: Killer hinter der Kamera
■ »Imago« — die verfilmte Meret Oppenheim im Eiszeit-Kino
Was aus den Ritzen der Kunstgeschichte noch herauszukratzen ist, wird herausgekratzt und sogleich verspeist, nicht ohne kurz vorher mit dem Geschmack der Zeit aromatisiert zu werden, denn der Kulturbetrieb schreckt vor nichts mehr zurück. Immer noch im Trend: anvisieren, integrieren, präsentieren. Diesmaliges Opfer: Meret Oppenheim.
Mit größtem Erfolg schaffte sie es, ihr Leben lang nicht als besonderer Beitrag des jeweiligen Zeitgeistes vermerkt zu werden. Und so tauchten ihre Werke immer wieder in verstreuten Galerien vor relativ vorurteilsfreien Augen auf. Zu ihrem Vorteil. Doch nun ist's vorbei mit der privaten Entdeckung, Meret Oppenheimer ist in den Fleischwolf der Kulturindustrie geraten.
Als leicht verdauliches Du-darfst- Kulturpaket wird sie ausgerechnet von ihren eigenen Schweizer Landsleuten auf den Markt geworfen. Nicht daß ihr das schon mal passiert wäre. 1936 schuf die Oppenheim die inzwischen unendlich katalogisierte Pelztasse, auf ein Anraten Picassos. Es war eigentlich nur eine Variante einer neuen Ohrschmuckidee von ihr, mit der sie sich das Leben in Paris bezahlbar machen wollte. Doch Pablos Rat war ein schlechter Rat, denn sofort stand das Museum of Modern Art, New York, auf der Matte und aquirierte, und fortan verzeichnete sie die Wallstreet der Kunstbörse als »Surrealistin«, in Anführungszeichen wohlgemerkt, denn als Frau gab's als höchsten Rang nur den der Muse.
Und was konnte sie anderes sein, wenn selbst ihr berühmtestes Werk nur der Hilfe eines Maklers zu verdanken war. Anders hat sie auch nicht Man Ray abgelichtet, sie blieb stets nichts weiter als ein weiblich- kurviges Kuriosum, ein Model, ein Studienobjekt. Von der Maschine »Moderne« ausgeweidet und den Händen der Psychoanalyse übergeben, der gegenüber sie absurderweise keinen Argwohn zeigte.
Schnitt ihr damals Picassos infamer Pelztassentrick für 17 Jahre das Wort ab und verbannte sie — gerade erst 24 Jahre alt — wieder ins suizidfreundliche Berner Jura zurück, so kann sich das heute, nach dem Erscheinen ihrer verfilmten Biographie, nicht wiederholen, denn Meret Oppenheim ist schon seit fünf Jahren tot.
Genug Zeit für Anselm Spoerri (fliegender Händler des Markenprodukts »Postmoderne Eidgenossenschaft«) und Pamela Robertson- Pearce (sic!), das Werk der Oppenheimer einer antiseptischen Behandlung zu unterziehen und als einfühlsame Dokumentation dem erlebnishungrigen Knabberpublikum der Akademiker auf den Mitfühlteller zu werfen. Diesmaliger Serienname in der endlosen Schlaufe des Verständnisfilmes: Imago. Endzustand des Insekts nach der Verpuppung; ideales Ich in der Psychoanalayse; Image und trügerische Erscheinung. Was die Autoren an nichtssagender Widersprüchlichkeit schon in den Titel gepackt haben, kleckern sie als Selbstlob noch expliziter ins Programmheft.
Eine »entscheidende Frau« sei Meret Oppenheim gewesen, »die sich die Freiheit genommen hat, sich zu verwandeln«. Man muß es wissen, schließlich war man ja mit der Künstlerin befreundet, folglich ist, so schreiben sie über ihr eigenes Werk, dies ein »intimer Film«, und ebensooft, dreimal, ist er auch eine »poetische Präsentation«, die die Zusammenhänge zwischen ihrem Leben und ihrer Kunst nachvollziehbar machen sollen. Auf deutsch: In diesem Sahnequark ist Sahne und Quark. Und ausgerechnet das schreiben ihre eigenen Freunde, geriet Meret Oppenheimer doch gerade deswegen, weil sie nicht ihre Kunst und ihr Leben in Verkauf und Vergnügen teilen wollte, ins Abseits. Aber nicht nur, daß ihre Freunde im Zusammenhang mit ihr Wortschöpfungen wie »Lebensräume« verwenden, womit heute nur noch die älteren Schlesier wedeln, nein, sie verschaffen dieser »Die-Schweiz-hat-auch-Künstler«- Dokumentation eine so lange Credit- Liste, daß sie sich liest wie das komplette Who is who der helvetischen Wirtschaftsverbrecherliga.
Wie für den Export bestimmt sind auch die Ansichten der »Originalschauplätze« aus der Merian-Monatsheft-Perspektive, gekrönt von einer nöligen Apothekersgattinnenstimme, die das Objekt dieses filmischen Produkts durch den Film hindurch zitiert, Meret Oppenheim, falls sich noch jemand erinnert.
Das Eiszeit wäre nicht das Eiszeit, wenn es diesen Film nicht trotzdem zeigen würde, denn wo soviel falsch gemacht wird, kann selbst der ungeübteste Kinogänger das Blöde vom Nahrhaften scheiden. So befinden sich unter der süßlichen Sülze der unfreiwilligen Parodie fühliger Schicksalsvermarktung unbeschadet eine Menge bisher unveröffentlichter Werke und Aufzeichnungen, die in der Ausführlichkeit, mit der sie unbeschadet in Imago erscheinen, direkt zu dem führen, was vernichtet werden sollte: Meret Oppenheim. S.A.F.T.
Ab heute abend im Eiszeit-Kino, ausschließlich.
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