Kettenduldung: Kein Recht auf Bewegungsfreiheit
Weil der seit fast zehn Jahren kettengeduldete Alfa D. immer wieder gegen die Residenzpflicht verstieß, musste er über Weihnachten und Neujahr für vier Monate ins Gefängnis. Und es könnte noch ein Jahr dazu komme
Seinen Geburtstag - also Silvester - verlebte Alfa D. in diesem Jahr im Knast. Weihnachten war er auch schon da. Aber zumindest nicht alleine, schließlich sitzen in seiner Zelle in Bremen-Oslebshausen auch noch andere Afrikaner ein. Einen Tag vor Heiligabend haben sie ihn verhaftet, wieder einmal, muss man sagen, diesmal am Sozialamt.
Eigentlich ist der 27-Jährige ja geduldet, kettengeduldet, seit fast zehn Jahren lebt er schon mit diesem Status, in einem Wohnheim im Landkreis Cuxhaven. Er ist also offiziell ausreisepflichtig, sein Asylantrag wurde bereits 1999 abgelehnt, kurze Zeit nachdem er überhaupt nach Deutschland kam. Abgeschoben werden, zurück nach Sierra Leone, das kann er aber nicht - er hat keinen Pass. Menschen wie Alfa D. werden viele Rechte verweigert. So dürfen sie in der Regel nicht arbeiten oder studieren, sie erhalten einen drastisch reduzierten Sozialleistungssatz, und die Stadt verlassen, das dürfen sie auch nicht.
Doch genau letzteres hat Alfa D. getan, immer wieder mal. Deshalb ist er vom Amtsgericht Langen mehrfach wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht verurteilt worden. Zunächst zu einer Geldstrafe, die er mangels Geld nicht bezahlen kann, schließlich per Strafbefehl zu einer Haftstrafe von vier Monaten, zunächst zur Bewährung ausgesetzt. Das war im Jahr 2006.
Jetzt hat das Amtsgericht die Bewährung widerrufen, die Staatsanwaltschaft in Stade hat die Vollstreckung angeordnet. Und so verbüßt D. seit Weihnachten nun eine viermonatige Freiheitsstrafe. "Dabei ist er in diesem Verfahren überhaupt nicht angehört worden", sagt sein Anwalt Sven Sommerfeldt. "Somit ist die Vollstreckung unzulässig." Er hat Rechtsmittel eingelegt.
Das Gericht findet wiederum, dass es gute Gründe gebe für den Widerruf der Bewährung. Im Februar letzten Jahres wurde D. nämlich nochmals verurteilt - ebenfalls wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht, diesmal geschehen im Januar vorvergangenen Jahres.
Und dann ist da noch ein Verfahren wegen dieses Delikts anhängig: Alfa D. war im Juli in Köln gewesen, auf einem Festival. Da hätte er nicht sein dürfen, im September sollte deshalb vor dem Amtsgericht Langen gegen ihn verhandelt werden. Die Polizei war da. Ein Dolmetscher war da. Alfa D. war nicht da. Weil er die Vorladung gar nicht erhalten hat, sagt sein Anwalt Sommerfeldt. Das Gericht sah das anders. Der Brief sei ordnungsgemäß zugestellt worden, sagt der Amtsrichter, im Briefkasten des Wohnheims.
Das Gericht erließ dann auch gleich Haftbefehl, einen Streifenwagen der Polizei loszuschicken, um D. abzuholen - damit mochte sich das Gericht nicht begnügen. Eine Haftbeschwerde des Verteidigers lehnte das Landgericht ab, jetzt liegt der Fall beim Oberlandesgericht in Celle. Der wiederholte Verstoß gegen die Residenzpflicht wird mit einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr bestraft, ersatzweise mit Geldstrafe. EU-weit existiert diese Residenzpflicht allerdings nur in Deutschland. Flüchtlingsorganisationen bekämpfen sie seit langem, derzeit ist eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.
Insgesamt leben in Niedersachsen gut 18.000 Menschen wie Alfa D. mit einer Duldung, kaum weniger als vor den neuen Bleiberechtsregelungen. Die Innenministerkonferenz hatte 2006 beschlossen, langjährig Geduldeten im Rahmen einer einmaligen Stichtagsregelung unter ganz bestimmten Bedingungen ein Aufenthaltsrecht zu gewähren. Eine "Zuwanderung in die Sozialsysteme", sagte jedoch CDU-Innenminister Uwe Schünemann jüngst, komme für ihn nicht in Frage. Auch in Bremen leben noch 2.487 geduldete Menschen - viele von ihnen sind minderjährig. Etwa zwei Drittel der Geduldeten können laut Senat nicht abgeschoben werden, weil die Botschaften ihrer Heimatländer keinen Pass für sie ausstellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!