: Keine positive Wirkung des Krieges
[...] Sicher gibt es Gründe, am zivilisatorischen Bewußtsein „unserer“ Grünen zu zweifeln. Doch Sibylle Tönnies' Entpolitisierung der Diskussion um die grünen Beweggründe, indem sie sie psychologisiert (und so wegphilosophiert), scheinen in erster Linie auf Projektion zu beruhen. Indem sie Fischer & Co beispielsweise unterstellt, daß „Menschenrechtsverletzung“ für diese nur ein abstraktes „Zauberwort“ sei, um – simsalabim – „frisch-fröhlich Krieg machen“ zu können, umgeht sie selbst „frisch-fröhlich“ eine ernsthafte Diskussion um die ganz reale Deportation der „Albanes(inn)en“ und wie dem mit zivilen Mitteln abzuhelfen wäre.
Daß die „Universalistin“ Tönnies den Krieg (inklusive das Leiden der in ihrem philosophischen „Universum“ offenbar tatsächlich nur als Abstaktum vorkommenden verfolgten Kosovo-Albaner/innen) als „wohltuende Straffung“ und „frische Luft“ durch Befreiung von „faulen Gährstoffen“ empfindet, sagt übrigens auch einiges über die „unbewußten“ Anteile ihrer Mythenbildung um die angebliche „westliche Wertetradition“ aus, auf die die (insgesamt doch ziemlich kriegerische und imperialistische) Geschichte der politischen Kultur Europas angeblich fußt. Schmeckt doch sehr nach Rationalisierung bzw. „Residuen“, um es mit Tönnies' „klugen Soziologen und Theoretiker des italienischen Faschismus“ Pareto zu sagen. Hans-Hermann Hirschelmann, Berlin
[...] Wie lange habe ich mich ratlos gefragt, warum ich seit Beginn der neunziger Jahre auf Kurzhaarschnitt umgestiegen bin. Danke Sibylle, nun weiß ich es, es war mein tiefsitzendes, uneingestandenes Bedürfnis nach Krieg, ein untrügliches Zeichen dafür, daß dieser Krieg „seit einigen Jahren (...) angesagt“ war. Jetzt sollte das taz-Fahrrad endlich in gefechtstauglicher Tarnfarbe angeboten werden, mit Springerstiefeln als Zubehör. Dann Sibylle, laß uns durch den deutschen Wald radeln, die frischer gewordene Luft und das „durch den Krieg ausgelöste Wohlgefühl“ genießen! Dabei läßt sich sicher gut verdrängen, wie belebend die Wirkung des Krieges für all diejenigen ist, denen die Nato-Bomben aufs Haupt geworfen und die in Folge des Bombardements vertrieben und ermordet werden. [...] Joachim Hösler, Marburg
[...] Der tödliche Kampf von Angehörigen einer Spezies untereinander mag zwar ein natürliches Mittel sein, diese Spezies insgesamt belebt zu halten. Aber unsere eigene Spezies hat schon vor Heraklits Zeiten begonnen, viel mehr Energie pro Individuum extern umsetzen zu können (bezogen auf den zum Lebenserhalt erforderlichen Grundumsatz), als wir es bei irgendeiner anderen Spezies finden: Wir haben uns also entweder inzwischen weit von „der Natur“ überhaupt entfernt oder aber in einem wirklichen Paradigmenwechsel die Überwindung der alten Natur hin zu einer neuen – und einzigartigen – Natur unserer Spezies vollzogen.
In beiden Fällen können wir nun Kriege mit einer Tödlichkeit und Vernichtungskraft führen, der nichts ausreichend Belebendes mehr entgegengestellt ist. Wir haben keine zu unseren Möglichkeiten passenden Instinkte. Was heute ein einziger Soldat per Knopfdurck vernichten kann, mag kaum noch durch irgendeine damit verbundene Belebung wieder ausgeglichen werden. Einmal in die Welt gesetzt, kann kaum eine von uns geschaffene Möglichkeit jemals wieder völlig ausgeschlossen werden. Es gibt darum keine Hoffnung für irgendeine positive Wirkung des Krieges – solange man das aus menschlicher Sicht beurteilt. Götz Kluge, München
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