piwik no script img

Kinotipp der WocheDoppelte Bestrafung

Die Reihe „Einmal die Papiere bitte! Staatsbürgerschaften und das Kino“ im DHM zeigt Filme aus Frankreich, Polen und Deutschland.

„Wesh, Wesh – qu’est-ce qui se passe?“, Regie: Rabah Ameur-Zaïmeche, FR 2001 Foto: Peripher Filmverleih

Langsam schwenkt die Kamera über die Dächer einer Neubausiedlung am Rande von Paris. Unten auf einer Wiese spielt eine Gruppe Jugendlicher Fußball. Französischer Hiphop liegt über den Credits zu Beginn von Rabah Ameur-Zaïmeches Debütfilm „Wesh wesh – qu’est-ce qui se passe?“.

Kamel (gespielt vom Regisseur selbst) ist frisch zurück aus Algerien, wohin er aus Frankreich abgeschoben worden war. Haftstrafe und Abschiebung, die Double peine, die doppelte Bestrafung, ist in aller Munde in der Wohnsiedlung. Am Samstag läuft der Film im Rahmen der Filmreihe „Einmal die Papiere bitte! Staatsbürgerschaften und das Kino“ im Berliner Zeughauskino.

Also versucht Kamel nach der neuerlichen Einreise in das Land, in dem er geboren wurde, in dem Viertel, in dem er aufgewachsen ist, wieder Fuß zu fassen. Doch eine Arbeit zu finden ist nicht leicht. Nicht zufällig hängen die meisten in dem Viertel irgendwo herum: die Jugendlichen des Viertels in den Hauseingängen, die Kinder auf dem Spielplatz.

Ohne Papiere ist es nahezu ausgeschlossen. Kamel ist schon zum Scheitern verurteilt, bevor er es selbst weiß. In einer Mischung aus Fiktionalisierung und dokumentarischen Szenen gibt Rabah Ameur-Zaïmeche einen Einblick in das Leben in der Banlieue Anfang der 2000er Jahre.

Die Filmreihe

Einmal die Papiere bitte! Staatsbürgerschaften und das Kino“, noch bis 9. 12. im Zeughauskino

Bei der Premiere auf dem Forum der Berlinale bezeichnete der Regisseur den Film als eine Art Gegenfilm zu Mathieu Kassovitz’ Banlieue-Klassiker „La haine“ von 1995, den er als zu stilisiert, zu romantisiert empfand.

Die Filmreihe „Einmal die Papiere bitte!“ begleitet die Ausstellung „Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789“ im Deutschen Historischen Museum und versammelt Filme aus den knapp 100 Jahren von 1916 bis 2011.

In „Das Verschwinden der Schwelle durch das Öffnen der Tür“ von 1986 befassen sich Petra Heymann, Heidi Specogna und Thomas Schulz mit dem Asylsystem der BRD. Der Film zeigt die Bürokratie der Einwanderungsverhinderung und die Selbstidealisierung von rassistischen Strukturen. Der Dokumentarfilm ist eine präzise, vielschichtige Abrechnung mit dem Asylsystem aus den Jahren bevor es Anfang der 1990er weitgehend geschliffen wurde.

Drei Filme befassen sich mit dem polnisch-deutschen Verhältnis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heinz Heralds „Brennendes Land“ von 1921 entstand im Kontext der Volksabstimmung darüber, ob Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg bei Deutschland verbleiben sollte oder sich Polen anschließen sollte.

Die Geschichte der Familie Walewski dient Herald als Grundstruktur seines Filmes. Gustav Ucicky nutzte eine ähnliche Struktur 1941 für einen Propagandafilm über die angeblichen Misshandlungen der deutschen Minderheit in Ostpolen. Ucickys Film zielte gleichermaßen auf eine Rechtfertigung des deutschen Überfalls auf Polen zwei Jahre zuvor wie des Angriffskriegs gegen Russland, der im Sommer des Jahres begonnen hatte.

tazplan

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

In Andrzej Jerzy Piotrowskis „Pułapka“ (Der Major im Visier) von 1971 kehrt Jan Reiner, Major der polnischen Armee, in sein Heimatdorf in Schlesien zurück. Nach den deutschen Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg ist die Stimmung zwischen der verbliebenen deutschen Bevölkerung und den polnischen Dorfbewohnern von Misstrauen geprägt.

Mit teils selten gezeigten Filmen aus drei Kinematografien skizziert die Reihe „Einmal die Papiere bitte!“ die komplexen Verhältnisse zwischen Bevölkerungsgruppen und die Machtverhältnisse, die mit der Frage der Staatsbürgerschaft verbunden sind. Fabian Tietke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!