Kino-Doku über Wahlkampf in Thüringen: Maaßens Anmaßung
Die Doku „Arena 196“ zeigt den Bundestagswahlkampf 2021 in Südthüringen. Trotz vieler O-Töne ist seine Erzählung eher verwirrend.
Auf den Film „Arena 196“ konnte man nicht weniger gespannt sein als vor zweieinhalb Jahren auf den Bundestagswahlkampf in ebenjenem Südthüringer Wahlkreis 196, den der 106 Minuten lange Film dokumentiert. Denn in der Region südlich des Rennsteigs trat überraschend der hier nicht beheimatete ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (noch CDU) an, um sowohl gegen die AfD als auch gegen die angeblich das Land zerstörende linke Phalanx zu gewinnen.
Das war an sich schon ein groteskes Ansinnen, wenn man an seine „Wahlkampfhilfe“ für die Sächsische Union 2019 erinnert. In einem großen Veranstaltungssaal in Radebeul klatschte Hans-Georg Maaßen damals die Mehrheit von AfD-Mitgliedern und Sympathisanten begeistert Beifall.
Die Filmemacher Yvonne und Wolfgang Andrä blenden zwar kurz nach Filmbeginn den neugierig stimmenden Satz „Südthüringen wird politischer Hotspot der Bundesrepublik“ ein. Warum das so war, erfährt man andeutungsweise aber erst nach 25 Minuten. (Eine politisch hellwache Künstlerin, die den Film vorab mit anschaute, hatte rund zehn Minuten früher da längst lakonisch angemerkt: „Also wenn ich jetzt im Kino säße, wäre ich schon gegangen!“)
Ein Eindruck, der sich leider verfestigt. Umso mehr, wenn man als Reporter damals der brisanten Wahlkreiskonstellation nachgegangen war. Gerade deshalb möchte man diesem mutigen und an sich lohnenswerten Filmprojekt beim Kinostart am 26. Oktober jeden Erfolg wünschen.
„Arena 196“. Regie: Yvonne & Wolfgang Andrä. Deutschland 2023, 106 Min.
Doch der scheint fraglich, wenn man selbst als Insider ein Konzept, eine Dramaturgie und vor allem einen Plot suchen muss. Dazu hätte es wohl doch einer stringenten Moderation, einer verbindenden und verbindlichen Erzählung dieser exemplarischen politischen Geschichte bedurft.
Zu vorrausetzungsvoll erzählt
Die ausgewählten Szenen und O-Töne sind authentisch und stark, wirken aber nur, wenn man sie einzuordnen weiß. Das versuchen sehr sporadisch und unglücklicherweise in einer schwer lesbaren weißen Schrift eingeblendete Kommentare. Sie schwanken zwischen den Extremen eines Wahlrecht- und Demokratie-Elementarkurses und Hinweisen, die eine überdurchschnittliche Kenntnis der Thüringer Verhältnisse und des Richtungsstreits in der Bundesrepublik voraussetzen.
Man muss einfach wissen, wer Herr Maaßen ist, warum er nicht mehr den Verfassungsschutz leitet und wohin er danach driftete. Aus dem Nichts knallt gleich bei seinem ersten mitgeschnittenen Auftritt ein entlarvendes Zitat herein, wo er gegen „bildungsferne und berufslose Jungpolitiker der Grünen und Linken“ wettert, die unser Land regieren wollen und ihm Angst machen. Richtig schade, wenn die Wirkung solcher Tiraden mangels Kontext verpufft.
Nur ein kaum zu decodierender knapper Hinweis deutet an, dass die aufgeflogenen Corona-Maskengeschäfte des namentlich nicht genannten CDU-Bundestagsabgeordneten Mark Hauptmann überraschend die Vakanz für Maaßens Kandidatur öffneten. Und damit überhaupt erst die enorme Aufmerksamkeit auf dessen Abschneiden lenkten.
Man muss vorab auch wissen, was für eine zwar thüringenferne, aber wachsame Bewegung „Campact“ ist. Sie übte massiven Druck auf die Konkurrenten des populären und bei der Wahl schließlich erfolgreichen SPD-Kandidaten und ehemaligen Biathlon-Olympiasiegers Frank Ullrich aus, zu dessen Gunsten im Sinne einer Einheitsfront gegen Maaßen zurückzuziehen. Der punkige Spitzengewerkschafter der Linken, Sandro Witt, bockte und bekam Krach mit der eigenen Partei.
Die Stärken des Films liegen in den Dialogen der beobachteten Kandidaten von SPD, CDU, Linken, Grünen, FDP und ÖDP mit den Bürgern. Ein Puzzle aller ostdeutschen Standardthemen. Das Volksecho auf Abwanderung, Niedriglöhne, Verlierermentalität, Mittelstand, Sozialpolitik und eine als Luxus und Vergewaltigung empfundene Nachhaltigkeits- und Klimapolitik kann man authentisch studieren. Themen, die aber nicht an die Spezifik dieses Thüringen-Wahlkampfs 2021 gebunden sind und überall im Beitrittsgebiet nachzuhören sind. Aber wer tut sich das eine und eine Dreiviertelstunde im Kino an?
Das Autorenpaar untersucht nichts, klammert sogar zentrale Fragen aus. Dies insbesondere im Licht des aktuellen AfD-Wahlerfolgs mit der Wahl Robert Sesselmanns zum Landrat in Sonneberg. Von dort wird nur eine von der endgültigen Schließung bedrohte Sternwarte gezeigt. Nicht aber erwähnt, dass es den Südthüringern wirtschaftlich ausgesprochen gut geht, dass aus Coburg nach Sonneberg eingependelt wird und trotzdem in einer Art Luxusmotzertum AfD gewählt wird. Auch die CDU-Abgeordneten der Region zählen zu den Erzkonservativsten.
Im Bedauern über solche verschenkten Chancen erscheinen handwerkliche Kleinigkeiten wie eine auffallend belanglose Musik zwischen den Szenen verschmerzbar. Nirgendwo taucht ein Bezug zu den heutigen und absehbar auch nach den Landtagswahlen 2024 anhaltenden Unregierbarkeitsproblemen Thüringens auf. Es ist leider zu befürchten, dass auch die Gutinformierten zweieinhalb Jahre danach aus diesem Dokfilm wenig Erhellendes für die Zukunft mitnehmen werden.
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