Kindertheater: Nicht an den Sitzen festkleben
Seit 15 Jahren gibt es das Kinder- und Jugendtheater Murkelbühne. Doch 2010 wird die Spielstätte in Prenzlauer Berg in eine Schule umgewandelt. Die Suche nach neuen Räumen hat begonnen. Der Senat will dabei helfen.
Die coolen Kids sitzen im Bus immer hinten. Während vorne die Erwachsenen dem Stadtführer lauschen, plappern die Teenager auf der Rückbank munter durcheinander. "Im letzten Jahr haben wir ,Frühlingserwachen' aufgeführt", erzählt die 15-jährige Pia. "In diesem Jahr arbeiten wir an ,Candide'. Von Voltaire." "Wir hätten auch ,Die Räuber' spielen können", ergänzt die 13-jährige Solome. "Aber auf Schiller hatten wir keine Lust."
Gemeinsam mit ihren Freundinnen spielen sie in einer Theatergruppe - der Berliner Murkelbühne. Seit 15 Jahren gibt es das Kinder- und Jugendtheater in Prenzlauer Berg, nun fürchtet es um seine Existenz. Denn aus dem EliasHof in der Senefelder Straße, wo das Theater neben weiteren Kultureinrichtungen seinen Standort hat, soll 2010 wieder eine Grundschule werden. Jetzt suchen die Murkels neue Räumlichkeiten, weshalb sie den Samstagnachmittag in Reisebussen verbringen. Die Stadtrundfahrt wird aber wenig konkret; sie soll die jungen Schauspieler vor allem inspirieren, schließlich gibt es in Berlin ausreichend Leerstände, die es zu entdecken gilt.
"Als wir im Jahr 2000 aus der Jugendkunstschule Pankow in den EliasHof zogen, war dort gerade wegen Schülermangels die Struwwelpeter-Grundschule geschlossen worden", erzählt Matthias Kubusch, der die Murkelbühne gemeinsam mit Ramona Zimmermann leitet. "Nun leben im Kiez wieder so viele Kinder, dass der Senat im nächsten Jahr die Schule wiederbeleben will." Dem wolle man sich nicht in den Weg stellen - doch das Theater aufzugeben käme nicht in Frage. Schließlich sei es ein beliebter Treffpunkt für Kinder und Jugendliche aller sozialen Schichten.
Gegründet wurde die Murkelbühne als eine Initiative von Schülern, Eltern und Lehren der Grundschule am Teutoburger Platz, im Süden von Prenzlauer Berg. Inspiriert von der Arbeit des Jugendtheaters P14 der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz schloss man sich dem von Intendant Frank Castorf ausgegebenen Motto "Macht euer Theater selbst" an und ermöglichte den Kindern, sich in die Theaterarbeit einzubringen. "Wir machen keine Mini-Playback-Show", erklärt Kubusch das Konzept. "Bei uns können sich die jungen Schauspieler ausleben."
Und das gefiel den Kindern. Schon bald war die Nachfrage nach Plätzen in den Theaterkursen auch von Schülern anderer Schulen so groß, dass man die Murkelbühne zu einem wirtschaftlich eigenständigen Unternehmen außerhalb der Schule umfunktionierte. Mittlerweile arbeiten 150 Kinder und Jugendliche zwischen 4 und 20 Jahren, aufgeteilt in Altersgruppen, an verschiedenen Projekten. Die Warteliste ist lang.
"Ich bin seit fünf Jahren dabei", erzählt Rosa, die eine Reihe vor Pia und Solome im Bus sitzt. "Ich wollte gerne Theater spielen, und nachdem ich ein Stück der Murkelbühne angesehen habe, bin ich eingestiegen." Fast alle aus ihrer Gruppe machten schon so lange mit. "Wir sind ein fester Freundeskreis und treffen uns auch oft am Wochenende", sagt die 15-Jährige. "Wenn es die Murkelbühne nicht mehr gäbe, würde mir richtig was fehlen", meint Jorinde vom Fensterplatz. Ihr helfe das Theaterspielen, Dinge zu verarbeiten und Frust abzubauen. "Wir und unsere Vorschläge werden ernst genommen. Das gefällt mir besonders gut."
Die Bedeutung der Murkelbühne für die Kinder und das kulturelle Angebot in Prenzlauer Berg ist auch dem Senat bewusst. "Der Bezirk ist auf der Suche nach alternativen Standorten", sagt Torsten Wöhlert, Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Kultur. "Wir brauchen jedoch eine neue Grundschule, und da bietet sich der EliasHof am besten an." Die dort zurzeit bestehenden kulturellen Angebote sollten jedoch auf jeden Fall erhalten werden. "Da tun wir alles, was wir können."
Matthias Kubusch freut sich über diese Unterstützung. Er betont jedoch, dass es nicht nur wichtig sei, die einzelnen Einrichtungen im Haus für sich zu erhalten. "Schließlich arbeiten wir seit einigen Jahren zum Beispiel im Rahmen des ,Bühnenkarussells' erfolgreich zusammen." Dieses Projekt ermögliche den Kindern, innerhalb eines Jahres in der Musikwerkstatt Klangschmiede Instrumente selber zu bauen, in der Musikschule Béla Bartók das Musizieren zu erlernen und in der Murkelbühne das Theaterspielen ausprobieren. "So können die Kinder in verschiedene Bereiche hineinschnuppern und sich zum Schluss entscheiden, was ihnen am meisten Spaß macht." Bis September 2010 muss eine Lösung gefunden werden. "Wir kümmern uns bewusst jetzt schon um neue Räume, damit uns ein geordneter Neuaufbau gelingt", so Kubusch. Zurzeit sei etwa das ehemalige Finanzamt in der Pappelallee im Gespräch.
Für die Mädchen auf der Rückbank ist nur wichtig, dass die Murkelbühne nicht ganz geschlossen wird. "Seitdem ich Theater spiele, habe ich mich weiterentwickelt", sagt Solome. Kreativer und selbstbewusster sei sie geworden, was ihr auch in der Schule helfe. Angst vor Referaten kenne sie nicht, und in Gruppenarbeit sei sie auch geübt. "Ein Hobby wie Blockflöte spielen hätte mir da sicher nicht so viel gebracht."
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