Kino-Film "Mitte Ende August": Die Chemie stimmt nicht
Sebastian Schippers Spielfilm "Mitte Ende August" versucht eine Adaption von Goethes "Wahlverwandtschaften".
Sie kichern, grinsen, giggeln, wohin sie gehen, wo sie sitzen, wo sie stehen. Auch beim Kauf eines renovierungsbedürftigen Landhauses. Schließlich ist das Bürger- und Besitzertum eine ziemlich komische Sache, vor allem wenn man sich wie Hanna und Thomas doch bislang nur für eine Existenz im Provisorischen entscheiden konnte.
Eigentlich ist Hanna (Marie Bäumer) ein bisschen zu hübsch und konventionell und Thomas (Milan Peschel) zu hampelig und kauzig, als dass die beiden ein Paar abgäben. Vielleicht legen sie deswegen lustige Disco-Lieder auf, wenn sie aufstehen, und knuffen sich beim Zähneputzen in die Seite.
Hanna und Thomas sind Mitte, Ende dreißig und wie der Filmtitel "Mitte Ende August" zu allem unentschlossen. Sie stehen für eine ganze Generation, die nicht zugeben mag, mental längst im Saturierten angekommen zu sein. Ihre Kernkompetenz ist das Durchwurschteln und ein phänomenologisches Irgendwie.
Jetzt besitzen die beiden also etwas Bleibendes, planen, spachteln, reißen Wände ein und sorgen sich um statische Berechnungen. Der Baumarkt mit seinen eindrucksvollen Weiten und Sortiersystemen und seiner Botschaft, dass sich alle Wünsche schon irgendwie zusammenschrauben lassen, wird zum Zentrum ihres neuen Lebens. Hier kaufen sie nicht nur Baumaterial und streiten sich über Wandfarben, hier ist auch die Tankstelle, hier funktioniert ihr Handynetz am besten. Und immer häufiger schaut Hanna durch die großen Schaufenster fremden Kindern beim Spielen zu.
Als Thomas Bruder Friedrich (André Hennicke), ein frustrierter und arbeitsloser Architekt, und Hannas Patenkind Augustine (Anna Brüggemann), eine zarte Erscheinung mit altertümlich geflochtenen blonden Haaren, eintreffen, sind bereits unbestimmte Sehnsüchte in Schwingungen geraten, die die Beteiligten nur umso empfänglicher für die freiwerdenden Verbindungsenergien der Gäste machen. Denn Goethes "Wahlverwandtschaften" und die ihr zugrunde liegende "chemische Gleichnisrede" sind das große, deutliche Vorbild.
Eigentlich ein schöner Stoff und dem von Berlin bis New York gefeiertem "Alle anderen" von Maren Ade nicht unähnlich. Dass "Mitte Ende August" einem dennoch nicht richtig nahekommt, liegt an seiner etwas hilflosen Inszenierung, die mehr behauptet als hervorspielt. Höhepunkt und Krise, das alles ereignet sich irgendwo zwischen dem unvermittelten Kichern und dem lauten Platsch, mit dem am Ende Hanna in den See fällt. Die Liebe wirkt wie auch ihre Erschütterung vom Drehbuch herbefohlen. Man säuft, wenn es nicht weitergeht, brüllt oder weint, als habe einen im Vorbeigehen etwas gewaltig zusammengestaucht. Vielleicht der Ernst des Lebens. Der Ruf der Erwachsenenwelt. Das Ende der Turnschuhtragerei. Der Konflikt zwischen Natur- und Sittengesetz, der bei Goethe die Ehe von Eduard und Charlotte sprengte, ist es jedenfalls nicht.
"Die Wahrheit ist das, was passiert. Nicht das, was man sich vorstellt", sagt Hanna in einem klaren, unverstellten Moment. Nur das Drama einer kenternden Beziehung will in "Mitte Ende August" keine Wahrheit werden, nichts, was einem kalt und heiß zugleich im Nacken sitzt. Sondern nur das, was sich Sebastian Schipper und seine Schauspieler darunter vorstellen.
Am Ende ist eigentlich nur die Filmmusik des Indie-Künstlers Vic Chesnutt die vollen 92 Minuten über auf Augenhöhe mit dem zu verhandelnden Material. Sie scheint vor dem Ensemble zu wissen, welche Irritationen die Luft vergiften und welche Enttäuschungen anstehen. Thomas und Hannas launenhafte Stimmungen grundiert sie mit einer schönen emotionalen Verbindlichkeit. So führt sie einen mit warmer, sicherer Hand über die Leerstellen des Films. Sie hüpft und federt, wird übermütig, unvorsichtig, stürzt, sehnt sich aufs Neue, ist frustriert und wird endlich groß.
"Mitte Ende August". Regie: Sebastian Schipper. Mit Milan Peschel, Marie Bäumer u. a. Deutschland 2009, 92 Min.
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