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Kinos Urahn lockt wieder

■ Bunte 3-D-Bilder im Guckkasten: Eine kleine Geschichte des Panoramas

Martha Bornhöft ist 101 Jahre alt. An einem trüben Februarnachmittag des Jahres 1992 sitzt sie in der Stadtbibliothek und hat sich weit vorgebeugt und und starrt durch zwei Okulare in einen runden, hölzernen Guckkasten: „Oh, wie wunderbar“, ruft sie gelegentlich. Martha Bornhöft tut, was sie vor bald hundert Jahren schon einmal getan hat: Sie läßt sich von den dreidimensionalen Bildern eines Kaiser-Panoramas faszinieren.

Bis zum 7. März sind in der Stadtbibliothek zu Celle ausgewählte Aufnahmen von Sensationen und beliebten Reisezielen zu betrachten, kolorierte Fotos vom Erdbeben in San Francisco von 1906, Nansens Nordpolexpedition, Alt-Heidelberg und Norderney, vom Grafen Zeppelin auf großer Fahrt oder von König Edwards Empfang in Berlin.

„Es klingt wie im Märchen: Ohne Geld zu reisen! Aber es ist keins!“ Mit diesen Worten pries der Erfinder des Kaiser-Panoramas, der 1925 verstorbene Berliner Unternehmer und Physiker August Fuhrmann, seine nach dem Vorbild der älteren Stereoramen geschaffenen Apparat an.

Sein erster, ein eleganter, nußbaumfurnierter Rundbau von 3,75 Metern Durchmesser und 2,40 Metern Höhe enthielt jeweils 50 Glasstereos, die auf einem innenlaufenden Zahnkranz aufgesteckt waren. Auf ein Glockenzeichen hin setzte sich der Bilderkranz nach einiger Seh-Zeit mit einem Ruck in Bewegung und zeigte das nächste Bild.

Beleuchtet wurde das „Kino“ entweder mit Petroleum, mit Gas oder mit elektrischem Glühlicht. Komplett wog das Panorama 1.000 Kilogramm. Es wurde in fünf Holzkisten zum Kaufpreis von damals 3.450 Mark geliefert — wer allerdings Bilderserien haben wollte, mußte sie sich bei Fuhrmann leihen.

Bis 1909 zirkulierten über 100.000 Glasstereos in 250 Filialen von Fuhrmanns Betrieb. Die Zentrale lag in der 1944 bei einem Bombenangriff zerstörten Kaiserpassage zwischen Friedrichstraße und Unter den Linden in Berlin. Bis zu acht Fotografen reisten in seinem Auftrag herum, um Aufnahmen von den Schauplätzen der Welt zu machen.

August Fuhrmann war damit einer der Pioniere aktueller Bildberichterstattung, lange bevor es die filmischen Wochenschauen gab. Bekamen die Menschen in den Provinzstädten nach drei bis sechs Monaten Bearbeitungszeit die „neuesten“ Aufnahmen von Naturkatastrophen oder kaiserlichen Empfängen zu sehen, so galt dies ohne weiteres als brandaktuell. Das blieb so, bis Postkarten, Zeitschriften und schließlich das Kino dem Panorama den Rang abliefen.

In Celle eröffnete der Fotograf Otto Wolff 1907 das erste Kaiser- Panorama. Es war von morgens um zehn bis abends um zehn Uhr für 20 Pfennige, Kinder und Militär die Hälfte, zu bestaunen. Ab 1913 bekam es, wie überall, Konkurrenz durch Lichtspieltheater. Da wetteiferten dann „Märtyrer der Wissenschaft“ oder „Der Garnisonsarzt“ mit chancenlos stehenden Bildern vom Schlachtfeld zu Waterloo oder von der blühenden Lüneburger Heide.

Das endgültige Aus für die Panoramen kam dann 1930 mit den ersten Ton-Lustspielen: Liane Haid und Lucie Englisch waren in „Zweimal Hochzeit“ wohl faszinierender als Kaiser Karl und Kaiser Wilhelm beim Besteigen einer Anhöhe bei Görz. Otto Wolffs Sohn Otto junior, ein Tischler, machte aus dem Panorama kurzerhand Wohn-Möbel, aber Nachfahre Karsten Hälbig rettete 1992 wenigstens die Bilderschau für Celle.

Das Erbe von Erfinder Fuhrmann, der 12.000 Glasstereos aus der Zeit von 1888 bis 1921 hinterließ, hütet jetzt der Berliner Sozialhistoriker Erhard Senf. Er verleiht übrigens auch das Patent Nr. 52946 (“Selbsteinkassierendes Wandelpanorama“) vom 17.12.1889, wofür er „durchaus wieder einen Bedarf“ sieht. Karin Toben (dpa)

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