Kinos und andere Schwierigkeiten

Da hinten kommt der Aufschwung: In Berlin tobt die Berlinale, und in Brandenburg/Havel gibt es auch ein Kino. Am Wochenende wird das traditionsreiche Concerthaus-Kino neu eröffnet  ■ Von Andreas Becker

Vor dem Brandenburger Hauptbahnhof empfängt einen eine Wurstbude, ein Kiosk und die vierspurige B 1, die einen großen Bogen um die Altstadt schlägt. Auf der anderen Seite der Schnellstraße halten die grün-weißen Straßenbahnen. „Bielefeld grüßt Brandenburg“ steht groß auf einer. Die Straßenbahn Richtung Innenstadt fährt vorbei an bröckeligen Häuserfassaden.

Noch vor drei, vier Jahren besaß diese Ecke den scheinbar typischen Charme einer DDR-Stadt. Aber irgendwann werden die das hier alles kommerzmäßig aufmotzen, dachte man. Bis auf den neuen „C & A“ und ein paar sanierte Altbaufassaden, sieht es entlang der Straßenbahnstrecke aber immer noch fast aus wie 1992. Nur hört man weniger Geschichten von früher, aus Ostzeiten, als es das riesige Stahlwerk im Westen der Stadt noch gab, das bei ungünstiger Wetterlage oftmals tagelang die Altstadt in einen stinkigen Nebel legte. Das Stahlwerk ist längst zu, die Arbeitslosigkeit liegt wie fast überall im Land Brandenburg über 20 Prozent. Ein Einwohner behauptet, von einst rund 100.000 Brandenburgern, seien jetzt nur noch so etwa 80.000 übrig.

Zwei Jugendliche starren wortlos auf vier leere Bierkästen, die sie auf die Sitze gegenüber gestellt haben, und steigen beim Getränkemarkt aus. „Macht hier einer auf Gewalt, schreien alle: halt, halt, halt!“ steht auf einem Aufkleber in der Straßenbahn. „Letztes Jahr hat der größte Fascho von Brandenburg den größten Punk totgehauen“, erzählt eine Siebzehnjährige in der Einkaufsstraße. Auf der Demonstration danach sind sie von der Polizei eingekesselt worden. Sie und die beiden Jugendlichen, die neben ihr stehen, sehen relativ freakig aus. „Wir sind unpolitisch“, sagen sie. „In die Demo bin ich zufällig geraten.“

Treffpunkte für Jugendliche gibt es hier nur sehr wenige. Eine Kneipe, das „Cafe Contact“ und den „Container“. Der ist im „Ghetto“, wie die Brandenburger ihr Plattenbauviertel Hohenstücken nennen. In der frühen Nach- Wendezeit existierte in der Steinstraße ein Klub im Kulturhaus Philipp Müller, in dem sich vor allem alternative Kids trafen. Der wurde von der Stadt wegen Lärmbeschwerden und aus Geldmangel geschlossen. Inzwischen wurde das Gebäude der IG Metall rückübertragen. Falls die Stadt wirklich so etwas wie Kulturpolitik betreiben sollte, wird davon wenig sichtbar. Den Hauptteil des Kulturetats verschlingt das Drei-Sparten-Theater mit 17 Millionen Mark. Über dessen teilweise Zusammenlegung mit dem zeltgeplagten Potsdamer Theater wird diskutiert. Seine, wenn man es an Institutionen mißt, kulturell depressivste Phase durchlebte die Stadt Brandenburg wohl 1995. Das einzige Bürgerhaus, der Fontaneklub, der heute wieder Heimatstätte von Briefmarkensammlern und gelegentlichen Popkonzertbesuchern ist, lag in den letzten Zügen.

Blieb nur Kino. Zwischenzeitlich gab es in Brandenburg nicht mal mehr ein Kino mit eigenem Saal. Das „Konzerthaus-Kino“ in der Steinstraße, 1918 eröffnet und damals eines der traditionsreichsten Lichtspieltheater der Gegend, wurde 1995 geschlossen und abgerissen. Mit dem einstmals 1.035 Zuschauern Platz bietenden Saal – zu DDR-Zeiten hatte er noch 635 Sitze – hat Brandenburg ein Stück Kinogeschichte verloren: „Rückwärtig fünf Logen, darüber Rang und sechs weitere Logen, Deckenspiegel von profilierter Stuckrahmung, eingefaßt mit prächtigem Kronleuchter. Beispiel eines in schlichten Formen gehaltenen Kinosaals der zwanziger Jahre“, heißt es im Stadtarchiv.

