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Kellerkind? Von wegen!

■ Die Ausländerinitiative St. Georg ist seit 15 Jahren wichtiger Bestandteil in einem enggeknüpften Stadtteil-Netz Von Stefanie Winter

Als die „Ausländerinitiative St. Georg“ einen begehrlichen Blick warf auf das Haus in der Langen Reihe 32, da hatte sie zuvor schon mehrere Jahre von diversen Kellerlöchern aus gearbeitet. Das Haus war derweil in den Händen einer Erbengemeinschaft zur Ruine vergammelt. Eine chemische Reinigung – einzige „Bewohnerin“ vor 15 Jahren – hatte dem Haus den Rest gegeben, erzählt Wolfgang Haeger. Er war damals Gründungsmitglied der Initiative, ist heute ihr Geschäftsführer – aufgewachsen in St. Georg und in einem früheren Leben Lehrer von Beruf.

„Rettet St. Georg“, hieß der Verein zunächst, hatte auch da schon mit „Ausländern“ zu tun und auch mit gammeligen Häusern. Denn 1980 wurde der Stadtteil zum Sanierungsgebiet erklärt. Bereits damals waren hier 35 Prozent der Bewohner nichtdeutscher Herkunft. Und niemand, erinnert sich Haeger, habe sie über die Konsequenzen einer Modernisierung und vor allem über ihr Recht auf eine spätere Rückkehr in ihren Stadtteil aufgeklärt. Auch in anderen Belangen konnten die Migrantinnen und Migranten Beratung gebrauchen und Platz, um sich zu treffen.

Vier Außenstellen gab es 1981 in St. Georg, die Haeger eben „Kellerlöcher“ nennt und die einer koordinierten Arbeit nicht besonders zuträglich gewesen seien. Der Umzug ins wiedererrichtete, nun denkmalgeschützte Fachwerkhaus in der Langen Reihe kam jedoch erst vier Jahre später. Vorher – Mitte 1981 – gab es zum ersten Mal Geld, von der Sozialbehörde, für eine feste ganze Stelle. Zwei Jahre später: zweieinhalb Stellen mehr. Und Anerkennung. Als „deutsch-ausländische Begegnungsstätte“, die die Behörde seinerzeit in verschiedenen Stadtteilen installierte. Die Ausländerinitiative führt jedoch lieber den Namen „Internationale Begegnungsstätte“. Weil der weniger trennt und eher zutrifft.

Einen Schwerpunkt setzt die Ausländerinitiative mit der psychosozialen Beratung von Migranten (Nichtausländer, die es wünschen, erhalten hier ebenfalls den einen oder anderen guten Rat – Einblick in die Lebensumstände der MigrantInnen zum Beispiel.). Migration sei zahlreichen Sondergesetzen unterworfen, erklärt Haeger, und psychosomatische Erkrankungen bei Migranten besonders häufig. Ihr Status ist über lange Zeit unsicher und verunsichernd. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Initiative überprüfen den Aufenthaltsstatus und helfen den Betroffenen, ihre Ansprüche auch durchzusetzen. Seit 40 Jahren gebe es – allen Widerworten zum Trotz – eine Einwanderung nach Deutschland, ärgert sich Wolfgang Haeger, und nicht einmal minimale Bürgerrechte würden Migrantinnen und Migranten gewährt.

Die eigene kulturelle Identität und häufig auch erste und einzige Kontakte der Migranten mit anderen Menschen läuft über Sprache. In der Ausländerinitiative werde „Deutsch für Nichtdeutsche“ angeboten, aber auch „Türkisch für Türken“. Und Arabisch und Spanisch und Griechisch. Nationale und internationale Frauengruppen haben in dem Fachwerkhaus ihren Treffpunkt, Gitarrenunterricht wird angeboten, Tango, brasilianischer Tanz. Es gibt Konzerte, Theater für Kinder, Hausaufgabenhilfe. Und Einbrüche ab und an, aber keine Angriffe auf das Haus, die „fremdenfeindlich“ genannt werden würden. Wer sollte sich das trauen, fragt Haeger, bei mehr als 55 Prozent Nichtdeutscher im Stadtteil und einer engen, kooperativen Vernetzung aller pädagogischen, kulturellen und sozialen Einrichtungen St. Georgs.

Die internationale Begegnungsstätte der Ausländerinitiative St.Georg in der Langen Reihe 32 hat wochentags ab zehn Uhr geöffnet; telefonisch erreichbar ist das Haus unter Tel.: 040/280 27 95. Allmonatlich informiert ein Faltblatt über das aktuelle Programm. Zum ersten Mal in der Geschichte der Initiative wird es in diesem Sommer Betriebsferien geben – vom 27. Juni bis zum 24. Juli.

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