der Stadt spare am Nötigsten, erzählt auch Silvia Ziegler. In ihrer Tageseinrichtung an der Berliner Straße fehle jeglicher Lärmschutz: "Natürlich sind Kinder laut", sagt die 46-Jährige. "Sogar die Filzstopper unter den Stühlen müssen wir selbst bezahlen." Hinzu kommt die psychische Belastung. "Montags kommen Kinder zu uns, die das ganze Wochenende keine richtige Mahlzeit gegessen haben", sagt Giesbert. Viele seien zu Hause Gewalt ausgesetzt - bei knapp einem Viertel der Kinder, die in die Tagesstätte Winandweg gehen, werde noch vor Besuch der Grundschule das Jugendamt eingeschaltet. Dabei gebe es in Dortmund offiziell gar keine sozialen Brennpunkte mehr, sagt die Leiterin wütend. Gerade für junge MitarbeiterInnen sei das "hart" - psychologische Unterstützung gebe es trotzdem nicht.
Bundesweit streikten am Freitag über 11.000 ErzieherInnen, in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Schleswig-Holstein, im Saarland, in Bremen, Berlin und in Baden-Württemberg machten hunderte Kindertagesstätten und Kindergärten dicht. Allein in NRW blieben Einrichtungen in 26 Städten geschlossen. In Köln drohte der Chef der Gewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske, dem kommunalen Arbeitgeberverband vor über 2.000 ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen mit einem langen Arbeitskampf. Und Ver.di-Bundesvorstand Achim Meerkamp kündigte in der ARD eine Ausweitung der Streiks an: "Da ist noch jede Menge Luft nach oben."
Es geht nicht allein um besseren Gesundheitsschutz. Auch die Bezahlung sei miserabel, sagt Kathrin Giesbert und winkt ihre Tochter Julia Mika herbei. Die 27-Jährige konnte bei der FaBiDo bisher nur eine halbe Stelle ergattern. Bezahlt wird die mit 800 Euro netto im Monat - und das nach einer vierjährigen Ausbildung. "Natürlich kann ich davon nicht leben", sagt Mika. "Ohne Nebenjob geht es nicht." Viele ErzieherInnen verdienen auch in Vollzeit kaum mehr als 1.100 Euro netto. Offiziell bleibt aber ein besserer Gesundheitsschutz Hauptforderung der Streikenden: Die laut Tarifvertrag einzuhaltende Friedenspflicht läuft noch bis Ende 2009.
In Bremen zogen mehr als 700 ErzieherInnen durch die Stadt. Von den 75 kommunalen Kitas und Spielhäusern in Bremen waren gestern 53 geschlossen. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert eine Ausbildung von ErzieherInnen an Hochschulen. Für die Sprachtests etwa müssen in Bremen die Kita-Kinder an die Grundschulen gehen. "Höhere Einkommen, bessere Ausbildung und bessere Arbeitsbedingungen sind zwingend nötig, um die Bildungsressourcen kleiner Kinder zu wecken", sagt der Bremer GEW-Sprecher Christian Gloede-Noweck.
"Ein Viertel der ErzieherInnen glauben nicht, dass sie gesund in die Rente kommen", sagt Ver.di-Vorstand Meerkamp. "Wir wollen unsere Rente noch erleben", sagen dazu zwei MitarbeiterInnen der Kindertagesstätte Lange Straße, in der Dortmunder Innenstadt. Ihre Namen wollen sie aus Angst vor Repressalien nicht in der Zeitung sehen. Wie überall in Dortmund seien trotz der neuen Betreuung unter Dreijähriger Stellen für Springer ersatzlos gestrichen worden, sagen sie. "Unter unserer hohen Arbeitsbelastung leiden nun ausgerechnet die Kinder." Am Montag und Dienstag wollen die beiden deshalb wieder streiken.
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