Kind statt Karriere: Mutige Männer am Herd
Wenn erfolgreiche Frauen eine Auszeit für ihre Kinder nehmen, kräht kein Hahn danach. Männern, die sich dazu entschließen, gelten noch immer als Weicheier.
Seien wir doch ehrlich: Wenn die FDP-Spitzenpolitikerin Silvana Koch-Mehrin ihr politisches Karrierestreben langsamer angeht, weil sie mit ihren drei kleinen Mädchen mehr Zeit verbringen möchte, wird es als eine völlig selbstverständliche Entscheidung akzeptiert, die keiner kritischen Nachfrage bedarf.
Wenn nun aber ein Politiker wie der Berliner Grünen Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann den Verzicht auf seine Kandidatur für den Bundesvorsitz damit begründet, dass er seinem künftigen Nachwuchs den Vorzug geben möchte, ist das Misstrauen groß. Er habe nur verzichtet, weil er eh keine Chance hatte, wird so manch einer denken. Das Kinder-Argument nutze er doch bloß als mehr oder weniger eleganten Schachzug, sich der Schmach einer drohenden Wahlniederlage zu entziehen. Warum mag man dem Mann seinen Wunsch, zu Hause zu bleiben, nicht glauben?
Während 85 Prozent aller weiblichen Elterngeldbezieher für ein Jahr in die Elternzeit gehen, liegt die Quote bei den Vätern gerade einmal bei 10 Prozent. Diese Zahlen zeigen: Noch immer plagt einen Großteil werdender Väter die Furcht, als Schluffi hingestellt zu werden, wenn er die Karriere unterbricht. Nun widersetzt sich ausgerechnet ein Politiker dieser Vorstellung von "Männlichkeit".
Dabei ist es gar nicht Grünen-Politiker Ratzmann, der sich in der Familien- versus Karrierefrage als Erster in der Politikerriege in Pionierstellung begibt. Den Paradigmenwechsel hatte bereits vor einem Jahr der ehemalige SPD-Chef Franz Müntefering eingeleitet. Der 68-Jährige gab im November 2007 seine Ämter als Bundesarbeitsminister und Vizekanzler ab, um sich Zeit für seine sterbenskranke Ehefrau zu nehmen. Auch in seinem Fall kam anfangs der Gedanke auf, er habe mit diesem Schritt bloß Reißaus vor seiner desaströsen SPD nehmen wollen. Dass sein damaliger Rücktrittsgrund durchaus glaubwürdig war, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er seit dem Tod seiner Frau wieder die Rückkehr in die Spitzenpolitik anstrebt. Nun mögen die letzten gemeinsamen Monate mit der Gattin nicht eins zu eins vergleichbar sein mit den ersten Lebensjahren mit dem Neugeborenen, aber Müntefering hat sich klar bekannt: Familie geht vor.
Überhaupt: Karriere und Familie in aller Perfektion unter einen Hut zu bekommen - ist das nicht ganz schön realitätsfern? Klar könnte man über den Atlantik schauen, wo sich mit Sarah Palin derzeit eine Frau zur Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner küren lässt, die erst vor Kurzem ein behindertes Kind zur Welt gebracht hat und dank ihrer 17-jährigen Tochter auch noch Großmutter wird. Und auch bei den ChristdemokratInnen hierzulande gilt eine Spitzenpolitikerin erst dann als vollkommen, wenn sie im Zuge ihrer Karriere zugleich auch sieben glückliche Kinder aufgezogen hat. Sie bleiben Powerfrauen vom Typus einer seltenen Spezies, was zudem ein bestimmtes finanzielles Polster voraussetzt. Und trotzdem: Wenn nun ein Grüner entschließt, dass er diese Doppelbelastung nicht auf sich zu nehmen bereit ist, setzt er sich Verdächtigungen aus.
Zu Unrecht. Zwar mag Ratzmanns Kind nicht die ganze Wahrheit für den Verzicht seiner Kandidatur sein, aber selbst wenn es ein vorgeschobenes Argument ist: Es ist legitim. Und nicht nur das: Sich so zu äußern, dazu gehört eine gehörige Portion Mut. Denn seien wir ganz ehrlich: Emanzipation hin oder her - der alte Feministenslogan "Männer an den Herd" galt unter Männern noch nie als besonders sexy. Und das wird auch erst mal so bleiben. Aber dank Ratzmann ist diese Forderung nun in der Realpolitik angekommen.
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