: Kinderfest als Film noir
Carlos A. Morellis „Der Geburtstag“ ist der erste neue Spielfilm nach dem Shutdown – und läuft nun in einem norddeutschen Kino
Von Wilfried Hippen
Hektische Schritte auf Kopfsteinpflaster, unheilvoll zurückgeworfenes Echo: Da rennt einer bei Nacht durch eine dunkle Gasse, verfolgt nur unter anderem von der Kamera. Eine Menschentraube steht vor einem Haus. Als aus einer Wohnung jemand sich entfernen möchte, ruft es „Haltet ihn!“ aus der Spießermeute. In Schwarz-Weiß und mit harten Kontrasten gedreht, sind das direkte Zitate aus Carol Reeds „Der dritte Mann“. Auch sonst haben sich der Regisseur Carlos A. Morelli und seine Kamerafrau Friede Clausz für ihren Spielfilm „Der Geburtstag“ in der Fotografie, der Lichtgebung und überhaupt der Stimmung deutlich beim klassischen Film noir bedient. Anders als jenes Krimi-Untergenre um die Mitte des 20. Jahrhunderts herum, erzählen sie aber nicht von Verbrechen, Verzweiflung und Tod – sondern von einem Kindergeburtstag.
Diese Fallhöhe zwischen Form und Inhalt gibt dem kleinen deutschen Spielfilm, in der Reihe „Das Kleine Fernsehspiel“ vom ZDF produziert und durch die niedersächsische Förderanstalt Nordmedia mit ermöglicht, einen speziellen ironischen Reiz. In einem heute gängigeren, pseudorealistischen Stil gedreht, wäre daraus möglicherweise ein banales Drama geworden, eine Allerweltsgeschichte über überforderte Eltern. Matthias (Mark Waschke) ist ein Workaholic, der nur an ein paar wenigen Wochenenden seinen siebenjährigen Sohn Lukas (Kasimir Brause) sieht, der bei der Mutter (Anne Ratte-Polle) lebt – oder eben an dessen Geburtstag.
Den aber behandelt der dauergestresste Vater maximal nebensächlich – und vergisst das Geburtstagsgeschenk bei sich zuhause. „Das kriegst Du dann nächste Woche“, ist seine Entschuldigung, die gleich in den ersten Minuten klarmacht: Da stünden einem ein paar Lektionen in Sachen Elternschaft gut zu Gesicht; und die dürfen, um wirklich verstanden zu werden, auch wehtun.
Beim Kindergeburtstag geht dann auch einiges schief: Ein Gewitter verhindert hochdramatisch die Gartenparty. Als Lukas seinen Vater bittet, ein Blechauto zu reparieren, wirft der es in den Müll – und verspricht wieder etwas, nämlich ein Neues zu kaufen. Was er nicht bemerkt, ist den enttäuschten Blick seines Sohnes. (Natürlich gibt es später, nach der Läuterung im dritten Akt, eine Spiegelszene: Matthias fischt das kaputte Spielzeug zwischen Essensresten aus dem Müll und repariert es auf dem Küchentisch.)
Reise in die Nacht
Auch aus der Schauerkiste der deutschen Romantik, einer Inspirationsquelle für den originalen Film noir, hat sich der Regisseur bedient: Er führt einen Doppelgänger sowie die Figur des unheimlichen Gastes ein. Eine Frau mit herben, fremdartig wirkenden Gesichtszügen gibt ihren Sohn Julius ganz zu Beginn der Feier ab, erzählt noch kurz, dass der Kleine auf keinen Fall Speiseeis essen darf und verschwindet dann wieder. Dieser Julius (Finnlay Jan Berger) aber ähnelt Lukas, als wären sie Brüder. Als später alle anderen Kinder von ihren Eltern abgeholt worden sind, macht sich Matthias mit dem Auto auf, um den offenbar vergessenen Jungen nach Hause zu bringen.
Diese vergebliche Suche nach der Mutter ist als alptraumhafte Reise in die Nacht inszeniert, bei der Julius einer schwarzen Katze hinterherläuft, die Nachbarn Hetzjagd auf die beiden machen, ein Junkie Matthias ausraubt und eine Polizistin ihn verdächtigt, dass Kind zu entführen. Bei all dem wird Matthias gezwungen, für diesen kleinen Doppelgänger die Vaterrolle zu übernehmen: ihn zu retten, zu trösten und ihm ein ausdrücklich verbotenes Eis zu spendieren. Auch Fehler zu machen, muss Matthias also erst lernen – die Konsequenzen sind dann aber eher komisch als tragisch.
Nach seinen Abenteuern mit Julius sieht Matthias am nächsten Morgen den eigenen Sohn mit anderen Augen. Leider gibt es für die unheimlichen Verwicklungen dann prompt eine vernünftige, also langweilige Erklärung. Ein wenig dunkles Rätseln hätte Morelli dem Publikum zumuten können, statt dessen schließt er mit einer langen, ohne Schnitte auskommenden Plansequenz – auch so ein typisches Noir-Stilmittel; in diesem Fall sorgt dann ein Elefantenbaby für die süße Schlusspointe.
Morellis erster Spielfilm „Mi Mundial“ war 2017 ein Publikumserfolg in seinem Heimatland Uruguay. Nach Deutschland kam der Filmemacher, Jahrgang 1977, als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Mit„Der Geburtstag“ hat er einen auf den ersten Blick sehr deutschen Film inszeniert –außer vielleicht, dass die Kinder mit Stöcken auf eine Piñata aus Pappmaché einschlagen. Entstanden ist der Film durchweg an Originalschauplätzen in Halle an der Saale, wo es offenbar reichlich düstere Gässchen gibt. Weil neben der Mitteldeutschen Medienförderung auch die Nordmedia an der Finanzierung mitwirkte, kamen Firmen aus Niedersachsen bei Dreh und Postproduktion zum Zuge.
Der Film startet eine Woche vor dem in der Branche ausgehandelten 2. Juli: Die Produktionsfirma wollte nicht in den Stau geraten, der es bis in den Herbst hinein für kleinere Produktionen schwer bis unmöglich machen dürfte, angemessen präsentiert zu werden. Erst seit Montag indes dürfen Kinos in Niedersachsen wieder öffnen. Nach einer Premiere gestern Abend wird deshalb „Der Geburtstag“ erst mal nur am Kino am Raschplatz in Hannover gezeigt. Alternativ ist er auf http://vod.wfilm.de online zu sehen.
„Der Geburtstag“, Regie: Carlos A. Morelli. D 2019, 80 Minuten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen