Kenias Arme hungern: Der Kampf ums Maismehl
Was global "neue Hungerkrise" genannt wird, ist für Kenianer vor allem in den Slums schlicht der Alltag. Die Kosten für das wenige, was sie konsumieren, steigen ständig.
NAIROBI taz Aska Karubo Ubare steht zwischen den vollgestopften Regalen, die sich um sie herum auftürmen. Aus den Lautsprechern tönt blechern Musik, die ab und zu von knisternden Durchsagen unterbrochen wird. Ubares Blick wandert unsicher von rechts nach links und dann wieder zurück, schließlich greift sie ein Paket Maismehl und packt es in den leeren Einkaufswagen. Sie zögert und greift erneut zu, bis sie vier Pakete hat. "Ich war noch nie in einem Supermarkt", erklärt die 42-jährige Mutter ihre Überwältigung. "Hier gibt es so viel, und alles in riesigen Mengen." Dass Ubare heute bei Nakumatt Mega, einem der größten Shoppingzentren Kenias, einkaufen kann, hat sie CARE zu verdanken. Nach den Unruhen Anfang des Jahres, bei denen mehr als tausend Kenianer ums Leben gekommen sind, hat die Hilfsorganisation 6.000 Einkaufsschecks zu je eintausend Schilling - etwa zehn Euro - für die bedürftigsten Bewohner von Kibera, dem größten Slum in der Hauptstadt Nairobi, gestiftet. Zu ihnen gehört Ubare zweifellos: Außer um ihre drei eigenen Kinder kümmert die HIV-positive Frau sich auch um zwei Waisen von Verwandten, die an AIDS gestorben sind - allein. Ihr Mann hat sich schon seit Jahren nicht mehr blicken lassen. Ubares Schneiderei wurde im Januar angezündet und brannte aus, jetzt hält sich die ehemalige Unternehmerin nur noch mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Außer Maismehl kauft sie an diesem Tag noch drei Liter Sonnenblumenöl, zwei Kilo Zucker, ein Stück Seife und 25 Teebeutel. Dann ist das Scheck verbraucht, bis auf 40 Schillinge, die sie für den Bus zurück in den Slum braucht.
Grundnahrungsmittel sind in Afrika derzeit so teuer wie nie zuvor: Laut Welternährungsprogramm (WFP) haben sich die Preise für Weizen, Mais, Zucker oder Pflanzenöl im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. WFP-Chefin Josette Sheeran sagt: "Selbst dort, wo die Ladenregale voll sind, hungern Menschen, weil sie sich die Waren nicht mehr leisten können." Auch Hilfsorganisationen können ihre Nahrungsmittelhilfe kaum noch bezahlen.
Die Gründe sind vielfältig: Vor allem in China und Indien wächst die Nachfrage nach Lebensmitteln und Fleisch. Deren Produktion verbraucht im Verhältnis zu Gemüse oder Getreide mehr Fläche. In traditionellen Weizenexport-Nationen wie den USA und Kanada wiederum spielt der gestiegene Flächenbedarf für Biokraftstoffe eine Rolle. In Afrika verschärfen Klimawandel, Landflucht und Bevölkerungswachstum bei stagnierenden Erträgen die Lage.
Aska Karubo Ubare ist ein Gesicht des Phänomens, das derzeit als "Neue Hungerkrise" Schlagzeilen macht. Zwar gibt es genug Lebensmittel, doch vor allem in den Städten, wo mittlerweile jeder zweite Afrikaner lebt, können immer weniger Leute sie sich noch leisten. "Maismehl und Öl nehmen mir die größten Sorgen für die kommenden Wochen", seufzt sie, nachdem sie die Einkäufe in ihrem Haus verstaut hat. Lange hat das nicht gedauert, denn der Bretterverschlag, über dem ein Dach aus Wellblech den schlimmsten Regen abhält, ist nicht größer als 12 Quadratmeter. 1.200 Schillinge Miete zahlt die alleinerziehende Mutter dafür jeden Monat, zu viel, um sich auch noch ausgewogenes Essen zu leisten. Zweimal am Tag bereitet sie deshalb für die Kinder aus Wasser und Maismehl nur einen dünnen Brei zu, am Abend kocht sie dazu ein wenig bitteren Blattspinat, den die Kenianer Sukuma nennen. Fleisch hat es schon lange nicht mehr gegeben. "Lebensmittel werden immer teurer, ich bin froh, wenn ich das nötigste bezahlen kann."
Ihr Maismehl, Hauptnahrungsmittel für alle Kenianer, kauft sie normalerweise auf dem lokalen Markt. Für die 15 oder 20 Schillinge, die sie meist hat, bekommt sie nicht mehr als 200 Gramm. Bei Nakumatt würde sie zwar für die zehnfache Menge nur 76 Schillinge (umgerechnet 80 Euro-Cent) bezahlen. Aber 76 Schillinge hat Ubare fast nie. Das wissen die lokalen Händler, die mit dem portionsweisen Verkauf an die Ärmsten ordentlich Gewinn einfahren. "Vor einem Jahr habe ich für die gleiche Menge Maismehl noch die Hälfte bezahlt, die Preise gehen ständig rauf." In Ubares Nachbarschaft sind kürzlich zwei Familien zusammengezogen, jetzt teilen sie sich ihre 12 Quadratmeter zu zehnt. "Vielleicht müssen wir das auch irgendwann machen, damit wir weiterhin essen können."
Wenn des einen Leid des anderen Freud ist, dann müsste Charles Nganga Kamau von morgens bis abends feiern. Sein Mais streckt sich zwei Monate nach der Saat schon stolz in die Höhe. "Diese Regenzeit ist gut, es ist nicht so trocken wie im vergangenen Jahr", strahlt der 60- jährige, der bis 1994 im Postministerium gearbeitet hat. Danach hat er sich zurück gezogen, aufs Land seines Vaters und Großvaters, und mit der Landwirtschaft begonnen. Zehn Sack Mais, den Sack zu 90 Kilo, erhofft sich Kamau von der Ernte, wenn der Regen weiter fällt. Einen halben Hektar misst sein Hof, auf der Hälfte baut er Mais an. Zehn Sack, das wäre für Kamau eine Rekordernte. Doch von plötzlichem Reichtum angesichts der steigenden Maismehlpreise in der Stadt kann er nicht berichten. "Auf dem Markt von Wangige, wo ich meinen Mais verkaufe, bekomme ich für zwei Kilo 50 Schillinge, genauso viel wie vor einem Jahr." Wer in großen Mengen verkauft, bekommt für die gleiche Menge kaum mehr als 40 Schillinge: Das ist der Abnahmepreis, den Kenias staatliche Regulierungsbehörde derzeit empfiehlt. Auf dem Land, weit entfernt von den Märkten, ist sie oft der einzige Käufer. Auch die Zwischenhändler, die in nicht ganz so entlegenen Gebieten von Hof zu Hof fahren und die Ernte aufkaufen, zahlen schlecht. Dafür nehmen sie große Mengen ab, die sie nach Nairobi fahren, wo sie etwa an Nakumatt verkauft werden. Die hohen Benzinpreise legen sie dort auf den Verkaufspreis um. Samt saftiger Gewinnspanne, die sie sich als Quasi-Monopolisten leisten können, sorgen manche Zwischenhändler dafür, dass ein Sack Kartoffeln, der in der Provinz 800 Schillinge kostet, in Nairobi für 2.000 verkauft wird. Die Zwischenhändler, sagt Kamau, profitieren derzeit mehr von der Knappheit als die Bauern.
Viele Bauern horten derzeit ihre letzte Ernte, weil sie auf einen höheren Preis spekulieren. Das ist riskant, denn in den einfachen Lagerstätten zerstören immer wieder Pilzbefall oder Ratten die Ernte. "Spätestens nach der nächsten Ernte im Herbst werden wir bessere Preise verlangen können", glaubt auch Kamau - als unweigerliche Anpassung an das gestiegene Preisniveau. Weil der Dieselpreis im vergangenen Jahr so stark gestiegen ist, zahlt Kamau fürs Mahlen seiner Ernte mehr als das Doppelte. Und die wenigen Verbrauchsgüter, die er nicht selbst anbaut, kosten fast wöchentlich mehr. "Zucker, Sonnenblumenöl und Gas machen mich fast zu einem armen Mann."
