: Kepler, Mendel, Newton und ich
■ Versuch der Ehrenrettung: US-Aids-Forscher Robert Gallo und seine „Jagd nach dem Virus“
Sein Buch sei nicht als Antwort auf seine Kritiker geschrieben, stellt Robert Gallo, der Star der US-amerikanischen Aids-Forschung, gleich am Anfang klar. Aber wer seine Jagd nach dem Virus aufmerksam liest, spürt immer wieder, daß es nichts anderes ist, als genau diese Antwort. Wer so massiv attackiert und als Betrüger gescholten wird, der muß sich zur Wehr setzen, und Gallo tut es. Fast 500 Seiten lang kämpft er um seine wissenschaftliche Reputation und schreibt gegen jene „bösartigen Unterstellungen“ an, die sein Renommee beschädigt haben. Seine große Verteidigungsrede hat er nicht ungeschickt in den Mantel einer wissenschaftlichen Entdeckungsreise gesteckt. Er berichtet über seinen Aufstieg zum Spitzenforscher, reiht Erfolg an Erfolg, Neuentdeckung an Neuentdeckung, Meilenstein an Meilenstein, um sein Verdienst darzustellen. Und er hat einiges zu bieten: die Entdeckung des ersten und zweiten krebsauslösenden Virus beim Menschen, wichtige Arbeiten für die Leukämiebekämpfung und — auch wenn er das Aids-Virus nicht entdeckt hätte — große Fortschritte im Kampf gegen die Immunschwäche-Krankheit. Gallo zählt ohne Zweifel zu den großen Virologen der Gegenwart, die Medizingeschichte geschrieben haben, aber es nützt ihm nichts, sein Ruf bleibt — zumindest — angeschlagen.
Auch mit seinem Buch hat Gallo Pech gehabt. Gerade als die deutsche Fassung auf dem Markt erschien, prasselten neue Vorwürfe auf ihn nieder. Ausgerechnet sein Mitstreiter Mikulas Popovic, den er in seinem Buch noch freundlich „Mika“ nennt und der bei der Entdeckung von HIV der wichtigste Mann in seinem Labor war, hat jetzt Klage und neue Vorwürfe gegen seinen Chef erhoben. Und zugleich hat die 'Chicago Tribune‘, die seit Jahren mit dem US-Forscher im erbitterten Clinch liegt, erste Ergebnisse aus jener Untersuchungskommission verlauten lassen, die aufklären soll, ob Gallo gemogelt hat und in Wahrheit der französische Virologe Luc Montagnier der Allein-Entdecker von HIV ist. Glaubt man der Presse, sieht es nicht gut aus für Gallo, und es stellt sich lediglich die Frage, ob er bewußt einen wissenschaftlichen Betrug beging, oder ob sein Aids-Virus durch eine Laborverunreinigung aus einer Zusendung von Virus-Material aus Paris als „Unfall“ oder aus Versehen entstand.
Seit mehr als fünf Jahren tobt inzwischen der Streit, ob Gallo das Virus beim französischen Kollegen geklaut hat. In seinem Buch kann er diese Frage nicht zu seinen Gunsten beantworten, mag er noch so sympathisch vom Schutzumschlag lächeln, mag er damals noch soviele eigene HIV-Zellkulturen angelegt haben. Papier ist bekanntlich geduldig, und was wirklich in seinem Labor passierte, wird letztlich nur schwer aufzuklären sein.
Interessant ist Gallos Buch allemal, auch wenn die molekularbiologischen Details seiner Forschungsreise für den engagierten Laien nicht immer nachvollziehbar und manchmal ermüdend sind. Wer selbst wenig über Viren und Aids weiß, wird mit dem Buch allerdings wenig anfangen. Neben dem voyeuristischen Vergnügen, den Forscher immer wieder in der Rolle als Ehrenretter in eigener Sache zu ertappen, bietet es im Hauptteil noch einmal einen guten Überblick über das Phänomen Aids mit den bekannten Fakten. Die neuesten Ansätze in Sachen Therapie und Impfung schildert Gallo im letzten und besten Teil des Buches, den man als Mutmacher all jenen verordnen sollte, die selbst von Aids betroffen sind. Die Gentherapie, die Erprobung von Impfstoffen, die Weiterentwicklung der Virus-Hemmstoffe oder die listige Konstruktion defekter HIV-Linien, die als Konkurrenz zu den echten eingesetzt werden — überall bieten sich erfolgversprechende Konzepte.
Sichtbar wird in diesem Buch zumindest in Ansätzen auch die Person Gallos. Daß er sich selbst für einen bedeutenden Gelehrten hält, wird gleich am Anfang deutlich, sonst hätte er uns mit seiner Familiensaga verschont. Wie es sich bei einem großen Mann der Geschichte gehört, wird sie bis zurück ins italienische Mezzogiorno erzählt. Immerhin wissen wir jetzt, daß Großvater Gallo kastanienbraunes Haar und eine klassisch-griechische Nase besaß. Daß Gallo ein besessener Forscher von ungeheurem Ehrgeiz ist, blitzt an vielen Stellen durch. Wer am Weihnachtsabend um 22 Uhr andere Leute in Sachen Virus belästigt, der muß aus ganz besonderem Holz geschnitzt sein.
Für den Fall, daß Gallo weiter in der Schußlinie bleibt, hat er selbst schon mal Trost parat. Auch andere Riesen der Wissenschaft wie Mendel, Kepler oder Newton, so schreibt er am Ende selbstgefällig, mußten sich den Vorwurf gefallen lassen, ihre Befunde frisiert zu haben. Dennoch seien ihre Leistungen von größter Bedeutung gewesen. Ob ihn diese Einsicht wirklich tröstet? Manfred Kriener
Robert Gallo, „Die Jagd nach dem Virus“, Fischer-Verlag 1991, 464 Seiten, 44 DM.
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