■ Kioto: Warum die Klimapolitik der USA von globaler Verantwortungslosigkeit zeugt. Eine Antwort auf Peter Tautfest: Die Egoismus des American way of life
Die USA stehen bei den internationalen Klimaverhandlungen in Kioto zu Recht am Pranger. Denn sie sind der größte Energieverbraucher weltweit, knapp ein Viertel des klimaschädlichen Kohlendioxidausstoßes geht auf ihr Konto. Pro Kopf bläst jeder US- Bürger doppelt soviel Kohlendioxid in die Luft wie ein Durchschnittseuropäer, sechsmal soviel wie ein Chinese und zwanzigmal soviel wie ein Inder. Deshalb ist die Klimapolitik der US-Regierung international entscheidend.
Die meisten Beobachter des Gipfels in Kioto attestieren, daß der US-Vorschlag, die Emissionen der Industrieländer ruhig ansteigen zu lassen und bis zum Jahr 2012 wieder auf das Niveau von 1990 zurückzuführen, absolut unzureichend ist. Peter Tautfest hingegen behauptete gestern, der US-Vorschlag habe ganz eigene Meriten. Die vorsichtigere Klimapolitik der USA werde mittelfristig weniger Kosten, langfristig aber die gleichen Ergebnisse bringen wie der europäische Vorschlag, den Kohlendioxidausstoß deutlich zu senken. Der amerikanische Weg des Klimaschutzes mit Marktmechanismen sei vielversprechender als der europäische staatliche Klimaschutz – die Kritik an den USA zeige die kulturelle Ignoranz Europas gegenüber der Neuen Welt. Europa fühle sich wegen des Kolonialismus schuldig und wolle nun Amerika für ein weltweites Klimaregime, eine internationale Form des Sozialstaats, zahlen lassen.
Schön wär's, wenn die Amerikaner zahlten. Derzeit kommen sie nicht einmal für die Schäden auf, die sie selbst weltweit anrichten. Ihr Vorschlag in Kioto läuft auf einen Export dieser amerikanischen Verantwortungslosigkeit hinaus. Er erhöht die Gesamtemissionen an Kohlendioxid in den kommenden Jahrzehnten erheblich. Damit steigt die Gefahr von Klimaveränderungen. Die Wüste wächst. Schon beim Berliner Klimagipfel 1995 hatten sich alle Industrieländer darauf verständigt, daß sie den Ausstoß an Kohlendioxid senken müssen, um das Schlimmste zu verhindern. Das wissen auch die Amerikaner.
Mit dem vorläufig noch steigenden CO2-Ausstoß der Industrieländer, den der US-Vorschlag zuläßt, wächst der Abstand zwischen den realen Emissionen und den langfristig vertretbaren. Die Klimawissenschaft ist weitgehend einig, daß der Ausstoß von CO2 langfristig weltweit halbiert werden muß. Will man den Entwicklungsländern ihre Chancen auf wirtschaftliche Entwicklung nicht radikal beschneiden, dürfen die Industriestaaten langfristig nur noch ein Viertel der heutigen Emissionen in die Luft lassen. Der Abgrund ist in der Ferne schon zu sehen. Die USA aber argumentieren, daß sie zunächst schneller fahren müssen, um dann besser bremsen zu können – ein Argument, dessen Plausibilität vom Rest der Welt bestritten wird.
Zudem hat der US-Vorschlag, auch die Entwicklungsländer schon jetzt zu verstärkten Klimaschutzanstrengungen zu verpflichten, etwas Zynisches an sich. Diejenigen, die die globalen Energiereserven am rücksichtslosesten ausbeuten, verlangen von den Armen, daß sie weniger verbrauchen sollen. Diejenigen, die zu Hause die Wälder abholzen und die Landschaft zersiedeln, verlangen, in Honduras und Indonesien Bäume zu pflanzen. Um beim Autofahrerbild zu bleiben: Bill Clinton wird von der internationalen Klimapolizei bei Tempo 120 in der Innenstadt erwischt. Und Clinton rechtfertigt sich, indem er auf die Radfahrer verweist, die auf seiner Piste den Verkehr gefährdeten.
Dies wird in Kioto besonders bitter vermerkt, weil Clinton vorher versichert hatte, sich an das Tempolimit zu halten. 1993 hatte der US-Präsident versprochen, daß Amerika die Klimaheizung nicht weiter heraufdrehen werde und seine Emissionen bis 2000 stabilisieren werde. Mit Marktmechanismen und freiwilligen Vereinbarungen mit der Industrie werde man das Ziel packen.
Doch das Gegenteil ist der Fall. Während die EU ihr Versprechen von 1992, die Kohlendioxidemissionen bis 2000 zu stabilisieren, wahrscheinlich einhalten wird, steigt der Ausstoß in den USA praktisch ungehemmt weiter – ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, deren Ernten beim diesjährigen El Niño vertrocknet sind. Die US-Argumentation, daß der Markt das Klimaschutzproblem schon richten werde, hat angesichts des Versagens daheim an Anziehungskraft verloren. Sonntagsreden über Marktmechanismen und freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie klingen hohl. Und der Handel mit Verschmutzungsrechten, den die US-Unterhändler jetzt als Allheilmittel vorschlagen, trägt ihnen, gerade weil sie selbst nichts tun, noch einmal den Vorwurf des Zynismus ein.
Das Konzept ist denkbar einfach: Statt zu Hause den Klimaschutz voranzutreiben, wollen die Amerikaner künftig in der Dritten Welt billig Klimaschutzleistungen kaufen. Der American way of life steht nicht zur Debatte. Selbst für einen solchen Handel mit Emissionsrechten müßten jedoch noch Reduktionsziele festgelegt werden. Bevor Verschmutzungsrechte vergeben werden, muß klar sein, wieviel Verschmutzung der Globus verkraften kann. Jedenfalls deutlich weniger als heute.
Oben auf der Tagesordnung steht in Kioto etwas anderes: Statt sich vom Klimaschutz freizukaufen, muß der Westen beim Klimaschutz vorangehen. Gerade weil der westliche Lebensstil den Armen der Welt attraktiv erscheint, ist es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, vorzumachen, wie man diesen Lebensstandard klimaverträglich praktizieren kann. Die USA müssen die Zukunftsfähigkeit des American way of life beweisen – anstatt in Honduras und Costa Rica Bäume zu pflanzen. Gelingt dieser Nachweis nicht, steht nicht der Klimaschutz in Frage, sondern der American way of life.
Das hat wenig mit Sozialstaat, aber viel mit unveräußerlichen Menschenrechten zu tun. Leben, Gesundheit und die Chance auf Glück suchen nicht nur Amerikaner, sondern auch Bangladeshi.
Kaum eine Nation hat die Missionierung der Welt zu den eigenen Werten deutlicher auf ihre Fahnen geschrieben als die USA. Wer so deutlich den Zeigefinger hebt, gar vom Ende der Geschichte spricht, das mit dem eigenen System erreicht sei, muß zeigen, daß die eigenen Rezepte global tauglich sind. Wer den globalen Zugriff auf Ressourcen von Bagdad bis Kinshasa, von Alma-Ata bis Buenos Aires beansprucht, muß seiner globalen Verantwortung auch gerecht werden. Oder auch: Wer schnell fährt, muß früh bremsen. Sonst ist der Crash unvermeidlich. Hermann-Josef Tenhagen
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