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: Kerstins Telekolleg

„Hautnah special“, Montag 22.05 Uhr, Pro7

Was haben wir gelacht, als Kerstin Graf vor einem Jahr die erste Folge von „Hautnah“ präsentierte. So naiv und hölzern stolperte sie durch die Moderation, daß man noch vor der Glotze peinlich berührt war. Von der Kritik zur „Augenaufreißerin vom Dienst“ gekürt, hatte sie Chancen auf den schnellsten Quotentod der Fernsehgeschichte. Doch dann kam alles anders.

Nicht nur daß Kerstin Graf entgegen aller Erwartung weitermachen durfte, sie nutzte ihren wöchentlichen „Mix aus aktuellen Reportagen und bunten (!) Talks“, um einen völlig neuen Stil der Moderation zu etablieren. Während Talk- Tankgirl Margarethe Schreinemakers und Ulrich „die Akte“ Meyer so tun, als hätten sie Pädophilie studiert, wirkt Kerstin Graf stets derart unbedarft, daß man glauben möchte, sie verbringe die Zeit zwischen den Sendungen bei den Amish People. „Ich könnte so tun, als ob ich alles wüßte, aber das tu' ich nicht“, sagt sie und fügt treuherzig hinzu: „Ich bin behütet aufgewachsen.“ Sauerei, daß die Redaktion da Woche für Woche Sadomasochisten und Schlammcatcher auf sie losläßt. Vielleicht ist ja Kerstin Graf doch nicht die Bettina Wegner des privaten Fernsehens, und sie betreibt nur ein besonders abgefeimtes Spiel. Indem sich „Hautnah“ als wöchentliches Telekolleg zum Thema „Unglaublich, aber wahr“ tarnt, gehen nämlich selbst Kinderpornos als Volksaufklärung durch. Die Voyeure im Publikum danken die Absolution mit einer konstanten Einschaltquote, und Pro7 spendiert zum Geburtstag ein „Best of“.

So durften wir noch einmal die schönsten Kuhaugenaufschläge des letzten Jahres genießen. Kerstin Grafs Versuch, den Teleprompter zu hypnotisieren, ist so ziemlich das einzige, was das „Montagsmagazin“ von ähnlichen Formaten unterscheidet. Denn ansonsten rührt die Redaktion in der obligaten Melange aus Titten und Trash und entblödet sich auch nicht, „Spiel mir das Lied vom Tod“ unter die Bilder eines Aidskranken zu legen. Schade eigentlich, daß in diesem Betroffenheits-Stakkato Berichte wie der über den Walfang in Japan völlig untergehen. So wäre ohne Kerstin Graf und ihre naive Phantasie wieder mal nur die Fernbedienung hautnah gewesen. Oliver Gehrs