Kino-Film "Jaffa": Arbeit an der Orange

Sie ist nicht nur eine Zitrusfrucht, sondern ein Schlüssel, um die Geschichte Palästinas und Israels im 20. Jahrhundert zu erzählen. Genau das tut Eyal Sivans Essayfilm.

Es gab eine Zeit, da war die Jaffa-Orange die berühmteste Marke der Welt nach Coca-Cola. Bild: mec film

Es gab eine Zeit, da war die Jaffa-Orange die berühmteste Marke der Welt nach Coca-Cola. Die "goldenen Äpfel", wie sie im Hebräischen bezeichnet werden, waren das wichtigste Exportgut Israels, und von dem positiven Image der Frucht war der Schluss auf das Herkunftsland durchaus gewollt. Der junge Staat betrieb mit der Marke im Grunde Außenpolitik - die in alle Welt exportierten Jaffa-Zitrusfrüchte waren zugleich "Abgesandte" und "Ikonen", "öffentliches Gesicht" und "globale Agenten" Israels.

Diese Begriffe fallen alle in einer englischen Wochenschau, die Eyal Sivan für seinen Dokumentarfilm "Jaffa - An Oranges Clockwork" ausgewertet hat. Der israelisch-französische Intellektuelle kehrt mit dieser Untersuchung über ein landwirtschaftliches Produkt, das zugleich ein historischer Zeichenkomplex ist, zu den Anfängen seiner filmischen Arbeit zurück. 1987 drehte er mit "Aquabat Jaber - Passing Through" einen Bericht über die Situation palästinensischer Flüchtlinge im Westjordanland, die zum Teil seit vierzig Jahren in provisorischen Quartieren leben, immer noch auf eine Rückkehr auf ihr Land hoffend, von dem sie 1948 vertrieben wurden.

Zionistisches Narrativ

Dieses Land, das Israel nach dem Unabhängigkeitskrieg als "verlassenes" unter staatliche Verwaltung stellte, ist nicht zuletzt Land, auf dem die Zitrusfrüchte wuchsen, die schon davor unter dem Label Jaffa vermarktet wurden. Für Sivan ist die Orange also ein Schlüssel, um noch einmal die Geschichte Palästinas im 20. Jahrhundert zu erzählen, mit 1948 als zentralem Datum (für die Palästinenser ist der Unabhängigkeitskrieg Israels als "naqba", als "Katastrophe", entsprechend umgekehrt besetzt).

Was bei seinen Recherchen und Interviews zutage kam, ist eine weitgehend vergessene und bewusst unterschlagene Geschichte jüdisch-arabischer Gemeinschaft, die in der zunehmend konflikthaften Situation in Palästina allmählich verloren ging. Sivan hat für "Jaffa - The Oranges Clockwork" unzählige Dokumente aus Archiven aufgespürt und sie israelischen und palästinensischen Experten vorgelegt, die ihre Interpretationen vor laufender Kamera vortragen. Ergänzt wird diese bildanalytische Arbeit durch Interviews mit Menschen, die selbst erlebten, wie pragmatisch jüdische Siedler und arabische Bauern damals die Arbeit in den Obstgärten und im Hafen von Jaffa (Yaffo) untereinander aufteilten.

Schon früh aber geriet die Kooperation, die nicht zuletzt auch von der britischen Verwaltung nach Kräften befördert wurde (weil sich die Mandatsmacht nicht all jene Schwierigkeiten einhandeln wollte, die dann ohnehin trotzdem kamen), unter den Druck eines zionistischen Narrativs, an dessen Rekonstruktion und Herleitung Sivan ganz wesentlich gelegen ist. Es waren die vornehmlich aus Europa kommenden Siedler, die von Palästina ein Bild zu zeichnen begannen, das der späteren Eliminierung der Palästinenser Vorschub leistete: Die biblische Landschaft wurde in dieser politischen Ikonografie zu einem "spectacle of desolation, traversed by Arab tribes". Es gehört zur Logik der zionistischen Erzählung, dass das gelobte Land ("Erez Israel") während der Jahrhunderte des jüdischen Exils ungenutzt blieb und allmählich zu einer Wüste wurde, in die von den Kibbuzim neue Fruchtbarkeit gebracht werden konnte.

