: Kinkels Diplomatie
■ Französischer Botschafter vorgeladen
Bonn (AFP/AP) – Mit einer zwischen befreundeten Staaten ungewöhnlichen Geste hat Bundesaußenminister Klaus Kinkel auf kritische Bemerkungen des französischen Botschafters François Scheer zur deutschen Außenpolitik reagiert: Kinkel ließ den Diplomaten ins Auswärtige Amt einbestellen. Dessen Sprecher Michael Gerdts bestätigte lediglich, daß es gestern vormittag ein Gespräch zwischen Scheer und dem für Kinkels politische Abteilung zuständigen Staatssekretär Dieter Kastrup gegeben habe. Über den Inhalt der Unterredung gab Gerdts keine Auskunft.
Nach Zeitungsberichten soll sich der seit vier Monaten in Bonn akkreditierte französische Botschafter im Kreis von Journalisten kritisch vor allem über die deutsche Europapolitik geäußert haben. In den Berichten wurde Scheer nicht namentlich, sondern als „hoher französischer Diplomat“ unter anderem mit der Einschätzung wiedergegeben, daß die Differenzen wegen der Nichtteilnahme Bundeskanzler Helmut Kohls an den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Invasion in der Normandie kein bilaterales Problem seien, sondern eine Schwierigkeit zwischen Deutschland und dem Rest der EU. Dort herrsche allgemeines Mißtrauen gegenüber der Außenpolitik des wiedervereinigten Deutschland.
Kinkel wird in der nächsten Woche in Paris mit seinem französischen Kollegen Alain Juppe zusammentreffen. Dabei dürfte auch die Irritation im deutsch-französischen Verhältnis erörtert werden. Auch das Kanzleramt sah wegen des „außergewöhnlichen Vorgangs“ Klärungsbedarf.
Nach dem Treffen im Auswärtigen Amt bekräftigten französische diplomatische Kreise die Forderung des Botschafters nach einer Klarstellung der deutschen Europapolitik. Die Lage in Europa sei fließender geworden, die deutsche Vergangenheit tauche wieder auf. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) müsse immer wieder betonen, daß die deutsche Einheit und das vereinte Europa zwei Seiten derselben Medaille seien. „Das wollen wir hören.“ Das Außenministerium in Paris erinnerte daran, daß die „ausgezeichneten Beziehungen“ zwischen Paris und Bonn sich in den vergangenen Monaten bei schwierigen Problemen wie den Ereignissen in Ex-Jugoslawien bewährt hätten.
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