Kinderküche hilft den Ärmsten: Brot und Spiele

Seit einem Jahr gibt es die "Kinderküche" in Moabit. Der Nachwuchs armer Eltern bekommt hier kostenlos Mittagessen, aber vor allem Betreuung und Aufmerksamkeit.

Nach außen hin wirkt alles ruhig. Die Nummer 23 in der Oldenburger Straße unterscheidet sich von den anderen Häusern nur durch die beiden Banner mit dem Schriftzug des Vereins Familienschutzwerk. Erst nach einem Klopfen öffnet sich die Tür von innen. Drinnen steht man in einem großen Raum, der dank Aquarium und Sofa fast wie ein Wohnzimmer wirkt. Zwölf Kinder zwischen einem und elf Jahren toben zwischen den grünen Tischen herum. Einige bilden gerade einen Stuhlkreis; Selcan Karacay und Franziska Seringhausen, die beiden fest angestellten Betreuerinnen, haben sie dazu aufgefordert, um gemeinsam zu singen. Mitmachen muss dabei aber niemand: Vier Jungs zwischen fünf und zehn spielen im hinteren Raum Kicker, die vierjährige Jana und ihre Freundin Rachel okkupieren unterdessen ein weiteres Sofa im ehemaligen Büro.

Wie die meisten der kleineren Kinder kommen die beiden schon morgens um neun Uhr in die Kinderküche. Hier bekommen sie nicht nur ein warmes Mittagessen, sondern auch Frühstück und vor allem: Betreuung, Aufmerksamkeit. Phil Schneider, der Gründer des Vereins, erklärt die Kriterien, die zur Anmeldung eines Kindes erforderlich sind: "Es muss ein Hartz-IV-Bescheid der Eltern vorliegen; im Gespräch wird dann ermittelt, ob eine weitere ,besondere Bedürftigkeit' vorliegt." Dies kann eine Suchterkrankung eines Elternteils sein, aber auch die Überforderung einer alleinerziehenden Mutter mit fünf Kindern.

Vermittelt werden die Kontakte meist über Sozialarbeiter des Kinderschutzbundes und anderer Vereine. Und der Bedarf wächst: Laut dem Berliner Sozialatlas waren 2008 etwa 60 Prozent der Kinder in Moabit von Sozialleistungen abhängig. In die Oldenburger Straße kommen täglich etwa dreißig Kinder zum Spielen, Essen und Lernen, jetzt in den Ferien sind es allerdings weniger. Einige verbringen den Sommer bei den Großeltern.

In unserem Text "Brot und Spiele" (24.7.09) haben wir über die vom Verein Familienschutzwerk in Moabit betriebene Kinderküche berichtet. Darin hieß es, Bedürftige würden unter anderem durch Sozialarbeiter des Kinderschutzbundes an die Kinderküche vermittelt. Der Kinderschutzbund Berlin legt jedoch Wert auf die Feststellung, dass er keine Familien an das Familienschutzwerk vermittele, da er selbst berlinweite Armuts- und Beratungsangebote für Familien in Notsituationen vorhalte. Zudem kooperiere er ausschließlich mit Projekten und Diensten in Berlin, die ihm vertraut und bekannt sind. taz

Am gestrigen Donnerstag feierte die Einrichtung ihr einjähriges Bestehen. Mittlerweile liegt der Fokus von Schneider und seinem größtenteils ehrenamtlich arbeitenden Team nicht mehr allein auf dem Mittagstisch. Vier Lehrer sowie einige Studierende betreuen die Älteren bei den Hausaufgaben, wichtig ist ihnen dabei die individuelle Förderung.

In der Schule waren manche Kinder schon aufgegeben worden, Schneider erzählt vom resignierten Tenor einer Lehrerin nach dem Motto: "Dann lass ich sie halt schlecht sein." Durch Motivation wollen er und sein Team in den Kindern die Lust am Lernen wieder entzünden. Dazu werden die Kinder angehalten, ihre beruflichen Ziele zu formulieren. Anschließend wird gemeinsam überlegt, was zu deren Verwirklichung notwendig ist. Strenge Regeln oder gar Strafen gibt es nicht, dafür setzt Schneider auf "Reden, Reden, Reden".

Das scheint zu wirken - zumindest im Fall von Nina. Sie ist zehn, besucht die fünfte Klasse der nahe gelegenen Gotskowski- Grundschule und kommt seit etwa zwei Monaten hierher. Freunde haben ihr von der Kinderküche erzählt und sie überredet mitzukommen. Damals war Nina stolz auf ihre schlechten Noten. Mittlerweile hat sie in Mathe eine drei statt einer fünf - und freut sich sichtlich darüber.

Im Hauptzimmer ist es jetzt ruhiger geworden, vor dem Mittagessen um 14 Uhr sind die kleineren Kinder noch mal auf den nahe gelegenen Spielplatz. In der Küche trifft Angelika Fischer die letzten Vorbereitungen. Seit drei Tagen erst arbeitet die gelernte Floristin als Köchin hier. Trotzdem ist sie gelassen, "den Kindern hat es bisher geschmeckt". An diesem Tag gibt es Gemüseeintopf, am Nachmittag bekommen die Kinder noch einen Obstteller, manchmal auch Kuchen. Etwa 50 Euro kostet der tägliche Einkauf; finanziert wird er - wie das gesamte Projekt - durch Spenden. Schneider erklärt: "Damit kommen wir knapp über die Runden."

Auslöser für seine Initiative, 2007 den Verein Familienschutzwerk und 2008 die Kinderküche zu gründen, war der Fall von Jessica, einem siebenjährigen Mädchen, das 2005 in Hamburg verhungert ist. "So etwas geschieht viel zu oft", fand Schneider.

Zusätzlich zum Sattwerden geht es in der Kinderküche darum, den Kindern neue Erfahrungen zu vermitteln und ein Bewusstsein dafür, wie man sich gesund ernährt. "Manche haben hier zum ersten Mal in ihrem Leben Erdbeeren gegessen", erzählt Schneider. Andere hätten noch nie Berlin verlassen; Ausflüge nach Brandenburg oder ins Schwimmbad gehören daher ebenso zum Programm wie das Lernen.

Die Wohnverhältnisse der Kinder beschreibt Schneider als oft düster, es gibt Fälle von Missbrauch, doch: "Hier sollen sie ihr Wohnzimmer haben." Eine intensive Vorsorge gegen Missbrauch ist ihm daher ein weiteres Anliegen. "Kinder müssen wissen: Sie haben Rechte"; sie dürften laut schreien, wenn eine Situation ihnen komisch erscheint oder jemand sie bedrängt, mit ihm zu kommen. Solche Fälle sind im Stadtteil nicht selten, auch deshalb lässt sich die Eingangstür nicht von außen öffnen. "Die Kinder wissen aber: Sie müssen nur klopfen."

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