Nach dem Abriß des Saals, der hinter den Wohnhäusern der Steinstraße 19/20 versteckt im Hof lag, zog das „Konzerthaus-Kino“ provisorisch in das Klubhaus Philipp Müller schräg gegenüber. Schlechte Technik und ein Foyer mit improvisiertem Bistro, das auch durch einen Popcornkasten und einen Kaffeeautomaten nicht so recht seinen DDR-Muff verlieren wollte, vertrieben die Zuschauer. „Die Verleiher haben uns die großen Filme am Ende gar nicht mehr angeboten“, sagt die ehemalige Kinoleiterin Michaela Hesserle. In der letzten Woche schloß das Provisorium. Während Frau Hesserle und ihre KollegInnen kurz vor Weihnachten noch zweifelten, ob sie weiterbeschäftigt würden, sind sie nun dabei, wenn am kommenden Samstag das neue „Konzerthaus“ – nach einer Abstimmung im Lokalteil der Märkischen Allgemeinen rückbenannt in „Concerthaus“ – eröffnet. Der neue Betreiber, die „Novum-Filmtheaterbetriebsgesellschaft“ aus Hessen, hat 1,8 Millionen in Technik und Ausstattung der fünf neuen Kinosäale investiert.

Dort, wo das alte „Konzerthaus“ stand, ist ein dreigeschossiger Neubau mit einer geschwungenen, türkisfarbenen Glas-Stahl- Fassade entstanden. Die neuen Kinos haben insgesamt rund 700 Plätze. Noch wuseln überall Handwerker herum. Der griechische Marmor im lichten Foyer wird geschliffen. Arbeiter schleppen schwere Glaskästen, die aussehen wie falsch gebaute Aquarien und zwischen Kinosaal und Vorführraum eingebaut werden. „Den historischen, großen Saal konnte man nicht retten und könnte man heute auch nicht mehr wirtschaftlich betreiben“, sagt Peter Plass, Geschäftsführer der „Novum“. Nur der Saal zwei des alten „Konzerthaus“ mit 60 Plätzen wurde erhalten.

Die neuen Kinos werden mit moderner THX-Technik ausgestattet, die gestuften Sesselreihen haben 1,20 Meter Abstand. Die Stadt gab keinerlei Zuschüsse. Peter Plass ist vor allem wichtig, daß Brandenburg mit dem neuen „Concerthaus“ wieder ein Innenstadtkino erhält. Sogar eine eigene Haltestelle der Straßenbahn hat man direkt vor der Tür – sie heißt „Kino“. Mit den Verkehrsbetrieben hat man einen Vertrag geschlossen, der die kostenlose Rückfahrt mit der Kinokarte ermöglicht.

Hauptkonkurrenz des Innenstadtkinos ist das im September 1996 eröffnete „Movietown“ in Wust. Das Kinocenter nennt sich großspurig Multiplex. Wust liegt etwa fünf Kilometer östlich der Stadt Brandenburg und besteht nun hauptsächlich aus einem riesigen Einkaufscenter mit 1.800 Parkplätzen und 80 Geschäften. Während in Brandenburg zur gleichen Zeit nur wenige durch die Fußgängerzone schlendern – vorbei am 1995 nach nur drei Jahren wieder geschlossenen „Karstadt“-Filiälchen –, drängeln sich in der überdachten Einkaufsstraße von Wust die Einkaufswagen.

Vom „Nordsee“-Restaurant aus betrachtet, sehen die Menschen nicht gerade glücklicher aus als in der Innenstadt, aber sie haben definitiv mehr eingekauft. Wenn sie die Sachen aus den Einkaufswagen in ihren Autos verstaut haben, werden sie mindestens eine halbe Stunde im Stau stehen, weil die Schranke der Bahnstrecke Berlin–Hannover ihnen dauernd die freie Fahrt vermasselt. Ein Bus fährt nur einmal die Stunde nach Wust. Einen Rad- oder Fußweg gibt's nicht. Kürzlich wurde ein einkaufswilliger Radfahrer von einem Auto überrollt.

Das „Movietown“-Kino liegt hinter dem eigentlichen Einkaufcenter, zwischen einem rot-grünen „Stinnes“-Markt, einem Fitneßcenter mit überdachten Tennisplätzen und einer Disko. Der Eingang des „Movietown“, in einem schachtelartigen Blechbau, sieht aus wie der Supermarkt einer Tankstelle. Hinterm Kassendrehkreuz geht's nach oben zu den acht Kinosäalen. „Wir versuchen auch europäische Filme zu zeigen, aber wir müßen uns natürlich am Publikumsgeschmack orientieren“, sagt Geschäftsführer Werner Wendt. Das brachte dem „Movietown“ 100.000 Zuschauer in den ersten vier Monaten.

Filme, die wenig Publikum anziehen, werden auch im neuen „Concerthaus“ nicht laufen, wo man verspricht, neben neuen Kinderfilmen auch alte Defa-Kinderfilme zu zeigen. Vielleicht aber finden die Brandenburger ja auch in größerer Zahl Geschmack an Filmen wie „Lügen und Geheimnisse“. Die liefen bislang nur im kleinen „Kulturlabor“ im „Ghetto“ Hohenstücken, einer Art Kommunalkino. Dort wäre man schon froh, wenn die Filme nicht immer wieder von dem alten TK-35-Projektor, made in GDR 1969, fast zerfetzt würden.