Kinotipp der Woche: Kleine Filme, ganz groß
Im Filmland Schweiz gibt es jede Menge zu entdecken, wie die dritte Ausgabe des Berliner Festivals Film:Schweiz wieder einmal beweist.
Merke: niemals nach dem Baden die in der Badewanne zurückgebliebenen Haare durch den Abfluss stopfen. Denn diese können die Rohre verstopfen. Oder, viel schlimmer, man kann beim Wegfummeln der Haare mit einem Finger im Abfluss hängen bleiben. Und dann droht einem ein ähnlicher Horror wie Lara Stoll in Cyrill Oberholzers Film “Das Höllentor von Zürich“ aus dem Jahr 2019.
Die Schweizer Musikerin und Poetry-Slammerin, die sich in diesem Trash-Film selbst spielt, findet sich genau in dieser erst peinlichen, dann unangenehmen und irgendwann dramatischen Situation wieder. Sie kriegt ihren Finger einfach nicht mehr aus dem Abfluss und macht eine Art Nahtoderfahrung oder auch psychedelischen Trip, man weiß das nie ganz genau in diesem grellbunten Schabernack, der mit praktisch keinem Budget gedreht wurde und auch genau so aussieht.
Filmfestival Film:Schweiz, 29. 7. bis 4. 8., Kino in der Brotfabrik, Caligariplatz 1, www.filmschweiz.com
Psychothriller, Horrorfilm, Kömodie und ein Riesenquatsch: “Das Höllentor von Zürich“ ist alles auf einmal. Und ein Beweis dafür, dass aus der als so bieder geltenden Schweiz auch völlig unerwartbare Filme kommen können.
Das Land der Berge, Banken und Blochers als vielfältige Filmnation zu präsentieren, darum geht es dem Festival Film:Schweiz, das nun zum dritten Mal statt findet, vom 29. Juli bis zum 4. August im Berliner Kino Brotfabrik. Zu sehen sind hier neue und alte Filme, Dokumentationen genauso wie Kurzfilme. Und einer der wenigen Filme, die der große Schauspieler Maximilian Schell als Regisseur verantwortet hat: “Der Richter und sein Henker“ von 1975 nach der berühmten Romanvorlage von Friedrich Dürrenmatt.
Eine Brise Hollywood-Glamour
Der Schweizer Schriftsteller hat sogar einen Kurzauftritt in dem Film, in dem außerdem internationale Stars wie Donald Sutherland und Jacqueline Bisset auftreten und dem Film aus der Schweiz eine zusätzliche Brise Hollywood-Glamour verleihen.
Die Filme des Festivals zeichnen kein klischeehaftes Bild eines idyllischen Landes. Sondern beschäftigen sich mit Themen wie etwa Migration und Zukunftsangst bei Jugendlichen. Und dass schon in den Fünfzigern aus der Schweiz mehr kam als bloß Heimat- und “Heidi“-Filme, zeigt ein weiteres Werk nach einem Dürrenmatt-Roman: “Es geschah am hellichten Tag“ von 1958 mit Gert Fröbe. Der Schwarz-Weiß-Streifen von Ladislao Vajda ist ein echter Film noir, auch wenn er nicht in Los Angeles oder Paris, sondern in einem schweizer Kaff namens Mägendorf spielt.
Dass es so einiges im Filmland Schweiz zu entdecken gibt, beweist auch gleich der Eröffnungsfilm des Festivals: “Der Büezer“ des jungen Regisseurs Hans Kaufmann, der bei der Vorführung in der Brotfabrik auch zugegen sein wird.
Der Mann vom Bau
In “Der Büezer“, was auf Schweizerdeutsch so viel heißt wie “Der Arbeiter“, verliebt sich der Sanitärtechniker Sigi in Hannah, die einer Freikirche angehört und die Sache mit ihrem Glauben ziemlich genau nimmt. Sigi ist ein sensibler Typ, der Verständnis dafür aufbringt, dass es Hannah mit ihm langsam angehen möchte. Doch seine eher bodenständigen Kollegen bei der Arbeit reichen ihm diverse Bauarbeiter-Sprüche rein und versuchen ihm klar zu machen, dass er endlich mal rangehen müsse, sonst sei er ein echtes Weichei.
Sigi gerät zunehmend in einen Identitätskonflikt, der freilich auch daher rührt, dass er sich gegenüber Hannah als jemand ausgibt, der in einer Werbeagentur arbeitet. Denn er hat gelernt: als Mann vom Bau gilt man bei manchen Frauen als Unterschichtler, was diese nicht so attraktiv finden. Als Hannah dann zufällig Sigis wahren Beruf herausbekommt, wendet sie sich auch prompt von ihm ab und beendet den Kontakt.
Vom Sozialdrama zum Rachefilm
Was bei Sigi zu einer gewaltigen Krise führt und seinen Wunsch nährt, mit möglichst großem Knall gegen allerlei Ungerechtigkeiten auf dieser Welt vorzugehen. Aus dem Sozialdrama “Der Büezer“ entwickelt sich nun langsam ein Rachefilm. Und etwas, das einem echten Remake von Martin Scorseses “Taxi Driver“ ziemlich nahe kommt.
Wie der von Robert de Niro gespielte Travis Bickle im New York der Siebziger will auch Sigi mit der gesellschaftlichen Verwahrlosung um ihn herum im Zürich von heute aufräumen, wofür ihm selbst das Mittel der Selbstjustiz recht ist.
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Der Sprung vom einfühlsamen Arbeiter-Film hin zum Krimi mit Scorsese-Touch kommt ziemlich unvermittelt und die “Taxi Driver“-Zitate wirken in ihrer Deutlichkeit fast schon grotesk. Aber letztendlich bekommt der Film, der sich echt etwas traut, diesen Genre-Spagat hin. “Der Büezer“ ist ein kleiner Film aus der Schweiz, der ganz groß ist.
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