: Kette am Computerarm
Weil ihr das Arbeitsamt die Kosten für eine Umschulung nicht erstattet, kettete sich eine Berufskranke an der Tür des Bremer Arbeitsamtes an. Das RSI-Syndrom teilt sie mit vielen LeidensgenossInnen
Auf ihren früheren Arbeitsplatz ist Iris Piechaczek-Moustafa nicht gut zu sprechen. Acht Jahre lang, von 1984 bis 1992 gab die Sachbearbeiterin bei Eduscho Aufträge in den Computer ein – und ruinierte sich dabei ihre Gesundheit. Schmerzen, Kraft- und Sensibilitätsverlust in Händen und Armen gehören für sie seitdem zum Alltag. „Repetitive Strain Injury“ (RSI) diagnostizierten die Ärzte – auf deutsch: „Computerarm“. Die Berufskrankheit wird durch lange Arbeitszeiten am Computer hervorgerufen.
Piechaczek-Moustafa aber wird nicht als berufsunfähig anerkannt. Die knapp 13.000 Euro, die ihr das Arbeitsamt für ihre Umschulung zur Kosmetikerin vorgestreckt hatte, soll sie daher zurückzahlen. Dagegen protestierte die 37-Jährige jetzt vor dem Arbeitsamt Mitte – sie kettete sich an die Tür.
Durch drei Instanzen hatte die RSI-Patientin vor dem Sozialgericht geklagt, um die drohende Rückzahlung abzuwenden – vergebens. Denn trotz der Gutachten dreier ausgewiesener RSI-Spezialisten, die Piechaczek-Moustafa allesamt Berufsunfähigkeit bescheinigten, betrachtete das Sozialgericht sie als gesund. Und eine gesunde Frau, so die Argumentation der Richter, brauche keine Umschulung.
Rolf Frieling, Schmerztherapeut und Moustafa-Gutachter aus Bochum, kann dieses Urteil nicht verstehen: „RSI ist eine chronische Schmerzkrankheit mit psychosomatischen Folgen“, sagt der Mediziner. In Holland, Schweden, Kanada und den USA sei RSI längst als Berufskrankheit anerkannt – mit klaren diagnostischen Leitlinien. Das ist in Deutschland zwar auch so, anerkannt werden hier aber nur knapp zwei Prozent der PatientInnen.
Frieling, der schon viele RSI-Gutachten verfasst hat, vermutet, die deutschen Behörden hielten RSI noch immer für eine „Modekrankheit“. Dabei sei der „Computerarm“ alles andere als selten – auch, wenn es noch keine konkreten Zahlen gebe.
Carola Bury, gesundheitspolitische Referentin bei der Bremer Arbeitnehmerkammer rät Computer-ArbeiterInnen zur Vorsorge: Die Arbeitsplätze müssten ergonomisch gestaltet werden, Sitz- und Tischhöhe sollten aufeinander abgestimmt sein. Oft können schon kleine Änderungen viel verbessern. „Einem RSI-kranken Grafiker haben wir zum Beispiel empfohlen, die Maus durch einen elektronischen Stift zu ersetzen“, sagt Bury.
Für Iris Piechaczek-Moustafa kommen derartige Ratschläge indes zu spät. Berufsunfähig oder nicht – sie muss die 13.000 Euro für ihre Umschulung zurückzahlen. Denn das Arbeitsamt gewährt diese Finanzhilfen bei „Gesunden“ normalerweise nur als Darlehen. Sozialrichter Rainer Neustädter bestätigt: „In der Regel erklären die Antragsteller, dass sie mit der Rückzahlung einverstanden sind.“
Piechaczek-Moustafa, zurzeit einen Tag in der Woche als Kosmetikerin tätig, will eine solche Erklärung allerdings nie unterschrieben haben. Sie hofft nun auf Nachsicht beim Arbeitsamt. Weitere Aktionen, sagt sie, seien aber „nicht ausgeschlossen“. slk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen