■ Kiffer's Corner: Alte Frau mit komischen Zigaretten
Vor ein paar Tagen wäre Wolfgang Neuss 74 geworden. Zwanzig Jahre, von denen er die Hälfte tablettensüchtig war, galt der Mann mit der Pauke als größter Kabarettist Westdeutschlands. Die restlichen zwanzig Jahre bemühte er sich, vergessen zu werden, übte das Nicht-Tun, rauchte unglaubliche Mengen Haschisch und gab sich, in hohen Geschwindigkeiten plappernd, sehr drogeneuphorisch.
Mit seinen langen Haaren und ohne Zähne sah Neuss in den achtziger Jahren wie eine alte Indianerin aus. Alte Fans erschraken; die Leitmedien denunzierten ihn als Sozialfall und unzurechnungsfähiges Drogenmonster, denn als Promi darf man Drogen vielleicht in England gut finden (Propellerheads etc.), in Deutschland gilt das als superskandalös. Da soll man Tabletten nehmen und das Maul halten. Mehrmals wurde die Wohnung von Neuss jedenfalls polizeilich durchsucht (das macht man heute selbst noch bei Schwerkranken, die sich für Cannabis als Medikament engagieren), zweimal wurde er wegen des Besitzes von LSD und Haschisch verurteilt.
Die verordnete gemeinnützige Arbeit leistete er in der alternativen Berliner UFA-Fabrik ab, die vor ein paar Wochen seinen 74. Geburtstag feierte und auch ein paar alte Filme zeigte, bei denen auffiel, daß er früher Oskar Lafontaine ganz auffällig geähnelt hatte. Anfang der achtziger Jahre schrieb Neuss regelmäßig eine Kolumne für die taz, die vielen ziemlich durchgedreht vorkam.
Der nette Ex-tazler und Hanfaktivist Matthias Bröckers erzählte, daß der begeisterte SPDler mit dem Herz fürs Mittelmäßige recht anstrengende Bedingungen für seine taz-Mitarbeit gestellt hatte: Bröckers hätte an drei Tagen am frühen Morgen in die karge Wohnung des Exzentrikers kommen müssen. Am ersten Tag hätte man sich über das Kolumnenthema unterhalten, am zweiten sprach Neuss einen Text aufs mitlaufende Tonband, am dritten brachte ihm Bröckers das Honorar. Und jedes Mal mußte der Familienvater in Neusschen Dimensionen Haschisch mitrauchen.
Während der immerhin ja auch nicht ganz Unerfahrene so seine Schwierigkeiten hatte, sei Neuss mit jedem Joint immer wacher geworden. Überhaupt hätte jeder, der in die Neussche Klause kam, Haschisch rauchen müssen. „Und wenn sie nicht rauchen wollten, mußten sie Geld dalassen“, damit Neuss dann für sie rauchen konnte. „Neuss hatte so was wie Harald Schmidt, nur erzählte er schon um sieben Uhr morgens seine Sachen ganz alleine, während Schmidt erst am späten Abend mit der Hilfe von hundert Mitarbeitern gut ist“, so Bröckers, der auch von seiner kleinen Tochter erzählte, die wissen wollte, was „die alte Frau denn da für seltsame Zigaretten“ verfertige.
Neuss war nicht nur in seiner Guruphase ein schwieriger Mensch. Gern beleidigte er zuweilen Besucher oder schmiß sie raus, wenn sie falsche Dinge erzählten. Doch das hätte nur im Augenblick gegolten, so Juppi von der Ufa-Fabrik. Neuss wäre immer sehr enttäuscht gewesen, wenn der, den er gerade rausgeschmissen hatte, auch draußen blieb. Das ging gegen seine Kifferehre: „Wenn ich mal einen rausschmeiße, dann geht der halt um den Block und kommt dann wieder. So ist das unter uns Kiffern.“ Detlef Kuhlbrodt
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