Das Konzept der "hebräischen Arbeit" führte endgültig dazu, dass die Arbeitsteilung mit den arabischen Bewohnern allmählich verloren ging. 1936 kam es im Hafen von Jaffa zu einem Streik, in dessen Folge in Tel Aviv ein eigener, jüdischer Hafen gebaut wurde, der nun auch auf der Vertriebsseite die Voraussetzungen für eine Entflechtung der Zitrusfruchtwirtschaft schuf. Die Filmausschnitte von der Arbeit in den Häfen liefern Sivan wertvolles Material, um sowohl einen allgemeinen orientalisierenden Diskurs zu rekonstruieren wie auch einen speziellen, in dessen Folge die Palästinenser immer stärker von der Jaffa-Orange dissoziiert wurden.

"Zuerst haben wir uns ihr Bild angeeignet, und 1948 haben wir auch ihr Land an uns genommen", sagt die Kunsthistorikerin Rona Sela an einer Stelle. Abgesehen von einigen Gesprächspartnern aus der offiziellen staatlichen Vermarktungsagentur für die Jaffa-Früchte hat Eyal Sivan durchweg mit Intellektuellen gesprochen, die seine Perspektive auf diesen Komplex weitgehend teilen - es fällt allerdings schwer, sich vorzustellen, dass man eine gänzlich andere Geschichte der Marke Jaffa schreiben könnte. Sivan hält mit "Jaffa - The Oranges Clockwork" an der Generaltendenz seiner Filme fest, die sehr kritisch gegenüber der Politik des Staates Israel ist - er steht mit seinen filmischen Forschungen aber im Einklang mit einer bedeutenden Generation von Historikern (in dem Standardwerk "The Birth of the Palestinian Refugee Problem" von Benny Morris finden sich zahlreiche Details, die mit Sivans Film prinzipiell übereinstimmen).

Orangen zu Handgranaten

Eine Schlüsselszene bei Sivan kommt gegen Ende. Dort zeigt er, wie 2003 im Gazastreifen ein alter Obstgarten geschleift wurde, weil die israelische Armee davon ausging, dass aus dieser Gegend Raketen abgeschossen wurden. Die Maßnahme ist sicherheitsstrategisch gerechtfertigt, sie steht jedoch unter einem Vorbehalt, den der französisch-palästinensische Historiker und Dichter Elias Sanbar so formuliert: "Leute, die ein Land lieben, könnten das nicht tun."

Das wirft eine Frage auf, die Sivan mit dieser Aussage nur noch zu streifen vermag: Was heißt das, ein Land zu lieben? Die Jaffa-Orange wurde im Zuge der palästinensischen Widerstandsbewegung schließlich zu einem Symbol der Unterdrückung umcodiert: Das Postermotiv einer Orange, die zur Hälfte eine Handgranate ist, machte deutlich, dass durch das Land Israel ein Riss geht, der schließlich in der Sicherheitsmauer, die seit längerer Zeit errichtet wird, ein monumentales Zeichen bekommt. Vor einigen Jahren hat Sivan gemeinsam mit seinem palästinensischen Kollegen Michel Khleifi das Land entlang der "Route 181" bereist, das ist jene Linie, die 1947 von der UNO für eine mögliche Aufteilung von Palästina vorgeschlagen wurde. Heute ist diese Linie nur noch Makulatur, und doch ist es unumgänglich, immer wieder auf Punkte eines Status quo ante zurückzugehen, an denen die auf die gesamte Geopolitik ausstrahlenden Konflikte in Palästina/Israel noch bewältigbar erscheinen mochten. "Jaffa - The Oranges Clockwork" zieht selbst so etwas wie eine historische Trennlinie, jenseits derer (also vor 1948) vielleicht manches ein wenig idealisiert dargestellt wird. Aber der Satz eines alten palästinensischen Obstbauern ist über die "Katastrophe" der "Unabhängigkeit" hinweg deutlich zu vernehmen: "Alle arbeiteten zusammen." Dies auch heute wieder zu ermöglichen, ist eine der Perspektiven von Sivans hochinteressantem Film.

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