Kindesmisshandlung: Gewalt früher erkennen
Das Kinderschutzprojekt "Nationales Zentrum Frühe Hilfen" in Köln soll die Helfer betroffener Kinder besser als bisher miteinander vernetzen.
Es soll Schluss sein mit dem Nebeneinanderherwerkeln, findet Ursula von der Leyen. Die Menschen, die Kinder vor brutalen oder überforderten Eltern erretten möchten, müssen sich besser abstimmen - ob als Hebamme, Arzt oder Mitarbeiter des Jugendamts. "Wir müssen die Systemgrenzen zwischen Gesundheitswesen und Jugendhilfe überwinden", sagte die Bundesfamilienministerin. Am Dienstag verkündete sie den Beginn eines neuen Kinderschutzprojekts: das "Nationale Zentrum Frühe Hilfen" in Köln.
Das Zentrum soll Antworten liefern auf zwei vieldiskutierte Fragen: Wie können Helfer jene Eltern erreichen, an denen die bestehenden Angebote ungenutzt vorbeigehen? Und wie schafft man es, gefährdeten Kinder frühzeitig beizustehen - ohne die große Masse der liebevollen Eltern unnötig zu drangsalieren? Träger des Zentrums sind die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das deutsche Jugendinstitut. Der Bund fördert es finanziell. 3,9 Millionen Euro stehen bis 2010 zur Verfügung. Weitere 6 Millionen fließen in ähnliche Projekte und Studien.
"Frühzeitig ansetzen", nennt die CDU-Politikerin von der Leyen die neue Strategie. Schon wenn eine Hebamme oder Krankenschwester ahnt, dass eine Mutter mit dem Säugling überfordert sein könnte, solle kaskadenartig ein System anspringen: "Wenn die Kinder aus der Klinik raus sind, sind sie weg. Man sieht sie drei Jahre später im Kindergarten wieder - und erst dann fällt auf, dass das Kind gar nicht sprechen kann." Genau deshalb soll das neue Zentrum sich auf Hilfen für Kleinkinder konzentrieren. Experten sollen überprüfen, welche Angebote wirklich nützen - und ihre Ergebnisse dann den Kommunen zugänglich gemacht werden.
Damit will die Ministerin auch einem grundsätzlichen Problem begegnen: Gesicherte Daten über Kindesmisshandlungen sind kaum verfügbar. Weder ist genau bekannt, wie viele Kinder vernachlässigt oder verprügelt werden, noch, ob ihre Zahl steigt. Und selbst Experten sind uneins, ob dies tatsächlich in überragendem Maße ein Problem von Eltern ohne Job, Perspektive und Schulabschluss ist. Oder ob die Gewalt in wohlsituierten Familien nur selten erkannt wird, weil sich Gewalt dort anders äußert als in roten Striemen.
So ist es auch ein Ziel des Projekts, Wissen zu bündeln. Dem Institut steht ein Beirat zur Seite, der Experten vereint, die aus ihrer jeweiligen Nische Hilfreiches beisteuern könnten: Bindungsforscher, Experten für häusliche Gewalt oder Armutsforscher. Sie könnten Ideen liefern, wie Außenstehende dazu beitragen können, dass auch in schwierigen Lebenslagen eine liebevolle Eltern-Kind-Bindung entsteht.
Gelingt der Plan, würde dies auch den Blick auf eine Debatte erweitern, die derzeit oft auf ein einziges Thema verengt wird: auf die Frage, ob nicht die bislang freiwilligen Regeluntersuchungen für Kinder zur Pflicht gemacht werden sollen, wie von einigen Bundesländern gefordert. Von der Leyen lehnt dies bisher ab - vor allem mit dem Hinweis auf verfassungsrechtliche Bedenken. Ob indes höherer Druck von oben Kindern hilft oder ob er nur Eltern zum raffinierten Vertuschen verleitet, ist nicht hinreichend untersucht.
So warnte gestern Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts, vor verfrühtem Aktionismus: "Wir brauchen besseren Zugang zu Risikofamilien. Aber der Staat soll sich auch nicht unnötig einmischen." Aufgabe des Zentrums sei es auch, die Diagnose zu verbessern, wann eine Familie gefährdet ist. "Wenn wir Kinder wirklich helfen wollen, müssen wir erst einmal unser Wissen vermehren."
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