Dabei hat Kamau es noch gut. Seine Kosten sind viel geringer als die der meisten. Vor zehn Jahren hat er auf biologische Landwirtschaft umgestellt. Als Dünger nutzt er ausschließlich Kompost vom eigenen Hof, auch Insektenvertilgungsmittel gewinnt er aus einheimischen Pflanzen selber. Wenn er in vier Monaten erntet, werden seine Hauptkosten die gut 500 Schillinge gewesen sein, die er für das vom Staat zertifizierte Saatgut gezahlt hat. "Bekannte von mir, die konventionelle Landwirtschaft betreiben, jammern alleine über die hohen Kunstdüngerpreise", weiß Kamau. "Der Sack kostet die Hälfte mehr als noch vor einem Jahr." Kunstdünger muss in Kenia importiert werden, ebenso wie Pestizide. Die steigenden Weltmarktpreise schlagen direkt in die kenianische Provinz durch. "Viele Freunde sagen mir, dass sie heute mit ihrer Ernte weniger verdienen als noch vor einem Jahr." Die meisten Farmer in Kenia sind wie Kamau Kleinbauern: Auf zweieinhalb Millionen schätzt Kenias Landwirtschaftsministerium die Zahl derer, die Mais anbauen. Das Getreide ist mehr als das nationale Grundnahrungsmittel, es ist eine nationale Passion.
Wann also werden die Landwirte von den gestiegenen Preisen für Lebensmittel profitieren? Bald, glaubt Romano Kiome, Staatssekretär in Kenias Landwirtschaftsministerium. "Eine Krise ist immer auch eine Chance: Wenn die Farmer jetzt ihre Produktivität erhöhen, können sie bei der nächsten Ernte mehr Geld machen als je zuvor." Kiome und seine Beamten müssen sich damit herumschlagen, dass in der Gewalt nach der Wahl mehr als dreieinhalb Millionen Sack Mais vernichtet wurden - und so viele Felder verwüstet, dass der prognostizierte Ernteertrag selbst bei idealen Bedingungen um mindestens ein Sechstel fallen wird. "Der Rest muss entweder importiert werden, was bei den hohen Weltmarktpreisen heftig zu Buche schlägt - oder aber wir schaffen es, den Output zu erhöhen." Ein von Geberländern finanziertes Kleinkreditprogramm mit einem Gesamtvolumen von mehr als 30 Millionen Euro soll Farmern helfen, Saatgut und Dünger zu bezahlen und so zu den Gewinnern der Versorgungskrise zu gehören, die Kenia voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte treffen wird. So hoch prognostiziert Kiome die Marktpreise bis dahin, dass die Rückzahlung des Kredits plus zehn Prozent Zinsen kaum ein Problem darstellen wird.
Doch in Kibera, Heim von einer Million Slumbewohnern, treiben Kiomes Prognosen einigen neue Schweißperlen auf die Stirn. Samuel Oninga arbeitet für eine Slum-Selbsthilfegruppe namens Haki, Suaheli für Gerechtigkeit. "Ich gehe von Haus zu Haus, und überall höre ich die gleichen Geschichten: Kaum einer kann sich noch sein Essen leisten." Wenn der Maispreis auf dem Land im Herbst steigt, wird die Situation in Kibera noch schlimmer werden, glaubt er. Mittelfristig hofft Kiome, den steigenden Ladenpreisen mit marktwirtschaftlichen Mitteln Herr zu werden. Mit Kleinkrediten und Kurzlehrgängen versucht die Haki-Gruppe, die Zahl der Zwischenhändler zu erhöhen. "Die wachsende Konkurrenz soll die Verkaufspreise senken, und die Gewinne sollen in mehr Taschen landen als heute." Doch kurzfristig wird das nicht helfen. Viele hoffen, dass die Regierung im Herbst den Verkaufspreis für Maismehl künstlich niedrig halten wird, sei es über Subventionen oder die Beeinflussung des Marktes durch die staatliche Maisreserve, deren Erhöhung die Regierung gerade verkündet hat. Anders, so befürchtet Oninga, wird sich in Kibera bald niemand mehr sein tägliches Maismehl leisten können. Doch Subventionen selbst für die Ärmsten lehnt Kenias Regierung bislang entschieden ab.
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